Zeitenspiegel Reportagen

Tod eines Freundes

15.07.2008

Wir trauern um einen Gefährten. Am 11. Juli haben Unbekannte Mohammed Muhammad Keyre in Mogadischu erschossen – ein Nachruf von Carsten Stormer.

Als ich die DC-9 der “African Express” verlasse, erwartet mich am Mogadischu International Airport eine Hitze, die mir wie ein Faustschlag ins Gesicht schlägt. Und eine Gruppe bärtiger und grimmiger junger Männer in den Tarnfarben der Islamisten-Miliz, mit einem Allah U Akbar – Gott ist groß. “Was willst Du hier, Christ?”, fragen sie mich. “Bist Du ein Spion, CIA?” Nein. Nur ein Journalist aus Deutschland. “Aha, also ein Spion.” Ehe ich antworten kann, kommt mir ein hagerer Mann mit hennagefärbtem Haar zu Hilfe, hinter ihm stehen sechs Kalaschnikow tragende Leibwächter. “Ah, Mr Carsten. Ich habe Sie schon gesucht.” Dann schiebt er mich in einen Geländewagen und der Fahrer braust davon, als hätte er einen Skorpion im Schuh. “Nenn mich MMK”, sagt Mohamed Muhamoud Keyre, stellvertretender Leiter der einheimischen Hilfsorganisation Daryeel Bulsho Guud (DBG). “Willkommen in Mogadischu.” Das war im Oktober 2006, während einer kurzen Periode relativen Friedens.

20 Monate, eine Invasion und verschiedene Machthaber später ist der Mann mit dem rotgefärbten Haar tot. Ermordet von somalischen Gangstern, weil er anderen Somaliern half – Flüchtlingen und Kriegskrüppeln, die in den Lagern am Stadtrand langsam verhungern. Für ihn spielte es keine Rolle, welchem Clan oder welcher Sippe sie angehörten. Jemand brauchte Hilfe, MMK half. Basta. Zudem vermittelte er zwischen den Bürgerkriegsparteien: islamistischen Milizen, mächtigen Geschäftsmännern, Clanchefs und Kriegsfürsten. Er galt als unparteiisch und im gesamten Land als Respektsperson; blieb im Land, während Hunderttausende flohen. Drohungen, seine Arbeit einzustellen, ignorierte er regelmäßig. Sie kamen von Leuten, die er zutiefst verachtete. Von jenen, die für das Chaos in seinem Land verantwortlich waren – und davon bis heute profitieren. Verbrecher, die nach Lust und Laune plündern und morden, aus dem banalen Grund, weil niemand sie daran hindert.

Auch ich, wie so viele andere Journalisten, hätte ohne MMKs Hilfe in Mogadischu nicht arbeiten und wahrscheinlich auch nicht überleben können. Er gab mir Unterkunft und Essen, organisierte sicheres Geleit in einer unberechenbaren Stadt, überredete Interviewpartner, nahm mich mit in die Flüchtlingslager. Und in langen Gesprächen erzählte er vom Schicksal seines Landes, das die Welt vergessen hat. Er hätte das nicht machen müssen. Es war einfach sein Charakter. “Wir müssen unseren Freunden in der Welt helfen”, pflegte er immer zu sagen. “Auch wenn die Welt uns nicht hilft.” Und immer wunderte er sich darüber, dass Journalisten freiwillig in sein Land kamen. Wenn man ihn fragte, wie es ihm geht, pflegte er zu sagen: “Manche Tage sind gut, manche schlecht.” Seit der äthiopischen Invasion Ende 2006 häuften sich die schlechten Tage.

Anfang Mai dieses Jahres sah ich MMK zum letzten Mal. Wieder am Flughafen von Mogadischu. Er brachte mich durch das für Ausländer schier unüberwindbare Chaos des Flughafens, wir teilten uns eine Cola. Bevor ich in die russische Schrottkiste stieg, die mich ausfliegen sollte, umarmte MMK mich und ich scherzte, dass er doch bis zu unserem nächsten Treffen bitteschön am Leben bleiben soll. Er lachte und sagte: “Mr. Carsten, keine Sorge. Manche Tage sind gut, andere schlecht. Inschallah.” So Gott will.

Vergangenen Freitag lauerten ihm seine Mörder auf, schossen ihm dreimal in den Kopf und in die Brust – und der Frieden in Somalia scheint weiter entfernt denn je. Ein weiteres Kapitel der somalischen Tragödie im toten Winkel der Weltöffentlichkeit.