Zeitenspiegel Reportagen

Goldfieber

Erschienen in "Welt am Sonntag", 27. Mai 2012

Von Autorin Uschi Entenmann

Sie alle hoffen auf den ganz großen Fund: Urlauber können am Klondike-Fluss in Kanada nach Gold schürfen – und dürfen es sogar behalten.

Stuart Schmidt blickt aus dem Fenster seines Blockhauses auf den Yukon, der endlich Ende Mai von seiner drei Meter dicken Eisdecke befreit ist und unter der Abendsonne in silbrig glitzernden Wellen gen Süden treibt, er zwinkert mit den Augen, was ihn für einen Moment wie Paul Newman aussehen lässt. “30, manchmal 50 Grad minus sind hier im Winter normal”, erklärt er. “Wenn’s auf minus 20 geht, finden wir das milde.”

Gelassenheit ist angesagt, wenn man sich in dieser Region durchbeißen will. Egal, zu welcher Jahreszeit. Stuart Schmidt, 59, wirkt von den klobigen Schnürstiefeln bis zur Schirmmütze durch und durch wetterfest. Wie jeden Tag ist er auch heute seit halb fünf Uhr früh auf den Beinen, denn wie jeden Tag bewegt ihn die Frage, ob seine Leute am Upper Quartz Creek, sechs Meter tief unter Schlamm, Geröll und Permafrost, den “Pay” freigelegt haben. Einen halben Meter dick ist diese Bodenschicht, die alle bisher investierten Millionen Dollar lohnen würde, falls es in ihr golden blinkt. Schmidt ist “Placer-Miner”, er schürft nach erodiertem Gold, das aus Felsen gespült und durch Bäche getragen wurde, bis es in die Bodenschicht sank. Das größte Nugget, das er jemals fand, wog 370 Gramm. Heute wäre es 19.000 US-Dollar wert. Damals, 1999, brachte es nur ein Sechstel.

An die tausend “Claims” hat er im Yukon-Territorium: abgesteckte Gebiete, auf denen er Ansprüche auf den Abbau von Gold hat. Gerade mal 35.000 Menschen verlieren sich in der fast weglosen Hügellandschaft, die sich beim Aufstieg seiner rot-weißen Cessna entfaltet: dicht bewaldet, von Flusstälern gekerbt, am Horizont die Ahnung schneebedeckter Gipfel – und überall dazwischen und darunter könnte sich Gold verstecken. Die Frage aber lautet: Wo?

“Man muss lernen, das Land zu lesen”, sagt er, während seine Cessna abhebt. Er kann es offenbar, denn sein Spürsinn hat ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Außerdem gilt der deutschstämmige Kanadier als bester Buschpilot weit und breit. Schon die erste Schleife, die er über Dawson City dreht, biete eine schöne Sicht auf das Schachbrettmuster der Stadt an der Gabelung von Yukon River und Klondike. Es ist eine junge Stadt, erst vor rund 120 Jahren aus der schlammigen Uferböschung gestampft, nachdem ein Pelzjäger namens Skookum Jim seinen Kochtopf im Fluss ausgespült und dabei eine Menge golden glänzender Körnchen einfangen hatte.

So weit die Legende, die jedes Jahr im Sommer mit Pauken und Trompeten gefeiert wird, denn der Fund löste den größten Goldrausch aller Zeiten aus. Es muss ein Abenteuer gewesen sein, damals in dieser Goldgräberstadt zu leben. Noch heute können sich Touristen und Goldsucher in der restaurierten “Diamond Tooth Gerties Gambling Hall” um Roulette- und Blackjack-Tische scharen, während auf der Bühne Tänzerinnen ihre Beine und Rüschenröckchen fliegen lassen. Nur noch 2000 Menschen leben in Dawson City, kein Vergleich zu früher, als hier 40.000 Kerle hausten, die Zeche und Mädchen mit Nuggets bezahlten.

