Zeitenspiegel Reportagen

Ach, Jugoslawien!

Erschienen in MUT #1, 10/16

Von Autor Tilman Wörtz

In den Jugoslawien-Kriegen hat sich ein Vielvölkerstaat zerlegt. Unter den Folgen leidet die Region noch heute. Reporter Tilman Wörtz und Fotograf Uli Reinhardt haben auf einer Reise über den Balkan Menschen aufgesucht, die sich für Versöhnung und ein besseres Leben einsetzen. Ihr Einsatz vermindert den Wunsch vor allem junger Leute, in EU-Staaten zu flüchten

Der Herr am Empfang sieht selten Gäste. Wenn doch mal einer kommt, antwortet er einsilbig „Guten Tag, ist das hier der Palast der Föderation?“ „Ja“. „Aber die Föderation gibt es nicht mehr, oder?“ „Nein“. Mehr will er nicht sagen, dabei gäbe es so viel über den monumentalen Bau aus rosaschimmernden Steinplatten zu erzählen. Er macht sich allerdings unscheinbar. Keine Fahnen an dem Stangenspalier auf dem Platz davor. Viel Glas, klare Linien. Die Architektur signalisiert: Hier geht es nicht um ein einfaches Regierungsgebäude. Von hier aus wurde der Vielvölkerstaat Jugoslawien zusammen gehalten. Der Bau sollte so schön und groß sein wie die Vision, die er repräsentierte. Jetzt versteckt sich darin das serbische Innen- und Handelsministerium. Der Vielvölkerstaat ist in den Jugoslawienkriegen von 1991 bis 1999 zerrissen worden. Einige Trümmer liegen noch am Boden: fehlende Versöhnung, hohe Arbeitslosigkeit und Korruption zeichnen die Region aus. Alle ehemaligen Teilrepubliken eint der Wunsch, von der EU aufgenommen zu werden. Solange es nicht gelingt, machen sich die Menschen einzeln auf: Aus den Balkanstaaten kamen allein im vergangenen Jahr rund 150.000 nach Deutschland, fast so viele wie aus Syrien. Im Gegenzug feiert eine Serie überall im ehemaligen Jugoslawien beispiellose Erfolge: „Lud, zbunjen, normalan“ – „Verrückt, verwirrt, normal“ – handelt von nichts anderem als der Idee, Jugoslawien wieder aufleben zu lassen. Es geht um Opa, Vater und Sohn, die ständig Probleme mit Frauen und Geld haben. Der Opa schwärmt immer noch vom alten Jugoslawien, der Vater hadert mit seinem Job als erfolgloser Rockmusikproduzent, der Sohn studiert Medizin und würde gern ein normales Leben führen, ohne dass Opa und Vater ständig reinpfuschen. Am Ende jeder Episode schreibt der Opa das nächste Kapitel eines eigenen Buches. Er will darin seine Zeit festhalten. Die Zeit des Vielvölkerstaates. Die Zeit Titos. Als Jugoslawien noch ein stolzes Industrieland war, Austragungsort für Olympische Spiele und nicht der zerrüttete Balkan. Opa schreibt: “Heute schaffen wir es gerade mal innerhalb von vierzig Jahren so viele Gebäude anzustreichen, wie Tito in vierzig Jahren gebaut hat.” Fraglich, ob sein Buch je Erfolg haben wird, im Gegensatz zu der Soap, die ein Dauerbrenner in allen Teilen Ex-Jugoslawiens ist. Obgleich sie in Sarajevo spielt. “In Sarajevo?” „Ja, in Sarajevo, wieso wundert Sie das?”, fragt Zdravka Rodic, 33. Wir treffen sie bei einem Bootstörn auf der Sava, die in den Sommermonaten die halbe Stadt an ihre Ufer lockt. Kilometer lang reihen sich Onkel Toms-Hütten und veritable Villen aneinander, Disco-Clubs und schwimmende Restaurants. Zdravka trägt zur Seidenbluse, enge Hosen und so viel Schminke, dass es auffällt, aber nicht aufdringlich wirkt. Wacher Blick. Sie arbeitet im serbischen Parlament, macht Gesetzestexte für die Bevölkerung digital zugänglich. „Es gab doch mal Krieg zwischen Bosnien und Serbien, die Belagerung Sarajevos…” „Das ist doch längst vorbei”, lacht Zdravka. “Jetzt ist alles normal.” Normal auch: Die Adriatic League im Basketball, in der Mannschaften aus allen ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken gegeneinander antreten: Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Mazedonien. Eine gemeinsame Fußball-Liga ist in Gründung. Kroatische Pop-Musik wird in Belgrad gehört und serbischer “Turbo-Folk” in Zagreb. Kroaten und Bosniaken kommen nach Belgrad in die Clubs an der Sava. Dort geht auch Zdravka Rodic gerne aus. Heute mit ihr unterwegs ein Freund, der bei Coca-Cola angestellt ist: „Ich arbeite jeden Tag mit Kroaten oder Bosniaken zusammen.” Für diese Generation ist es selbstverständlich, dass die zerbombte Autobahnbrücke in Belgrad wieder aufgebaut ist. Und dass der “ewigen Flamme” aus Kostengründen das Gas abgedreht wurde, obgleich die bronzene Sockelskulptur an die Bombenopfer erinnern sollte.

