Zeitenspiegel Reportagen

Eine Partie mit...Sahra Wagenknecht

Erschienen in "natur", 06/2015

Von Autoren Tilman Wörtz und Jan Rübel

Monopoly gilt als Symbolspiel des Raubtierkapitalismus. Dessen Dynamik zu zeigen, war tatsächlich die Absicht der Erfinderin. Doch Regeln lassen sich ändern. Auch die für unsere Wirtschaftsordnung

In den Fluren des Abgeordnetenhauses in Berlin, Wilhelmstraße 68, tönt ein penetrantes Signal – es ruft die Politiker zu einer namentlichen Abstimmung. Sie müssen über die Pkw-Maut für Ausländer auf deutschen Autobahnen entscheiden. Als der Ton endlich verstummt, vermeldet Sahra Wagenknechts Assistentin: „Jetzt kommt sie sicher gleich.“ Das Büro misst 20 Quadratmeter. Hinter dem Schreibtisch steht ein breites Bücherregal, darin auch zwei Bände über Ludwig Erhard, der zuerst als Wirtschaftsminister, dann als Kanzler die soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik prägte und von Sahra Wagenknecht immer wieder als Referenzgröße zitiert wird – zur Verwirrung vieler Linker und Konservativer gleichermaßen. Auf dem Schreibtisch Blumensträuße. Vor zwei Tagen wurde Wagenknechts Hochzeit mit Oskar Lafontaine publik. Ansonsten im Raum: eine schwarze Sofagarnitur samt Tischchen. Darauf ein Monopoly-Brett. Das Spielgeld haben wir – die natur-Redakteure Jan Rübel und Tilman Wörtz – bereits ausgeteilt: 1 x 500 Euro, 4 x 100 Euro, 1 x 50 Euro, 2 x 20 Euro, 4 x 10 Euro, 1 x 5 Euro. Streng nach den Regeln. Wir zweifeln noch, ob sich Sahra Wagenknecht tatsächlich auf dieses Symbolspiel des Raubtierkapitalismus einlassen wird, auf das sie in ihren Büchern und Reden oft verweist. Drei Minuten später steht sie in der Tür ihres Büros.

Wörtz: Frau Wagenknecht, wann haben Sie das letzte Mal Monopoly gespielt?

Wagenknecht: Lange her. Ich weiß gar nicht, ob ich die Regeln noch kann.

Rübel: Sie spielen also mit?

So war das gedacht, oder?

Wörtz: Sie sind zuerst an der Reihe … bitte.

Wagenknecht wählt das Pferd als Spielfigur, Wörtz das Auto und Rübel den Hut. Jan Rübel spielt auch die Bank. Wagenknecht würfelt.

Rübel: Haben Sie als Jugendliche in der DDR auch Monopoly gespielt?

Ja, wir hatten bereits vor dem Mauerfall ein Spiel von Bekannten bekommen.

Rübel: War das Spiel in der DDR nicht verboten?

Man konnte es nicht kaufen. Aber man musste auch nicht die Vorhänge zuziehen, wenn man spielen wollte. Es wäre ja auch völlig bekloppt gewesen, ein so lehrreiches Spiel zu verbieten. Durch Monopoly lässt sich die Dynamik des Kapitalismus ziemlich gut verstehen: Der Markt macht den Starken stärker und den Schwachen schwächer. Bis die Starken irgendwann eine Geschäftspolitik machen können, die kundenfeindlich ist. Sie können ihre Serviceabteilungen reduzieren, ihre Preise erhöhen. Das erlebt man ja ständig.

Wörtz: Monopoly wurde 1904 tatsächlich als didaktisches Spiel erfunden, von der amerikanischen Stenotypistin Elisabeth Maggie. Sie war Anhängerin des Sozialreformers Henry George. Es gab ursprünglich einmal zwei Regelwerke: Das bekannte, wonach ein Spieler reich wird und alle anderen Spieler in den Bankrott treibt. Und ein heute unbekanntes, bei dem eine Steuer die Unterschiede ausgleicht.

Dann spielen wir doch die!

Wörtz: Die alternativen Regeln sind leider verschollen. Aber wir könnten sie neu erfinden … Sie haben einen Pasch, Sie dürfen noch mal.