Jack London war einer von ihnen, erfolglos als Goldgräber, weltberühmt als Schriftsteller (“Lockruf des Goldes”), der diese verwegene Spezies so authentisch schildern konnte, weil er ihre Strapazen geteilt hatte. Mehr als 100.000 Menschen überquerten zwischen 1897 und 1899 den Chilkoot Pass von Alaska nach Kanada. Weniger als die Hälfte erreichte den Klondike. Jack London beschrieb den Weg als “todbringend”. Seine ehemalige Holzhütte gehört heute zum Ensemble der touristischen Attraktionen Dawsons. Unvergessen auch der Film “Goldrausch”, in dem Charlie Chaplin mit Stöckchen und Melone durch Eis und Schneesturm dem Happy End entgegenstolpert. Sogar das Geheimnis, woher das Vermögen des Dagobert Duck stammt, ist gelüftet: Nirgendwo sonst als im Yukon hat er seine erste Milliarde gescheffelt, so dokumentiert die Biografie “Onkel Dagobert – sein Leben, seine Milliarden”.

Ein letzter Blick auf die Stadt, auf den überwucherten Friedhof der Veteranen, die im erbarmungslosen Winter erfroren, bei Raufereien umkamen oder im Alkohol ertranken. Gleich darauf das restaurierte Rudiment der “Gold Dredge Number 4”, ein gewaltiger, für immer am Ufer verankerter Schaufelbagger, der sich bis vor 50 Jahren durch den Flussgrund malmte; schließlich ein Schwenk über die Mündung des Klondike, der durch grün bepelzte Hügellandschaft mäandert. Sandbänke sprenkeln ihn, an die Uferböschungen schmiegen sich flache, mit Weidenröschen übersäte Dünen, darüber leuchtet im Dunkelgrün der Schwarzfichten hellgrünes Laub der Birken. Am Horizont zeichnen sich verschneite Gipfel ab. “Da drüben liegt Alaska”, ruft Schmidt, “keine 70 Kilometer entfernt!”

Am Quartz Creek hat Stuart Schmidt mehr als 30 Claims abgesteckt, jeder davon drei Fußballfelder groß. “1600 Dollar kostet jetzt die Unze!” sagt er und schüttelt den Kopf. Noch nie war Gold so viel wert wie heute. Mit einem millionenschweren Aufwand an Material und Maschinen holt er es aus der Erde, aber auch mit der Erfahrung eines Mannes, der einem Waldstück ansieht, ob es auf Kieseln oder Sand steht, der spürt, welchen Weg das Gold aus dem Berg nimmt. Er zeigt gen Norden: “Dieser Einschnitt am Nordhang bedeutet, dass dort Wasser abfließt und sich Schlamm im Tal sammelt. Und damit vielleicht auch Gold.”

Schon im Anflug zeigt sich, dass am Quartz Creek mitten in der Wildnis ein Industriegelände entstanden ist. Bulldozer – so groß wie Einfamilienhäuser, mit Schaufeln so groß wie Fußballtore – schieben das Erdreich zu 2,50 Meter langen Laufbändern. Mit jedem Schub wuchten sie Tonnen Sand, Schlamm und Steine auf die breiten Bänder, die wie gigantische Finger in den Himmel ragen und den Aushub zu haushohen Halden türmen. Sie werden ihr Werk noch wochenlang fortsetzen, denn der Pay liegt rund 30 Meter tief unter der Oberfläche. Bis dahin werden die Maschinen Unmengen Liter Diesel saufen, jede von ihnen 1100 Liter pro Zwölfstundenschicht. Allein der Dieselgenerator, der den Strom für die Laufbänder liefert, könnte den Energiebedarf von ganz Dawson City stillen. Unbeirrt vom Maschinenlärm schiebt sich eine Elchkuh mit ihrem Jungen durch das Dickicht am gegenüberliegenden Ufer des Creeks. Der spannende Teil der Goldgewinnung beginnt erst in zwei Wochen, wenn die goldhaltige Erde per Bagger und Förderband in die “Plant” wandert, eine turmhohe Trommel, die Steine, Schlamm und Erde ausschleudert. Was übrig bleibt, durchläuft zunächst grobe, dann immer feinere Schüttelsiebe und wird schließlich in die schneckenförmigen Rinnen einer Art Zentrifuge geschleust, die das schwere Gold von allen leichteren Beimengen scheidet. Danach ist es zu 80 Prozent pur, wird getrocknet und später in den Gold-Raffinerien von Ontario zu Barren geschmolzen.