Himbeeren aus der Hölle: Von Belgrad nach Bosnien, die erste Etappe der Reise Maisfeld, Weizenfeld, Maisfeld, Weizenfeld, dann ein Fluss und dahinter die Berge. Und dann ist man in Bosnien. “Wo die Logik aufhört, da fängt Bosnien an”, schreibt der Opa in seinem Buch. Der junge Reporter hält dem Bauern sein Aufnahmegerät unter die Nase. Er will von ihm wissen, wie man gute Himbeeren erzielt. Die Mischung aus Sonne, Wasser und guter Erde macht´s, sagt der Bauer. Tagsüber zaubert die Sonne Süße in die Frucht, nachts die Bewässerung den Saft. Aber so richtig prall und fruchtig werden sie nur auf mineralischem Grund, wie auf diesem Vulkangestein. Eine gesegnet Erde, dieses Srebrenica. Bekir Halilovi schaltet das Gerät ab. Er hat genug für seinen Artikel auf der Internetplattform “eSrebrenica”. Thema: wie immer mehr Bauern von Gurken und Tomaten auf Himbeeren umstellen. Mit Fabriken in der einstigen Industriestadt Srebrenica ist es nicht mehr weit her. Und in der Silbermine arbeiten heute nur noch Serben. Vor dem Krieg war das anders. Aber darüber schreibt Bekir nicht. Die Internetplattform behandelt nicht die Vergangenheit und nicht die Politik. Sondern nur den Alltag und die “schönen Seiten” von Srebrenica. Er zeigt den Hang hinauf: „Da oben wohnt ein Kung Fu-Meister, über den habe ich auch schon geschrieben…..und dahinten ein Schuster, der dieses Handwerk noch praktiziert….und hier ist eine Autowerkstatt, die einem Serben gehört. Zu dem gehen die Serben. Zu den beiden Bosniaken gehen die Bosniaken. Wenn aber mal Teile fehlen, dann gehen die Bosniaken auch zu dem Serben.” Bekir kann es drehen und wenden wie er will: Die Vergangenheit und damit die Ermordung von 8.372 Bosniaken im Juli 1995 holt ihn immer wieder ein. Srebrenica war eine Stadt mit vielen Muslimen in einer überwiegend von Serben bewohnten Region. Eine Enklave. Die Einheiten des Serbenführers Radovan Karadzic kesselten die Stadt ein, trennten die Männer von ihren Familien und ermordeten sie. Es war das schlimmste Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Niederländische UNO-Soldaten sollten die Menschen schützen, doch sie überließen sie ihren Schlächtern. Bekirs Redaktion besteht aus zwei Serben und zwei Bosniaken. Sie ging aus einer gemischten Gruppe Jugendlicher hervor, die sich vornahm, Srebrenica wieder lebenswert für junge Menschen zu machen. „Das ist meine Rache an denen, die uns vertreiben wollten”, sagt Bekir. Er hat bereits ein „Friedenscamp” an einem Stausee oberhalb der Stadt ins Leben gerufen, in dem Jugendliche aus Bosnien zelten. „Sie sollen sehen, dass Srebrenica schöne Seiten hat.” Er war eineinhalb Jahre als sein Vater erschossen wurde, die Mutter mit den drei Söhnen flüchtete. Er hält die Stille in Srebrenica aus. Auch im Winter, wenn er kaum jemand auf der Straße begegnet, wo’s kein Konzert, keinen Kinofilm gibt. Zu wenige Einwohner sind übrig geblieben für das kulturelle Leben: rund 7000 von einst 36.366. Doch am 11. Juli füllt sich der Ort mit Menschen. Jedes