Zeitenspiegel Reportagen

Herr Müller von der NPD

Erschienen in "Die Welt", 25. September 2004

Von Autor Jan Rübel

Die sächsische Landtagswahl brachte der NPD unerwartete Erfolge. Die Rechtsextremen zeigen nicht nur Springerstiefel, sondern auch ein bürgerliches Gesicht. Eines wie Johannes Müller. Aus dem Arzt wird nun ein NPD-Abgeordneter

Johannes Müller lächelt ein wenig verlegen, als der Mann neben ihm wütend wird. “Deutschland braucht revolutionäre Bestrebungen”, ruft Holger Apfel, sächsischer NPD-Spitzenkandidat, durch den Gasthof “Sächsischer Wolf”. “Wir wollen das liberal-kapitalistische System überwinden.” Herr Müller verzieht das Gesicht. Apfel ereifert sich über “Gossenjournalismus” im Allgemeinen und die Grünen als “Drahtzieher des antifaschistischen Terrors” im Besonderen, hier, auf der ersten Pressekonferenz in Freital bei Dresden, nach dem 9,2-Prozent-Landtagswahlerfolg der NPD am vergangenen Sonntag.

“Nichts ist mehr so, wie es einmal war”, sagt Apfel langsam, den Mund ganz nah am Mikro, und Müller rutscht auf seinem Stuhl ein Stück weg vom bulligen 33-Jährigen. Später wird er über Apfel sagen: “Ihm wurde übel mitgespielt. Da reagiert er manchmal in den Worten über.” Apfel ist der typische Neonazi, der im Fernsehen pöbelt. Müller dagegen passt in dieses Klischee nicht. Er ist das freundliche Gesicht der NPD. Müller, Kandidat auf Listenplatz drei, steht für die zweite Reihe von NPD-Kadern, die Springerstiefel hassen und Megafone meiden. Die weder dumpf poltern noch als schneidig geleckte Youngster dahergekommen. Denen man länger zuhören muss, um auf das rechtsextreme Weltbild zu stoßen - und an jenen toten Punkt, an dem noch zu argumentieren nichts mehr nutzt.

Müller ist einer, zu dem man Vertrauen fassen möchte. Ein Arzt aus Sebnitz in der Sächsischen Schweiz, 35 Jahre alt. Einer, der nicht laut wird und seine kleinen, dunklen Augen ständig weitet, als sei er überrascht, neugierig und zuvorkommend zugleich. Heute feiert er in der Ostrauer Falkensteinklinik seinen Ausstand. Neun Jahre hat er dort gearbeitet, zuletzt als Stationsarzt. Der Abschied habe ihn bewegt, sagt er.

Jetzt wird Herr Müller Abgeordneter im Landtag zum Freistaat Sachsen, tauscht seinen weißen Kittel endgültig gegen den tiefblauen Dreiteiler, mit dem er gerade im Aufenthaltsraum des Pirnaer Landratsamts steht. Er steht vor einem Gewerkschaftsposter, Buntstiftporträts von Kindern aus Kinderhand zieren es: asiatische, afrikanische, europäische, und “Wir alle sind Deutschland” steht dort geschrieben. Müller zeigt auf ein blondes Mädchen unten rechts: “Das ist sicher deutsch.” Die Asiatin oben in der Mitte dagegen, die könne keine Deutsche werden. Er sagt es zum Verzweifeln freundlich.

“Und wenn sie hier geboren ist und nur Deutsch spricht?”

“Auch dann nicht, die Kultur. Deutscher ist man nur durch Abstammung.”

Kultur und Abstammung, das ist für Müller dasselbe. “Museumsfirm” sei er schon als Kind gewesen. Der Vater, auch Arzt, und die Mutter (“für die DDR sehr untypisch: Sie war Hausfrau”) besuchten mit ihrem einzigen Sprössling von Sebnitz aus die Kulturstätten in Weimar, Dresden und Leipzig. “National eingestellt” seien auch sie gewesen. In der Wendezeit engagierte sich Müller in der kirchlichen Bürgerbewegung “Mitsprache”. Die West-Kirche, die keine Opposition zum Staat betrieb wie die in der DDR, gefiel ihm nicht. Müller trat aus, auch aus der CDU, der er zwischen 1988 und 1992 angehörte. Zur NPD kam er 1998, enttäuscht über die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West. “Nie wurde mit offenen Karten gespielt.” Und noch etwas trieb ihn um, in den Neunzigern: der “Globalismus”. “Nur eine räumliche Volkswirtschaft kann uns retten.” Mit Abgaben will er den Arbeitsplatzexport stoppen. Der Staat solle das “Steuerungsmonopol” den Konzernen entreißen.

Der Staat ist ein Raum ist ein Körper. Alles ist stofflich bei Müller. Alles erklärbar. Müller zieht es zu den Naturwissenschaften, zog es schon immer. “Mir gefällt, was man klar definieren kann.” Klar ist, dass Müller sich zumindest in der Wirtschaftspolitik die Uhr weit, weit zurückgedreht wünscht.