Eins, Zwo: Ereignisfeld. Da weiß man nie, was einem blüht.

Sie liest vor.

„Du bist zum Vorstand gewählt worden.“ Krieg ich jetzt Boni? Denkste!

Sie liest weiter.

„Zahle jedem Spieler 50 Euro.“ Das ist nun aber unrealistisch. Ich meine, im realen Leben, ein Vorstandsposten…

Rübel: Hat man Ihnen schon einmal einen angeboten?

Einen Posten im Aufsichtsorgan einer Sparkasse. Aber das ist ja ein kommunales Mandat und ich habe es auch nicht gemacht.

Rübel: Würden Sie einen Vorstandsposten annehmen?

Fünf, Sechs. Nein. Dafür muss man ausreichend Zeit haben … Irgendwie habe ich kein Glück: Jetzt bin ich auf diesem nutzlosen „Frei Parken“-Feld gelandet.

Auch Rübel hat Pech: Er muss ständig belanglose Ereigniskarten ziehen. Wörtz dagegen baut seinen Immobilienbesitz aus: Seestraße, Lessingstraße, Rathausplatz. Er legt die Urkunden provozierend ordentlich, nach ihrem Wert aufsteigend, auf den Tisch.

Rübel: Die Konzentrationsdynamik bei Monopoly kommt über die großen Unterschiede bei den Mieten zustande. Wir könnten die Mietpreise deckeln. Dann würde das Spiel gerechter verlaufen und länger dauern.

Oder wir könnten eine Vermögenssteuer einführen: Je mehr einer einnimmt, desto mehr Steuern muss er zahlen. Das würde schon ein bisschen ausgleichen.

Rübel: So wie im echten Leben?

Ja. Vermögen muss besteuert werden. Durch eine fünfprozentige Millionärssteuer. Also: Freibetrag bis eine Million Euro. Und wenn ein Betrieb das Vermögen in Belegschaftsanteile verwandelt, dann kann man ihn von der Vermögenssteuer befreien, aber nur dann.

Wörtz: Bei Monopoly gibt es ein gewaltiges Steuerschlupfloch: Nur, wenn man direkt auf dem Steuerfeld landet, muss man zahlen – alle anderen kommen ungeschoren davon.

Also, machen wir zehn Prozent Vermögenssteuer, auch wenn man das Feld nur passiert?

Wörtz: Einverstanden. Wir können den Betrag ja mit der Auszahlung bei „Über Los“ verrechnen. Und wollen wir die Auszahlung auf 400 Euro verdoppeln? Das bringt mehr Liquidität ins Spiel.

Wir pumpen Geld ins System. Das verändert relativ wenig. Es verzögert nur, dass einer Pleite geht. Das ist das Prinzip Draghi: Ich finanziere Schulden angeblich für die Schuldner, in Wirklichkeit aber für den Gläubiger, damit der immer weiter kassieren kann. Bei Monopoly nützt es dem Spieler, der eh schon die Nase vorne hat – also Ihnen. Sie blickt Wörtz vorwurfsvoll an. Sie profitieren davon, dass die Spieler, die abgehängt sind, ein bisschen länger zahlungsfähig bleiben und Sie Ihre Mieten kassieren können.

Wagenknecht würfelt eine Zwei und eine Drei und rückt auf den Südbahnhof vor.

Den kauf’ ich. Wie viel kostet der?

Rübel: 200 Euro.

Meine Güte, ist das teuer.

Wörtz: Wir könnten die Eisenbahnen verstaatlichen. Und Wasser und Strom gleich mit. Das fordern Sie doch, oder?

Ja. Das sind natürliche Monopole. Die Investitionskosten für ein Schienennetz oder Wasserleitungen sind so hoch, dass ein konkurrierendes Angebot völlig unwirtschaftlich wäre. Markt funktioniert da nicht. Die Kunden sind also auf Gedeih und Verderb dem Preis ausgesetzt, zu dem ihnen das Wasser angeboten wird. Das ist die Lizenz zum Abzocken. Wenn Marktmechanismen irgendeinen Sinn haben sollen, dann ja den, dass Anbieter unter Konkurrenzdruck kommen und sich eben nicht beliebige Geschäftspraktiken leisten können. Bei solchen Grundversorgungsgütern funktioniert das aber alles nicht. Deshalb wurde in vielen Ländern die Privatisierung der Grundversorgung wieder rückgängig gemacht – in Großbritannien etwa die Eisenbahn oder in Argentinien die Wasserversorgung.