Jahr am Gedenktag des Völkermords kommen Särge mit Knochen Getöteter aus der Pathologie und werden auf dem Friedhof beigesetzt. Dieses Jahr sind es 127. Angehörige reisen aus ganz Europa zur Trauerfeier an, Wanderer treffen aus den Bergen ein, wo sie die Fluchtwege Überlebender von einst in entgegengesetzter Richtung abgelaufen sind. Auch Bekir betet am Grab von Cousins und Vater. Schreiben wird er darüber nicht. Mit Stille und Einkehr ist es bald vorbei an diesem Tag: Die ersten Läufer des „Supermarathons Bihac-Srebrenica” kommen auf den Friedhof gejoggt, gefolgt von der „Extremsportgruppe Condor” aus Sanski Most. Journalisten haben ihre Übertragungswagen vor dem Friedhof platziert. Stromaggregate bollern, übertönt vom Knattern der Motorräder der „Free Riders-Gang“ aus Stari Grad. Auch der türkische Außenminister und der bosnische Präsident sind gekommen, dürfen aber keine Rede halten: Die Veranstalter wollen die Trauer nicht von der Politik vereinnahmen lassen. Die serbischen Nachbarn in Bratunac dagegen wollen sie nicht den Muslimen überlassen. Nur einen Tag später haben sie einen Gedenktag angesetzt, der sich nicht an begangenen Gräueln, sondern am Trauertag der anderen orientiert. Regelmäßig richtet die Schriftstellerin und Völkermord-Leugnerin Mariana Mulatovic Grüße von “unserem General Mladic” aus, dem Verantwortlichen für das Massaker, der in Den Haag in Haft sitzt Der bosnische Philosoph Emir Kazaz spricht von der kulturellen Matrix Bosnien- Herzegowinas nach dem Krieg, die nicht von nationalistischen Mustern befreit worden sei. In Gedenkfeiern und Reden beteuern Politiker, Veteranen und Medien, dass die eigene Volksgruppe angegriffen wurde und sich verteidigen musste. So sieht es die Mehrheit nicht nur der Muslime, sondern auch der Serben und Kroaten. Alle Parteien an der Macht sind die gleichen wie zur Zeit des Krieges. Zweidrittel des Staatshaushalts fließen in die Verwaltung. Wer in Bosnien-Herzegowina einen sicheren Job will, bekommt ihn vor allem dort. Und ist damit von diesen Parteien abhängig. Was ihnen Macht verleiht. Die Verfassung von Bosnien-Herzegowina besorgt dem Misstrauen zwischen den Volksgruppen eine dauerhafte Form. Bosnien Herzegowina besteht aus zwei Teilen: Der Republika Srpska, die von Serben kontrolliert wird, und der Föderation Bosnien und Herzegowina mit einer Mehrheit aus Muslimen und Kroaten. Alle drei Volksgruppen stellen einen Präsidenten. 160 Ministerien verwalten ein Land mit knapp vier Millionen Einwohnern. Permanente politische Blockade und wirtschaftliche Stagnation sind die Folge - denn wer investiert schon in einem Land, in dem die Schacherei um Ämter Korruption und Vetternwirtschaft fördert? Die Arbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent. Die International Crisis Group empfiehlt daher dringend, die Verfassung zu reformieren. Aber woher soll das notwendige Vertrauen kommen, wenn sich alle für Opfer halten? Der Opa schreibt: “Ein hungriger Hund bellt auch sein Herrchen an.”

