Zeitenspiegel Reportagen

Teilhabe statt nur Geld

Erschienen in "natur" 08/17

Von Autor Tilman Wörtz

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens bekommt unerwartete Unterstützer aus der Industrie. Doch braucht eine Demokratie mehr als nur Grundversorgung: Sie braucht eine möglichst breite Teilhabe aller an der Wertschöpfung – und damit kürzere Arbeitszeiten und flexiblere Arbeitszeitmodelle?

Der Terminkalender des britischen Ökonomen Guy Standing ist so voll wie noch nie zuvor. Alle wollen sie ihn hören – die Industriekapitäne auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, die TED-Talk-Fans in Prag, ?Unternehmer auf dem European Business Summit in ?Brüssel – ihn, einen der geistigen Väter des bedingungs?losen Grundeinkommens. Vor 30 Jahren noch belacht, gilt die Idee heute als nachhaltige Alternative in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung: Jeder Bürger erhält Anspruch auf ein menschwürdiges Grundeinkommen – egal, ob er vorher in eine Sozialkasse gezahlt hat oder nicht. Dafür wird der Sozialversicherungsapparat radikal verschlankt – denn wenn keine Bedürftigkeit mehr nachgewiesen werden muss, braucht es auch keine Kontrollen. Die Gründe für die Popularität des bedingungslosen Grundeinkommens sind leicht ausgemacht: Durch die ?Digitalisierung der Wirtschaft werden bis zum Jahr 2025 allein in Deutschland 1,5 Millionen traditionelle Arbeitsplätze verschwinden, prognostiziert das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit. Taxifahrer, Telefonisten, selbst Barkeeper könnten durch leistungsfähigere Computer und Roboter ersetzt werden. Bereits heute machen manche Computer weniger Fehler bei Anamnese und ?Diagnose als Ärzte aus Fleisch und Blut. Dafür wird es neue Jobs geben. 60Prozent der heutigen Grundschüler werden in einem Beruf arbeiten, den es noch gar nicht gibt, behauptet das Weltwirtschaftsforum. Doch gibt es genug Jobs für alle? Und was machen die, für die es nicht reicht? Mit der Angst vor einem neuen Lumpenproletariat des digitalen Zeitalters wächst auch die Angst vor populistischen Parteien. Guy Standing prophezeite bereits vor sechs Jahren in seinem Bestseller „Das Prekariat, die neue explosive Klasse“ den Aufstieg rechter Parteien. „Die Angst vor Leuten wie US-Präsident Donald Trump gibt der Debatte um das Grundeinkommen einen neuen Schub“, sagt der Ökonom. Und die Liste der Schreckfiguren wird immer länger: Orban, Erdogan, Gauland … Who’s next? Populismus tut der Wirtschaft selten gut. Deshalb haben selbst Wirtschaftskapitäne das Thema für sich entdeckt. „Eine Art Grundeinkommen wird völlig unvermeidlich sein“, sagte Joe Kaeser, Vorstandschef von Siemens, bei ?einer Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung. „Einige werden auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen.“ Auch Telekom-Chef Timotheus Höttges gilt als Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. „Es kann eine Grundlage sein, um ein menschwürdiges Leben zu ?führen“, sagte er der Wochenzeitung Die Zeit. Die Unterstützung aus der Wirtschaft verleiht dem Vorschlag Gewicht. Doch bei all der Sorge um das liebe Geld und die Versorgung der Menschen dürfen wir nicht übersehen, dass Arbeit nicht nur Einkommen bedeutet, sondern auch Einfluss. Einkommen bedeutet Teilhabe daran, wie unsere Welt funktioniert und gestaltet ist. Wenn die Wertschöpfung durch den technischen Fortschritt von immer weniger Menschen geleistet wird und gleichzeitig die Mehrheit der Bevölkerung im lebenslangen Vorruhestand lebt, ist das gefährlich für unsere Demokratie!