Wörtz: Also verstaatlichen wir. Einverstanden?

Dann bin ich meinen Bahnhof wieder los. Krieg ich dann das Geld zurück?

Rübel: Den Einkaufspreis.

Aber das gilt dann für alle! Keiner darf mehr Bahnhöfe kaufen!

Rübel: Genau. Ab jetzt haben wir eine öffentliche Grundversorgung für Wasser, Strom und Mobilität. Das erhöht die Bewegungsfreiheit auf dem Spielfeld enorm. Weil man dann nicht mehr überall löhnen muss.

Wörtz: Wieso führen wir bei unserem Spiel nicht gleich den Sozialismus ein? Vorschlag: Einer würfelt, aber von Anfang an rücken alle Spieler gemeinsam um genau die gleiche Augenzahl vor. Dann kann niemand eine Straße kaufen, die der andere nicht auch haben könnte.

Ich finde schon, dass eine Wirtschaft Anreizstrukturen braucht. Das wäre bei völliger Gleichheit ja nicht mehr der Fall. Wer etwas leistet, der sollte dafür auch eine Belohnung bekommen. Und wer sich ein nettes Eigenheim gebaut hat, der sollte schon die Gewähr haben, dass da nicht plötzlich ein zweiter auf dem gleichen Grundstück sein Haus baut. Aber niemand sollte mehr andere abzocken dürfen – so wie ich jetzt, ich krieg nämlich jetzt Miete für die Münchner Straße …

Rübel: Oh, oh. Das läuft ja gar nicht gut. Erst bin ich im Gefängnis und jetzt muss ich auch noch Miete zahlen. Eigentlich bin ich doch jetzt schon auf der Verliererstraße, oder?

Doch auch bei Wagenknecht läuft es nicht gut: Sie würfelt sich regelmäßig auf die verstaatlichten Grundversorgungsfelder.

Schon wieder so ein Ding! Ich steh ja bis jetzt wirklich blöd da, mit meinen zwei mickrigen Straßen, während er hier schon die halbe Platte aufgekauft hat. Wieder sieht sie Wörtz vorwurfsvoll an.

Rübel: Frau Wagenknecht, wir beide könnten doch eine Genossenschaft gründen und alles zusammenlegen. Sie verwalten die Straßen, ich das Geld. Dann können wir vielleicht bestehen.

Also, zumindest müssten wir uns nicht mehr gegenseitig zahlen und können früher bauen – aber gegen diese Übermacht kommen wir wahrscheinlich auch mit unserer Genossenschaft nicht an.

Rübel würfelt eine Fünf und eine Vier und landet auch auf der Berliner Straße, die Wörtz gehört.

Rübel: Kollege, willst du nicht unserer Genossenschaft beitreten?

Wörtz: Nix da, her mit meiner Kohle.

Rübel muss bei der Bank Geld wechseln und verzählt sich beim Rausgeben.

Rübel: Oje. Eine Bank, die nicht rechnen kann. Davon gibt es leider allzu viele, das haben wir ja in der Finanzkrise 2008 gesehen. Wörtz: Aber hat die Finanzwelt nicht aus ihren Fehlern gelernt? Immerhin haben wir nun eine Bankenunion. Außerdem gibt es höhere Eigenkapitalregeln für Banken. Zudem wurde der Bankenfonds … Das sehe ich ganz anders. Man hat den Banken keine Ketten angelegt. Sie drehen weiter an einem riesigen Spekulationsrad, handeln mit aberwitzigen Derivaten. Wieder entstehen riesige Blasen auf den Vermögensmärkten. Das lohnt sich für die Banken – bis die Blasen platzen. Doch sie haben weiterhin zu wenig eigenes Kapital, um im Ernstfall selbst zu haften. Die Regeln sind viel zu lasch: drei Prozent! Die Quote müsste eher bei 10 bis 25 Prozent liegen.

