Zeitenspiegel Reportagen

Hansel-Mieth-Preise verliehen

04.05.2017

Daniel Etter hätte sich nach dieser Auszeichnung zurücklehnen können. Zusammen mit Kollegen bekam der deutsche Fotoreporter 2016 den traditionsreichen amerikanischen Pulitzerpreis in der Kategorie „Breaking News Photography“. Sein Foto eines irakischen Familienvaters, der nach seiner Rettung am Strand der griechischen Insel Kos in Tränen ausbricht, wurde weltberühmt.

Doch Etter ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, er wollte herausfinden, wie es dem aufgewühlten Mann und seiner Familie auf dem weiteren Weg durch Europa erging. Und er wollte dem Bild, das im Internet instrumentalisiert und teilweise bewusst fehlinterpretiert wurde, mit seiner Recherche seine Wahrhaftigkeit zurückgeben. Für die Reportage „Ein kurzer Traum“, veröffentlicht im Magazin der Süddeutschen Zeitung, wurde Etter am Mittwochabend mit dem Hansel-Mieth-Preis 2017 ausgezeichnet.

alt text

Auch sich selbst und sein Tun stellt der Fotograf in Frage. Etter beschränkt sich in seiner Reportage nicht nur auf eine Erzählung der Familiengeschichte. Er thematisiert auch die Wirkung seines berühmten Fotos auf die Familie, bis hin zur verzagten Frage: „Wollen sie mich noch sehen?“ Mit der wachsenden Nähe zu seinen Protagonisten wurden auch die Zweifel größer, ob er nicht einen Voyeurismus betreibe, „der aus persönlichen Schicksalen journalistische Geschichten macht“.

Eine Geschichte voller Widerhaken, die zum Nachdenken über die Rolle von Reportern einlädt. Wie er seine Rolle heute sehe, wurde Etter in der anschließenden Diskussion gefragt. Er denke nicht, dass der Weg der Familie anders verlaufen wäre, hätte er das Foto nicht gemacht. „Es war nicht nur ein persönlicher, sondern ein weltpolitischer Moment.“ Dass das Foto den Familienvater später „müde“ macht, weil es schlimme Erinnerungen weckt, weil es in völlig falschen Zusammenhängen im Internet auftaucht und weil mediale Berühmtheit ihre Kehrseiten hat - mit dem Dilemma, sagte Etter, „muss ich leben“.

Wie viel Verantwortung und Fingerspitzengefühl erforderlich ist, das belegt auch die Multimedia-Reportage von Christina Schmidt und Maria Feck über die hohe Selbstmordrate unter jungen Grönländern, die den Hansel-Mieth-Preis digital 2017 gewann.

Journalismus, so eine Erkenntnis des Abends, braucht solches Verantwortungsgefühl. Wenn Journalismus seine Aufgaben ernst nimmt, genau hinschaut, hinterfragt, Schattierungen und Widersprüche zeigt, kann von Voyeurismus keine Rede mehr sein. „Und genau das haben die Preisträger geschafft, betonte Uschi Entenmann von der Agentur Zeitenspiegel in ihrer Laudatio. „Sie haben uns Menschen nahe gebracht.“