Demokratische Teilhabe konnte in der Geschichte immer dann ausgeweitet werden, wenn durch die technische und wirtschaftliche Entwicklung neue soziale Klassen auf den Plan traten. Erst der Aufstieg des Bürgertums und ihrer Manufakturen machte die französische Revolution möglich. Ohne die zunehmend große Zahl der Arbeiter in den Fabriken, die sich parallel zur Industrialisierung in Parteien und Gewerkschaften organisierten, hätte kein allgemeines Wahlrecht durchgesetzt werden können. Wirtschaftliche Macht konnte in politische Teilhabe übersetzt werden. Diese Entwicklung könnte sich auch umkehren: Wenn ein immer kleinerer Teil der Bevölkerung in der Wertschöpfungskette eingebunden ist, verlagern sich auch die politischen Gewichte. Welche Gefahren von einer kleinen Schicht von Experten ausgeht, die Deutungshoheit über wirtschaftliche Zusammenhänge beanspruchen, hat die Finanzkrise von 2008 eindrücklich gezeigt: Über Jahrzehnte haben Banken- und Finanzmarktexperten der Politik eingeredet, dass die Deregulierung der Finanzmärkte für die Wettbewerbsfähigkeit einer globalisierten Wirtschaft unverzichtbar sei. Die Politik hat auf sie gehört – und dadurch die Weltwirtschaft in ein Desaster getrieben. Unvorstellbar, was geschähe, wenn nur noch eine kleine Kaste von Hochleistungsträgern unser Volkseinkommen erwirtschaftete und die anderen zwar versorgt wären, aber kein Teil des Wirtschaftslebens mehr. Es braucht Einmischung und Expertise möglichst Vieler, um eine Dominanz von Wenigen zu verhindern. Genügend Menschen können aber nur dann am Wertschöpfungsprozess beteiligt bleiben, wenn Arbeitszeiten verkürzt und neue flexible Arbeitszeit und Lebensarbeitszeitmodelle eingeführt werden. Auf die Spitze getrieben hat diesen Gedanken bereits John Maynard Keynes in seinem Essay „Wirtschaftliche Möglichkeiten unserer Enkelkinder“, als er eine 15-Stunden-Woche für realistisch und erstrebenswert hielt. Das war 1930. Er dachte, dass die ?Vision in 100 Jahren Wirklichkeit würde. Eine ambitionierte Zeitachse. Wir werden sie nach hinten verlängern müssen. Die Frage aber stellt sich uns auch heute wieder mit neuer Dringlichkeit. Das Weißbuch „Arbeit 4.0“, das Arbeitsministerin ?Andrea Nahles und die beauftragten Autoren Ende vergangenen Jahres vorlegten, argumentiert ganz vorsichtig in Richtung Umverteilung von Arbeit. Ein „persönliches Erwerbstätigenkonto“ könnte es Arbeitnehmern einfacher machen, im Laufe ihres Arbeitslebens ein Sabbatical oder Fortbildungen einzulegen oder einen Übergang in den ?Ruhestand geschmeidiger zu gestalten – alles Maßnahmen, die Arbeitszeit verringern und flexiblere Arbeitsmodelle ermöglichen. Ein gesetzliches Grundeinkommen ?sehen die Autoren des Weißbuches nicht als Lösung: So würde das Risiko einer Spaltung zwischen denjenigen, „die Arbeit haben und daher über ein vielfach höheres Einkommen als das Grundeinkommen verfügen können“ und denjenigen, „die auf eigenen Wunsch oder gezwungenermaßen auf das Grundeinkommen angewiesen sind“, zunehmen. Gegen flexiblere Arbeitszeitmodelle wird oft die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft ins Feld geführt, mit einer „Leistungsgesellschaft“ seien solche Modelle gerade in Führungspositionen nicht vereinbar. Doch die Erfahrung der skandinavischen Länder beweist das ?Gegenteil: In Norwegen oder Dänemark machen auch Führungspersonen mal um 16 Uhr Feierabend, weil sie die Kinder von der Kita abholen müssen. Eine Vielzahl von Angeboten und gesetzlichen Regelungen erleichtern Müttern das Arbeiten, Vätern das Freinehmen. Ergebnis ist ein viel ausgewogeneres Geschlechterverhältnis am ?Arbeitsplatz. Genau daher kam die Kraft für die Verän?derung: Die Frauen wollten Gleichberechtigung – eine ?Forderung, die, anders als in Deutschland, in skandina?vischen Ländern gesellschaftlicher Konsens ist. Die Wettbewerbsfähigkeit der skandinavischen Volkswirtschaften hat durch die flexibleren Rollenmodelle keineswegs abgenommen. Die Geburtenraten gehören dagegen zu den höchsten Europas. Es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, dass ?Arbeit möglichst gleich verteilt wird – auch unter den Bedingungen von Digitalisierung und Arbeit 4.0. Dass nicht einige hochbezahlte und extrem belastete Leistungsträger für die Wertschöpfung sorgen und der Rest der ?Gesellschaft ein bescheidenes, musevolles und einfluss?loses Leben führt. Sondern dass zu einer gesunden Demokratie eine gesunde Balance gehört. Das Grundeinkommen kann durchaus helfen, negative Auswirkungen der digitalen, globalisierten Arbeitswelt ?abzufedern. Aber es löst nicht alle ihre Probleme. Wir müssen viel ambitionierter mit den Chancen des technologischen Wandels auch für unsere Gesellschaft umgehen.