Zeitenspiegel Reportagen

Wie ein SPD-Bürgermeister zur NPD-Ikone wurde

Erschienen auf "Spiegel-Online", 2011

Von Autor Frank Brunner

Der Lebenslauf von Hans Püschel war der eines aufrechten Demokraten: In der DDR galt er als Staatsfeind, nach der Wende engagierte er sich in der SPD. Doch nun kandidiert der Bürgermeister aus Sachsen-Anhalt für die rechtsextreme NPD - warum nur?

Eigentlich hat Hans Püschel immer alles richtig gemacht. Er ist jetzt 62 Jahre alt, und bis vor wenigen Wochen war er eine Art Musterdemokrat. In der DDR wurde Püschel verurteilt, weil er mit der polnischen Oppositionsgewerkschaft Solidarnosc sympathisiert hatte; nach der Wende gehörte er zu den Gründern der SPD im Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt. Seit Jahren ist er Bürgermeister des 560-Einwohner-Dorfs Krauschwitz. Püschel gilt als erfahrener Kommunalpolitiker, er ist Mitglied der Kirchengemeinde und sozial engagiert.

Am vergangenen Sonntag steht Hans Püschel auf einer schäbigen Bühne im Krauschwitzer Gemeindehaus und schwärmt von “tausend großen Jahren”, in denen “am deutschen Wesen die Welt genesen” sei. Sein Auftritt sorgt für Begeisterung beim Publikum. Die rund 70 Rechtsextremisten im Saal tragen ihre Präferenzen ganz offen zur Schau. “88”, steht auf der Jacke eines Skinheads - der Code für “Heil Hitler”. Ein angetrunkener Mann pöbelt gegen die Handvoll Journalisten, die “ihre Seele den Systemmedien verkauft” hätten, ein anderer wirbt für das “Kampfgeschwader Magdeburg”. Die meisten sind jenseits der 60, und in einigen Gesichtern hat der Alkohol seine Spuren hinterlassen.

Es ist der Wahlkampfauftakt der NPD in Sachsen-Anhalt, und fast die gesamte Führungsspitze der Partei ist nach Krauschwitz gereist. Die rechte Truppe rechnet sich gute Chancen aus, am 20. März in den Magdeburger Landtag einzuziehen. Laut Umfragen liegt die NPD bei derzeit vier Prozent. Und deshalb haben die Funktionäre in einen muffigen Mehrzweckraum geladen, der mit seinem Holztresen, den Glaskugellampen und Wandpaneelen den Charme der siebziger Jahre versprüht. Mittendrin ein ehemaliger Sozialdemokrat. Hans Püschel, graue Haare, Stoppelbart, kräftige Statur, ist Direktkandidat der NPD und ihr neuer Star. Hier im Gemeindehaus, wo der Putz von den Wänden bröckelt und die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, klopfen ihm Nazis auf die Schulter. Manche lassen sich sogar stolz mit ihrem Idol fotografieren.

Demokratisches Aushängeschild der NPD

Anfang November hatte Püschel den NPD-Bundesparteitag im benachbarten Hohenmölsen besucht und dabei seine Sympathie für die braune Truppe entdeckt. Er habe keinen Satz gefunden, den er nicht hätte unterschreiben können, sagte er seinerzeit. Nach 20 Jahren SPD-Mitgliedschaft gab Hans Püschel sein Parteibuch zurück und tourt nun als Konvertit durch die Lande. Zur Fusionsfeier von NPD und DVU Mitte Januar in Berlin war er einer der Hauptredner. Parteichef Udo Voigt nennt ihn “Herr Bürgermeister”. Hans Püschel ist das demokratische Aushängeschild für eine NPD, die vor den kommenden sieben Landtagswahlen Seriosität suggerieren möchte.

Als einen “politischen Geisterfahrer” bezeichnet ihn Rüdiger Erben, Staatssekretär im Magdeburger Innenministerium und bis vor acht Wochen Parteifreund von Püschel. Dieser fühlt sich zunehmend unter Druck gesetzt. Vom Kreiskirchenrat wurde er ausgeschlossen, und bei einer internen Sitzung am vergangenen Mittwochabend legten ihm Mitglieder des Gemeinderats den Rücktritt als Bürgermeister nahe. Doch Püschel will sich wehren. Er werde Beschwerde bei der Kirchenleitung in Magdeburg einlegen und notfalls bis vors Verwaltungsgericht ziehen, kündigt er am Donnerstag an. “Ich bin 40 Jahre in der Kirche aktiv, so leicht lasse ich mich nicht abschieben”, sagte er. Auch sein Amt als Ortschef von Krauschwitz werde er in den kommenden Monaten weiter ausüben. Trotz “aller Schikanen”, wie er sagt - zur Veranstaltung im Gemeindehaus wurde am Wochenende trotz Minusgraden die Heizung abgedreht. “Ich muss mich hier vorführen lassen”, schimpft er wenige Stunden nach seinem Vortrag.