Nur saubere Wunden heilen: Von Srebrenica nach Sarajevo Die Fahrt von Srebrenica nach Sarajevo ist sehr bosniakisch, führt also durch Berge und Schluchten. Während des Krieges wusste man nie, wie lange sie dauern würde: Löcher perforierten den Asphalt, Straßensperren zwangen zu Umwegen. Heute dauert die Fahrt zwei Stunden. Am Straßenrand sitzen Familien um einen Tisch vor unverputzten Häusern, das Auto parkt auf der Wiese nebenan. Ganz anders Sarajevo: Lange Boulevards führen zu einem Stadtzentrum mit funkelnden Hochhäusern, Einkaufszentren und Straßencafés. Die mehrspurige Straße Marijin Dvor war während des Kriegs Frontverlauf, von den Hügeln feuerten serbische Einheiten fünf Jahre lang Granaten auf Häuser, Autos, Märkte. Laster, quer zur Straße gestellt, sollten vor Scharfschützen schützen. Tote mussten in der Stadt begraben werden. Parks und Sportplätze wurden zu Friedhöfen, ebenso das Olympische Stadion. Die Weltpresse wohnte im Holiday Inn. Und zwischen Granateinschlag und Granateinschlag lebten die Menschen ihren Alltag, arbeiteten, heirateten, feierten, starben. „Wenn man morgen sterben kann, steigen heute die Feste”, schreibt der Opa. “Verrückt, verwirrt, normal” wird in einem ehemaligen Kulturzentrum in Sarajevo gedreht, ganz in der Nähe eines Tunnels, durch den die Stadt während des Krieges versorgt wurde - der tunnel of life. Er führte unterhalb der Startbahn des Flughafens durch. 4000 Menschen nutzten ihn jeden Tag. Auch Soldaten. Heute ist er zum Museum umgebaut. An diesem Tunnel kämpfte auch Adnan Hasanbegovic, ein traurig dreinblickender Fünfzigjähriger mit Siebentagebart. Die Stadt war für ihn dass Sinnbild einer multiethnischen Metropole - nirgends sonst in Jugoslawien gab es so viel gemischte Ehepaare. Undenkbar, dass der Krieg nach Sarajevo kommen würde. Nur einen Häuserblock vom Holiday Inn entfernt hat Adnan heute sein Büro. Er arbeitet für das Zentrum für Gewaltfreiheit (CNA) mit Veteranen aller Seiten. Serben, Muslime, Kroaten, Bosniaken besuchen gemeinsam Gedenkstätten, an denen Kriegsverbrechen stattgefunden haben. „Wir erkennen so die Opfer der anderen Seite an und unsere eigene Täterrolle”, sagt er. Mitgefühl mit den ehemaligen Feinden: Ein erster notwendiger Schritt auf dem Weg zur Versöhnung. Über Jahre hat sich der Annäherungsprozess hingezogen: Erst nahm er Kontakt mit Veteranenverbände auf, dann mit den Veteranen selbst. Sie trafen sich, in gemischten Gruppen. Dann irgendwann der gemeinsame Besuch einer Gedenkstätte, eine Kranzniederlegung, eine Rede. Die Vorwürfe aus dem eigenen Lager, man sei ein Verräter! Das erste Interview für die Medien. Das erste missratene Interview, in dem sich ein Veteran durch aggressive Fragen eines Journalisten aus der Fassung bringen lässt: “Fühlen Sie sich schuldig, Serbe zu sein?” Nach Srebrenica wollten sie nicht mehr: „Zu viel Spektakel, das eignet sich nicht für Versöhnungsarbeit.”
Warten auf die EU zwischen Neubauten und Paprikafeldern: Von Sarajevo ins Kosovo Der schnellste Weg ins Kosovo führt von Sarajevo aus über den Autoput, mit 1200 Kilometern einst die längste Autobahn Europas, die Nord und Süd des Landes verbindet, eine Hauptschlagader, durch die Waren und Menschen des Vielvölkerstaates pulsierten. Heute ist er durch vier Landesgrenzen unterteilt. Wer Pech hat, steht lange in der Schlange. „Heute Abend 17 Uhr: Progressive Muskelentspannung in der Oase. Isomatte nicht vergessen”, fordert Radio Andernach seine Hörer auf. Die wissen alle, wo die Oase liegt. Welle 106,9 FM ist der Sender für die deutschen Soldaten im Hauptquartier in Prizren, der zweitgrößten Stadt des Kosovo. Seit dem Einmarsch der NATO am 13. Juni 1999 hat ihre Präsenz die „ethnische Säuberung” durch serbische Einheiten verhindert. 