Zeitenspiegel Reportagen

Das Lächeln des weißen Tuan

Von Autor Erdmann Wingert

Über die Reise eines merkwürdigen Gastes auf dem Mahakam, die zu einem Ort führt, wo er nichts zu suchen hat.

Welch ein großer Tuan! Ein baumlanger, mit vielen Geldscheinen und Reisetaschen bestückter Herr! Einmal rund um die Welt, über Jakarta bis nach Balikpapan, der Ölstadt im Osten Kalimantans, ist er geflogen, um auf dem Mahakam durch Borneo zu kreuzen. Musa, der Tour-Manager, hat ihn durch die verbrannte, bis auf den roten Grund gerodete Landschaft nach Samarinda chauffiert, und dort wohnt er nun im Grandhotel, wohltemperiert durch Aircondition und kühle Getränke, in Luxus gebettet zwischen Bar, Golfplatz und Swimmingpool, mit Rundblick über die zehntausend Hütten und Häuschen, die sich um den Mahakam scharen.

Musa erzählt es fast beiläufig, aber die Besatzung der „Ayus” zeigt sich beeindruckt. Busransyah, der Boy, und Naim, der Koch, werden sich noch heute schwarze, ungemein feierliche Hüte beim Chinesentrödler am Hafen kaufen, das steht fest. Denn ein hoher Gast darf erwarten, würdig empfangen zu werden und verheißt im Übrigen Trinkgelder, die diese Investitionen ermöglichen. Der alte Mastura dagegen, der schon Java und Sulawesi bereist hat, rät ab von solchem Tand. Nichts dergleichen wird dem Europäer imponieren, allenfalls ein Liegestuhl auf dem Oberdeck und allzeit kaltes Bier. So etwas erwartet die feine Welt. Doch als Musa erzählt, was die Besatzung selbst auf dieser Reise erwartet, wird es still in der Runde. Nein, es genügt dem Fremden nicht, bequem im Liegestuhl ausgestreckt und Bier schlürfend, den Mahakam und seine Sehenswürdigkeiten zu erfahren.

Den Sultanspalast von Tenggarong zum Beispiel, wo allein der Thronsaal in all seiner Pracht zum Staunen einlädt oder den schwimmenden Basar von Senopi, wo mitten im Fluss Läden an Läden auf Flößen schaukeln und sich Nacht für Nacht unter einer Perlenkette von Laternen die Fischer, Bauern und Jäger einstellen, faustgroße Krabben und fette Barsche, rote Plattfische und silbrige Sardinen gegen Tabak, Seife und Petroleum eintauschen, wo sich Reis und Bananen häufen, Ananas und Kokosnüsse, Chilischoten und Litchipflaumen, alles was das Adernetz des Mahakam und seine Nebenflüsse, die gerodeten Ufer und Farmen hergeben: Bambuskörbe, handgewebte Sarungs, Schmuck und Schwerter und über allem der süßliche Knoblauchduft des Durian.

All das scheint den Fremden nicht zu locken, auch die Krokodile im Jembayan-River oder die Süßwasserdelphine von Muara interessieren ihn nur am Rande, selbst die Dayak Frauen von Takun Damai, deren Ohrläppchen von Kindheit an mit Gewichten behängt werden, so dass sie im Alter bis auf die Schultern hängen, entlocken ihm nur ein müdes Lächeln, ganz zu schweigen von den Mädchen aus Surabaya, Bali und Jakarta, die in ihrem stattlichen Pfahlbau am Ufer von Muara jede Nacht die heimatlosen Gesellen dieser Region empfangen: Saisonarbeiter, Holzfäller und Glücksritter, die in den Nebenarmen des Mahakam nach Gold schürfen.

„Aber was sucht er dann in Kalimantan?” fragt der alte Masturo verwundert. „Offenbar nichts”, antwortet Musa mit einem Lächeln. “Denn er verlangt in eine Gegend zu fahren, wo ein weißer Tuan wie er nichts verloren hat.”

Vater Masturo, der listige hapak, hockt wie ein fetter Frosch vorm Schachbrett, regungslos lauernd, blitzschnell zupackend, wenn der Fremde einen Fehler macht, haltlos lachend, wenn er ihn matt setzt. Er hat oft Grund zum Lachen, während die “Ayus” Stunde um Stunde mit dröhnendem Diesel durch den Mahakam pflügt, an buschbewachsenen Böschungen, an Dörfern vorbei, die kilometerweit das Ufer säumen: Luftige Pfahlhäuser, die das lehmbraune Band des Flusses auffädelt, oft nur Verschläge, mit Wellblech gedeckt und wäschebeflaggt, windschief und morsch, hier und da von Fernsehantennen gekrönt, ein verschachteltes, amphibisches Gemeinwesen; Frauen in grellbunten Sarungs, die über schwimmende Stege und Stämme balancieren, Wäschekörbe auf dem Kopf und Kinder im Arm, winkende Mädchen, die auf den Pontons hocken, ihre Zahnbürsten in den Mahakam tunken und sich Schaumwolken ins blendende Gebiss schrubben, ein paar Schritte neben den Buden, die als Plumpsklo dienen.