Warum Püschel sein Heil am rechten Rand sucht

Hans Püschel sitzt im Arbeitszimmer seines Häuschens am Rande des Ortes. Ein weißer Engel aus Sperrholz hängt an der Eingangstür; “Willkommen”, steht darunter. Mit Journalisten wollte er eigentlich nicht mehr sprechen. “Ich werde ja doch nur als Nazipropagandist dargestellt.” Aber dann erzählt Püschel doch. Es ist die Geschichte eines ostdeutschen Kommunalpolitikers, der über die Jahre an seiner Machtlosigkeit verzweifelt und der nun sein Heil am rechten Rand sucht. Und es ist eine Geschichte, die zeigt, dass das krude Weltbild der NPD längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Püschel stammt aus einem bürgerlichen Elternhaus. Das sei sicher ein Grund gewesen, warum er mit der DDR nie viel am Hut hatte, sagt er. Als in den achtziger Jahren Polen in eine Wirtschaftskrise schlittert, beteiligt sich auch Püschel an der Solidaritätskampagne für den sozialistischen Bruderstaat. Zwei Pakete schickt er zu Weihnachten nach Polen. “Haltet zu Solidarnosc”, schreibt er auf die beigefügten Karten. Die Gewerkschaft ist von der polnischen Regierung Ende 1981 verboten worden, und auch die Machthaber diesseits der Oder fühlen sich von Solidarnosc bedroht. Kein Wunder also, dass eins von Püschels Päckchen von der Stasi abgefangen wird. Polizisten holen ihn von der Arbeit ab, durchsuchen sein Haus. Es folgt eine Anklage und später die Verurteilung zu einer Geldstrafe. “Damit war meine berufliche Laufbahn erledigt”, sagt Püschel, der damals als Ingenieur im Maschinenbau gearbeitet hat.

Erst das Ende der DDR bietet ihm die Chance zu einem Neustart. Damals gründet er in seinem Heimatkreis mit anderen Oppositionellen eine SPD-Ortsgruppe. Die Sozialdemokraten seien die einzige neue Partei in Ostdeutschland gewesen, begründet er diesen Schritt. Insgesamt 15 Jahre ist er ehrenamtlicher Bürgermeister in Krauschwitz. Zuletzt wird er 2008 ins Amt gewählt. “Wenn mich die Gemeinschaft braucht, dann mach ich was”, betont er.

Hartz IV, Elend, Machtlosigkeit

Doch mit den Jahren wächst seine Unzufriedenheit. “Es ist ein schleichender Prozess gewesen”, sagt Püschel. Irgendwann sei das Geld in seiner Gemeinde immer knapper geworden, manche Kinder können ihr Mittagessen in der Schule nicht bezahlen. Püschel muss Mahnungen an die säumigen Eltern unterzeichnen. Er organisiert, dass es wenigstens zum “Frühstück eine Bemme gibt” - also ein Butterbrot -, und fordert die Einführung einer Ganztagsbetreuung. Doch in Sachsen-Anhalt haben Kinder arbeitsloser Eltern nur einen Rechtsanspruch auf täglich fünf Stunden Kita-Betreuung.

“Unglaublich”, findet das Püschel bis heute. Er habe das Elend in vielen dieser Familien kennengelernt. Regelmäßig sehe er völlig verwahrloste Wohnungen, in denen überforderte Eltern mit ihren drogenabhängigen Kindern lebten. Seit 15 Jahren besitzt Püschel einige Häuser im nahegelegenen Weißenfels. Rund 60 Mieter leben in seinen Wohnungen, etwa 80 Prozent bekommen Hartz IV. “Als Vermieter habe ich ständig Berührung mit diesem Elend”, sagt Püschel. Aber mehr, als manchmal die Familienhilfe zu informieren, könne er nicht tun.

Nach einer Gemeindereform fühlt sich Püschel schließlich seiner letzten Kompetenzen beraubt. Seit dem 1. Januar gehört Krauschwitz zur Stadt Teuchern. “Wir dürfen keine Verträge mehr unterschreiben, Sporthalle und Gemeindesaal nicht selbst verwalten, nicht mal auf die Kindergartensatzung haben wir noch Einfluss”, klagt er.

“Was ist denn die Alternative?”

Nun setzt Hans Püschel auf die NPD - und deren schlichte Parolen. Zuerst habe er mit der Partei nur sympathisiert, weil alle gegen sie waren. Später folgt Püschel auch den vermeintlichen Lösungen der Rechten. “Wenn Millionen arbeitslose Ausländer keine Sozialhilfe mehr bekommen und in ihre Heimatländer geschickt würden, dann wäre genug Geld für die deutsche Unterschicht da”, sagt er. Dass manche der Migranten einen deutschen Pass haben oder das Sachsen-Anhalt mit gerade mal 1,9 Prozent den geringsten Ausländeranteil aller Bundesländer hat, lässt er nicht gelten. Auch nicht, dass sich unter seinen neuen Parteifreunden jede Menge Straftäter befinden, die wegen Volksverhetzung oder Körperverletzung verurteilt wurden. “Was ist denn die Alternative?”, fragt Püschel.

Die CDU ist ihm zu links geworden, die SPD sei verantwortlich für die Hartz-IV-Gesetze, die FDP unterstütze nur Banken und Lobbyisten, und die Linke, deren Positionen er teilweise auch vertritt, ist die Partei seiner früheren Verfolger. Bleibe also nur die NPD. Und dann redet Püschel von Müttergeld und Arbeitsdienst und dem deutschen Volk, das unterzugehen droht. “Die Familienpolitik bei den Nazis war nicht schlecht, das wird man ja noch sagen dürfen.”

Seine Stimme wird manchmal brüchig. Es ist dunkel geworden in Krauschwitz, und Hans Püschel wirkt erschöpft. Der Bürgermeister muss sich erst mal erholen. Am kommenden Wochenende findet im Gemeindehaus die nächste NPD-Veranstaltung statt: eine Schulung für Kommunalpolitiker.