Rübel: Wie müssten die Finanzmärkte reformiert werden?

Banken müssten drastisch verkleinert werden und viele Bereiche des sogenannten Investmentbankings würden sich erübrigen, wenn klar wäre, dass weder Notenbank noch Staat einspringen, wenn etwas schief geht. Wir brauchen Banken, die sich auf ihre Aufgabe konzentrieren: Spareinlagen einsammeln und damit Investitionen finanzieren, vor allem in der eigenen Region. Ein bisschen so, wie das die Sparkassen und Genossenschaftsbanken ja tun. Die weltweit tätigen Banken dagegen machen nach wie vor überwiegend Geschäfte, die kein Mensch braucht und die großen Schaden anrichten können. Bin ich schon wieder dran?

Wörtz: Der Vordenker der Gemeinwohlökonomie Christian Felber fordert die Abschaffung der Börse. Die Aktiengesellschaften, die dort notiert seien, würden nur einen sehr kleinen Teil zu unserem Wohlstand beitragen, die Turbulenzen dagegen Schaden anrichten.

Die Forderung ist richtig. Seit Längerem finanzieren die Börsen in den Industrienationen keine Investitionen mehr, per Saldo wird durch Aktienrückkäufe mehr Geld aus den Unternehmenskassen rausgezogen als durch Neuemission von Aktien reinfließt. Unternehmensleitungen beglücken sich und die Aktionäre, statt Gewinne zu reinvestieren. Die Börse ist derzeit wie Monopoly: ein spekulatives Nullsummenspiel mit großen Gewinnen für wenige. Das kann man sich sparen.

Rübel: In einer globalisierten Wirtschaft braucht es Unternehmen, die über das nötige Kapital verfügen, um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen. Woher soll dieses Kapital kommen, wenn nicht von der Börse?

Mir schwebt eine Wirtschaftsordnung vor, in der Unternehmen als Stiftungen organisiert sind oder denen gehören, die in ihnen arbeiten. In die also nicht irgendein Hedgefonds einsteigen und sie ausweiden kann. Nehmen Sie zum Beispiel eine Firma wie Carl Zeiss, die als Stiftung organisiert ist und seit fast 200 Jahren erfolgreich am Markt ist, weil sie nie unter Druck stand, große Summen auszuschütten, sondern ihre Überschüsse reinvestieren konnte. Und die deshalb auch in schwierigen Zeiten wie der Weltwirtschaftskrise genügend Polster hatte. Der geistige Vater der sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken, war übrigens den Rechtsformen GmbH und AG gegenüber sehr kritisch eingestellt. Wegen der beschränkten Haftung. Unternehmen werden so zum Anlageobjekt von Renditejägern, die mit der eigentlichen Produktion nichts zu tun und wenig zu verlieren haben. Sie kommen und gehen und wollen dabei möglichst viel mitnehmen. Ich halte es für weit sinnvoller, wenn ein Unternehmen seinen Mitarbeitern gehört – die haben viel mehr Anreiz, sich für eine langfristig erfolgreiche Unternehmensstrategie einzusetzen, denn daran hängt ihr Arbeitsplatz.

Rübel: So, jetzt müssen wir hier aber mal ordentlich bauen. Je billiger die Straßen, desto schneller müssen Hotels drauf, sag ich immer. Bad- und Turmstraße machen wir jetzt dicht, ja, Frau Wagenknecht? Einverstanden.

Durch eine rege Bautätigkeit der Genossenschaft Wagenknecht-Rübel gerät der einzige verbleibende Kapitalist Wörtz in Rückstand. Ein paar unglückliche Würfe verschlechtern seine Lage.

Wörtz: Ihr hattet mir doch vorher angeboten, Eurer Genossenschaft beizutreten? Gilt das Angebot noch?

Rübel: Was meinen Sie, Frau Wagenknecht? Nehmen wir ihn auf? Naja, wir sind ja keine Unmenschen. Aber dann können wir uns das mit dem Hin- und Herschieben des Geldes eigentlich auch gleich ganz sparen.

Wörtz: Also, man muss schon sagen: Wenn die Gerechtigkeit zu groß wird, ist der Reiz des Spiels dahin. ?