Rätselhaft bleibt das Verhalten dieses weißen Herrn! Ist es nicht absonderlich, wie dieser Fremde offenbar leichten Herzens alle Bequemlichkeiten des Hausbootes hinter sich lässt, um in einem überladenen Kanu ins Landesinnere, in unberührte Gefilde vorzustoßen? Welch eine Plackerei, das Langboot durch den seichten Lawa, einen Seitenarm des Mahakam, zu bugsieren, den Masturo, der Weitgereiste, als Schleichpfad zu den wilden Bentian-Dayaks auserkoren hat. Bis zu den Hüften steht man im Wasser, rutscht auf bemoosten Steinen, von Moskitos umschwirrt, schiebend und an Leinen zerrend, von Gischt übersprüht, während die beiden Außenbordmotoren stinken, heulen und schmutzigbraunes Wasser quirlen! Von Stunde zu Stunde wird der Fluss schmaler, sein Wasserpegel niedriger, die Stromschnellen schier unüberwindlich. Der weiße Tuan hilft mit, strauchelnd, ungelenk mit seinen langen Gliedern im Wasser rudernd, danach erschöpft im Boot liegend bis zur nächsten Hürde.

Doch all das wäre zu ertragen, wenn nicht die Angst vor dem Kommenden auf die Seele drücken würde. Schon jetzt schaudert es Naim und Busransyah, die Großstadtkinder aus Samarinda, wenn sie an die Bentian, dieses Urwaldgesindel, denken, das der weiße Tuan unbedingt besuchen will. Noch vor einem Jahr, berichtet Mastura, hätten sie einem Fremden den Kopf abgeschnitten. Sie könnten zaubern, diese Kannibalen, einem Krankheiten, Schwachsinn, Impotenz anhexen. Ein böser Blick, eine schräge Geste genüge, schon sei ihr Opfer fürs Leben gezeichnet. Keinesfalls dürfe man Geschenke von ihnen annehmen. Sie würden nur Unglück bringen. „Aber darf man sie denn ausschlagen?” fragt Naim. „Kaum”, antwortet Masturo, “schon gar nicht, wenn dir der Häuptling seine Frau für die Nacht anbietet.” „Wie sollte ein solches Geschenk denn Unglück bringen?” protestiert Busransyah unter schallendem Gelächter. „Unglück bringt es wohl nicht.”, sagt der weise Masturo, “„Doch bedenke, dass der Häuptling von Sambung einhundertdreiundzwanzig Jahre alt ist.“ „… und seine Frau ist nicht viel jünger!”, ergänzt Musa. All das jedoch scheint den Tuan nicht zu bedrücken. Im Gegenteil. Gleichmütig erträgt er alle Strapazen, kriecht mühsam, von Musa und Masturo geschoben und gestützt, das acht Meter hohe Steilufer des Lawa hinauf und zeigt sich sichtlich erfreut, als die Dorfkinder schreiend vor diesem lehmbedeckten weißen Riesen davonlaufen.

Als der sinkende Wasserstand des Lawa die Bootsfahrt endgültig unmöglich macht, befiehlt er den Fußmarsch durch den Urwald, stapft mit weichen, von den kalten Bädern im Lawa entzündeten Knien über Trampelpfade und Hängebrücken, watet durch Bäche und polkt sich wie alle anderen die Blutegel ab, die als feine Fäden durch die Strumpfmaschen schlüpfen und sich an Beinen und Füßen zu fingerdicken, schwarzen Schläuchen voll saugen.

Ja, Naim und Busransyah werden ihren Freunden und Familien viel zu erzählen haben. Schaudernd wird man vernehmen, dass der Häuptling von Sambung dem fremden Tuan seinen größten Schatz zeigte: Vier Köpfe, die er vom Rumpf seiner Feinde trennte, um Macht und Wohlstand des Stammes zu mehren. Grausig wirkten die Schädel, selbst Masturo und Musa weichen bis in den letzten Winkel des Langhauses zurück. Der weiße Tuan jedoch hockt stumm und schweißüberströmt vor dem Häuptling und seiner Beute, blickte lange in die leeren Augenhöhlen. Und endlich lächelt er.