Weniger klar möchte er über das Dritte Reich reden. Das sei etwas für Historiker, er möchte nicht werten, und überhaupt, “ich will Politik für die Zukunft machen”. Nach einigem Hin und Her ergibt sich doch ein Gespräch über den Nationalsozialismus, und dann beginnt es so:

“Es gab auch gute Dinge, technische Entwicklungen wie die Raumfahrt.”

“Und was ist mit der Emigration so vieler hervorragender Wissenschaftler?”

“Da kommt man jetzt in Details herein.”

An seiner roten Krawatte schimmert matt ein weiteres Detail. Eine Nadel mit dem Symbol der “Schwarzen Sonne”. “Ein altes keltisches Zeichen, das alles Metaphysische für mich ausdrückt.” Weiß er tatsächlich nicht, dass dieses zwölfspeichige Sonnenrad ein neuer von der nazistischen Szene fabulierter Mythos ist, eine Art Ersatz-Hakenkreuz? Nichts Keltisches ziert Müllers Krawatte, sondern ein Produkt rechtsextremen Merchandisings. Dabei ist Müller auf seine Art richtig sauer auf Adolf Hitler. “Wegen ihm sind wir noch nicht befreit von der Vergangenheit. In jedem Land muss es eine nationale Partei geben, auch in Deutschland.” Die NPD indes hat seit vergangenem Sonntag ein viel weiter reichendes Ziel ausgegeben. In einer vor drei Tagen veröffentlichten Erklärung bekennt sich die Parteispitze zur “Gesamtbewegung des Nationalen Widerstands” - und die schließt nicht nur den freundlichen Herrn Müller ein, sondern “Straßen-Neonazis” wie den Northeimer Thorsten Heise oder den Hamburger Thomas Wulff, Kader gewalttätiger Kameradschaften, die vor wenigen Tagen ihren Eintritt in die NPD angekündigt haben. Herrn Müllers NPD wird militanter in ihrem Kampf um den “Nationalen Widerstand”.

Die Nation, die will auch Müller schützen, sie erscheint ihm wie ein Gewebe, aus dem man nicht Stücke herausschneiden darf. Zum Beispiel, wenn man eine Moschee in Deutschland baut. “Islam ist eine fremde Kultur, das gibt automatisch Spannungen”, sagt Müller und malt ein Rechteck in die Luft. An dem kulturellen Umfeld aber solle sich nichts ändern. Nichts. “Ich möchte hier nichts anderes kennen lernen.” Wenn er etwas anderes kennen lernen möchte, fährt Müller in den Urlaub. Aber in Deutschland, da fühlt er sich unwohl, wenn er eine Moschee sieht. “Das kann man nicht wissenschaftlich begründen.” Pause. Das Gespräch ist an einem toten Punkt angelangt, gelenkt von einem mentalen Zollstock, mit dem Müller das Leben um sich herum vermisst: hier deutsch, dort nicht.

Nächster Versuch: Stefan Rochow, 27 Jahre alt, Bundesvorsitzender der NPD-Jugendorganisation. Wieder ein freundliches Gesicht der NPD. Auch er sieht seine Identität bedroht, wenn er an einer Moschee auf deutschem Boden vorbeiläuft. “Ich fühle mich fremd, wenn ich nur Türken sehe.” Rochow ist gebildet, in Kürze an der Uni Gießen diplomierter Betriebswirt - und baldiger Fraktionsmitarbeiter in Dresden. Schon wird er als künftiger Mann hinter Apfel gehandelt, dem kommenden Parteivorsitzenden. Eine Karriere im Sauseschritt, die allerdings um jede Moschee einen Bogen schlägt.

“Warum haben Sie Angst davor?”

“Das ist eine angeborene Fremdenangst.”

“Die haben viele aber nicht.”

“Dann müssen die erklären, warum sie die nicht haben.”

“Und was missfällt Ihnen am System?”

Dass die Bundeskanzler nur einen “Gouverneursstatus für Nordamerikaner” besäßen, antwortet er, eine Art Befehlsempfänger des Weißen Hauses.

“Und woran sieht man das?”

“Das kann man manifest nicht sehen. Die Besatzung findet in den Köpfen statt.”

Das Gespräch stockt, wieder an einem toten Punkt. Es ist kaum zu greifen: Müller und Rochow stammen zwar nicht aus einer Subwelt, sie könnten Reihenhausbesitzer in jeder Kleinstadt sein. Aber sie leben doch in einer anderen Welt, einer aus vagen Ängsten und Sehnsüchten, immer auf der Hut vor dem Feind, vor allem, das nicht “deutsch” ist. Sie sind zwar kein Fall für den Streetworker, den Sozialdezernenten oder den Verfassungsschutz. Aber sie bräuchten wohl einen, der ihnen, den freundlichen Herren, den mentalen Zollstock aus der Hand nimmt, mit dem sie ihre enge braune Welt vermessen. Und ihnen hinaushilft.