10.000 Menschen kamen ums Leben, Hunderttausende waren auf der Flucht. Dörfer wurden geplündert und abgefackelt. Laut Aussage des kommandierenden Offiziers lässt sich heute die Lage mit einem Wort beschreiben: “Ruhig”. Rechts und links der Straßen fallen die vielen frisch verputzten und gestrichenen Häuser auf, die das sonst so typische Bild unfertiger Rohbauten brechen. Absurd große Gebäude wachsen zwischen Paprikafeldern und Kuhweiden in die Höhe. Läden bieten Zement, Steine, Ziegel, Farbe, Handwerkszeug oder Rohre an. Diese rege Bautätigkeit als Signal für die wirtschaftliche Erholung des Kosovo zu deuten, wäre falsch. Verwandte, die nach Europa emigriert sind, machen der Familie den Häuslebau möglich. Ihre Transferzahlungen übersteigen die erwirtschafteten Werte des Kosovo. Siebzig Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. In der Rangliste korrupter Staaten, liegt das Kovoso weit abgeschlagen vom Rest Europas auf Platz 111. Experten rätseln, wie die Wirtschaft des Kosovo stimuliert werden könnte. Die EU empfiehlt den forcierteren Abbau von Erz, Kohle, Blei und Zink. Was nur durch kapitalkräftige Investoren zu leisten wäre. Wer durch die fruchtbare Ebene des Drintals fährt, versteht, dass in diesem Wirtschaftssektor Potenzial stecken müsste. Doch die Preise für Paprika sind niedrig. Eine Kooperative von Kriegswitwen geht deshalb einen Schritt weiter: Sie verarbeiten Paprika in dem Dorf Krusha e Madhe zu der Paste Ajvar, überall auf dem Balkan als Verfeinerung von Soßen oder Beilage beliebt. Ein halbes Dutzend Frauen fingert im Hof Weißkohl in die ersten Paprika, die das Jahr zu bieten hat. Noch ist nicht Saison. Im Juli und August beschäftigt die Kooperative bis zu 43 Arbeiterinnen, die in drei großen Kesseln Paprika einkochen, würzen und in Gläser füllen. 200 Geschäfte und Supermärkte beliefert “Krusha”, mit 70 Bauern hat sie Abnahmeverträge. Die Gläser gibt´s mit unterschiedlicher Füllung: Ajvar mit Auberginen, mit und ohne Knoblauch, in Essig oder Joghurt eingelegt. Das Logo zeigt eine albanische Frau mit Kopftuch, die eine Paprika im Arm hält, als wiege sie ein Kin, Marketing-Studenten der Universität Prizren haben es entworfen.
„Wir exportieren auch in die Schweiz”, sagt Fahrije Hoti, 47, stolz. Im vergangenen Jahr drei Lkws. Sie ist eine von vier Gründerinnen und die Geschäftsführerin der Kooperative. Sie trägt Jeans, ihre Haare sind kurz, ihr Blick hart. Über die Suche nach ihren vermissten Männern haben sich die Frauen gefunden. Zuerst organisierten sie Protestmärsche. Danach die Produktion von Ajvar. Hilfsorganisationen und Ministerien gewährten Anschubfinanzierung. Ihr Sohn Drilon tritt zu ihr ins Büro, neigt seinen Kopf, während sie ihm eine Anweisung ins Ohr flüstert. Er arbeitet in der Kooperative und studiert in Prizren Betriebswirtschaft. Viele junge Männer aus Krusha sind nach Deutschland und die Schweiz ausgewandert. Nach Deutschland auswandern? Kommt für ihn nicht in Frage, sagt die Mutter. „Dorthin gehen nur die, die nicht arbeiten wollen. Arbeit gibt´s hier genug.”

Alles schlechte kommt von draußen : Vom Kosovo nach Mazedonien Zwei Faktoren haben die Volksgruppen auf dem Balkan über die Jahrhunderte geprägt: Die sich immer wieder verschiebende Grenze zwischen Osmanischem Reich und Europa, zwischen Christentum und Islam – und die Berge. Der Weg vom Kosovo nach Mazedonien führt über eine Passstraße. Auch auf mazedonischer Seite leben Albaner. Aber sie sind dort in der Minderheit. Und das prägt das Land bis heute. Theatertage in Prilep, : Ensembles aus dem ganzen Land präsentieren ihre Stücke. Nach den Aufführungen trifft sich das Publikum unter Sonnenschirmen in der Bar im Hinterhof des Theaters. Zwei sind immer dabei, treue Fans: Marina Gjorgijoska und ihr Mann. „Gesellschaftskritik fand bisher ausschließlich im Theater statt”, sagt Marina und nimmt einen Schluck Bier. Die Medien taugten dafür schon lange nicht mehr. Beide blicken verächtlich auf einem älteren Herr in schwarzem Hemd und dunkler Jeans, die graue Mähne lässig nach hinten gekämmt. „Der Intendant”. Aus ihrem Mund klingt es wie ein Schimpfwort. „Er macht die Theaterszene kaputt. Seit er dran ist, kommen fast keine kritischen Stücke mehr durch.” Die Regierung fürchtet