Es gehört zum guten Ton im Yukon, dass man nicht mit seinem Reichtum prahlt. So gibt es in Dawson City nur Spekulationen, wer denn der Reichste im Lande ist: Stuart Schmidt? Oder Shawn Ryan? Eigentlich kann es Ryan nicht sein, zumindest sieht er nicht reich aus. Er trägt schäbige Shorts, und wenn er den Mund öffnet, um in “Wendy’s Pub” ein Bier zu leeren, möchte man ihm einen guten Zahnarzt empfehlen. Eigentlich hat er auch gar keine Zeit, hier rumzuhocken, denn jetzt beginnen die spannendsten Tage des Jahres, wenn der Boden so weit aufgetaut ist, dass die Bohrer endlich durchkommen. Er bleibt aber doch, denn er erzählt gern seine Geschichte, die ein Jack London erfunden haben könnte: ein Kindertraum, in dem sich eine amerikanische Tellerwäscherkarriere realisiert. Nur dass er sie nicht als Küchenknecht, sondern als Pilzsammler gestartet hat.

Das liegt 15 Jahre zurück, da lebte er noch mit seiner Frau Cathy und zwei Kleinkindern in einer Wellblechhütte ohne fließend Wasser, ohne Strom, mitten im Busch, in Sommer und Winter: “Manchmal war’s so kalt, dass wir Angst hatten, die Kinder würden erfrieren.” Aber sie schlugen sich durch, hatten ihr Auskommen, denn er wusste, wo nach dem Tauwetter die Morcheln und Pfifferlinge aus dem Boden schossen, und war davon besessen, eine der großen, dicken Hauptgoldadern im Fels zu finden. Eine fixe Idee, von der er nur einmal losließ, als ihn sein Kumpel Antoine Deschenes überredete, auf dem Grund des Yukon Rivers nach Gold zu suchen. Es musste dort zu finden sein, denn in den vergangenen zehn Millionen Jahren hatten doch unzählige Bäche ihre Goldpartikelchen in den Yukon geschwemmt. Das Problem war nur, dass der Fluss im Sommer als trübe Brühe daherkam. Aber im Winter, so versicherte Antoine, würde unter dem Eis Klarheit herrschen. Er kaufte eine Tauchausrüstung und arbeitete sich mit Axt und Kettensäge durch die drei Meter dicke Eisschicht und tauchte ab. Zweimal kam er wieder hoch, mit leeren Händen. Der dritte Versuch kostete sein Leben. Die Sicherheitsleine hatte sich gelöst, er wurde abgetrieben und nie gefunden.

Fortan beschränkte sich Ryan darauf, auf sicherem Grund sein Ziel zu verfolgen, sammelte auf seinen Streifzügen Tausende Gesteins- und Bodenproben, die er von Geologen untersuchen ließ, um schließlich dreißig Kilometer nördlich von Dawson einen Claim abzustecken. Es war im Herbst vor acht Jahren, als er eine Dynamitstange in eine Felsspalte steckte, zündete und mit einem Schlag zum Millionär wurde. Als sich der Staub gelegt hatte, lag die Ader frei – golden glänzend: zwei Millionen Feinunzen Gold. Sie brachten ihm sechs Millionen Dollar ein.

Die Autorin hat zwar nach Gold geschürft, aber leider keinen Krümel gefunden.