Kritik. Fordert die albanische Minderheit gleiche Rechte, wird sie verdächtigt, von Großalbanien zu träumen - einem Zusammenschluss mit Albanien und dem Kosovo. Der Konflikt zwischen albanischer Minderheit und mazedonischer Mehrheit hatte bereits 2001 zu einem kurzen Bürgerkrieg geführt. Kritisieren Hilfsorganisationen Korruption und Inkompetenz der politischen Klasse, kontern Politiker mit dem Vorwurf, die Kritik käme aus dem Ausland. „Von George Soros gesteuert”, hatte sogar der Premierminister gepoltert - ein direkter Angriff auf die Organisation Zentrum für Zivilgesellschaft (CCI), für die Marina arbeitet. Sie wurde auch von der Open Society Foundation unterstützt, die der Börsenspekulant George Soros gegründet hat. „Sie haben Angst um ihr Fell”, sagt Marina. Korrupte Politiker forderten nur deshalb ein engeres Bündnis mit Russland, um von der EU nicht an rechtsstaatlichen Standards gemessen zu werden. Die Propaganda fruchtet: Immer weniger Mazedonier stimmen einem möglichen Beitritt in EU und NATO zu . Marina und ihr Mann arbeiten dagegen für mehr Toleranz und Zusammenhalt: mit Schülern von dreißig gemischten Schulen, an denen seit fünfzehn Jahren das Zentrum für Zivile Initiative (CCI) sogenannte Vertrauenszirkel zwischen albanischen und mazedonischen Jugendlichen organisiert. Die Schulen werden zwar von Albanern und Mazedoniern besucht, doch zu unterschiedlichen Tageszeiten. Politiker treiben bereits den Bau der ersten räumlich getrennten Schulen voran. Auf beiden Seiten erhoffen sie sich so mehr Zustimmung von ihrer Klientel. “In den Vertrauenszirkeln können sich die Schüler ihre Ängste erzählen. Und müssen den Ängsten der anderen Seite zuhören. Besonders vor Wahlen steigen die Spannungen, auch auf den Schulhöfen.” Ihr Ideal wären gemeinsame Klassen beider Volksgruppen. Die Vertrauenszirkel sind der erste Schritt zu diesem Etappenziel. Auch die Kleinen wollen groß sein: An einem geheimen Ort im ehemaligen Jugoslawien, die letzte Etappe der Reise Egal, wen wir auf unserer Reise treffen, es geht immer um den Wunsch nach Zugehörigkeit. Das Gefühl, allein zu stehen, zu klein für diese Welt zu sein und sich jemandem anschließen zu müssen, damit die Dinge richtig funktionieren. Wir müssen an eine Begegnung mit Fedja Isovic denken, dem Autor der Serie “Verrückt, verwirrt, normal”. Es ist heiß und riecht schon ein wenig nach adriatischer Küste. Fedja Isovic verbringt die Sommermonate nicht in Sarajevo, wo er das Jahr über arbeitet. Er lädt in ein Bistro namens „Hedonija” ein - und bestellt einen Tee. Der Ober wundert sich: „Tee? Du?” Fedjas Isovics Grinsen changiert zwischen Lausbub und Spötter - als wäre er damit auf die Welt gekommen. „Sind Sie Kroate oder Bosniake?” Fedja Isovic verweigert die Antwort. „Ich bin Jugoslawe.” Im Grunde seien sie alle noch Jugoslawen, sagt er, „sie wissen es nur nicht mehr.” Auch wenn der Satz witzig klingt, kippt seine Mine jetzt ins Ernsthafte: „Wieso gefällt allen meine Serie so?” fragt er. 350 Folgen in zehn Jahren, in allen Teilrepubliken gesendet und vielfach wiederholt. „Weil ich in ihr das Gefühl für Jugoslawien wieder auferstehen lasse: Sie spielt zwar in Sarajevo, aber es kommen Kroaten, Serben, Slowenen vor. Ohne dass dies groß thematisiert würde. Es ist einfach so selbstverständlich wie früher auch.” Das soll ihm mal einer erklären: Sie hätten alle dieselbe Sprache, denselben Humor, dieselbe Geschichte. Was soll also das nationalistische Gedöns? Eine gigantische Gehirnwäsche hätte die Menschen verwirrt, die Politik sie instrumentalisiert. Sonst wäre es nie zu den Kriegen gekommen. Fedja lebt vom Schreiben, auch von Drehbüchern für ernsthafte Filme. Und spielt nebenher in einer Punk-Band. Vor drei Jahren ist sein Schlagzeuger nach Deutschland ausgewandert: Als Chirurg hatte er ein gutes Angebot. „Alle wollen jetzt in die EU - dabei hatten wir die EU: Wir konnten überall hin, uns ging es gut.” Der Opa schreibt: “Selbst die Jungen vermissen Jugoslawien. Sie wissen es nur nicht.”