Zeitenspiegel Reportagen

"Ich bin Anwalt. Die Wahrheit ist mir egal"

Erschienen in "stern crime", 4. Dezember 2016

Von Autorin Ingrid Eißele

Als Nebenklagevertreter steht Jens Rabe auf der Seite von Opfern. Der Anwalt verteidigt aber auch Mörder und Vergewaltiger. Interview mit einem Grenzgänger.

von Dominik Stawski und Ingrid Eissele

Herr Rabe, wie beginnen Sie das Gespräch mit einem Mörder?

Oft ruft mich die Polizei an, ich fahre zur Wache, werde in ein Vernehmungszimmer geführt, und da sitzt die Person, allein. Die Tat ist manchmal nur ein paar Stunden her. Ich stelle mich vor, komme aber meist nicht weit, weil viele Mandanten gleich losreden. Manche quellen förmlich über.

Wie kommt das?

Sie sind unheimlich aufgeregt und wollen erfahren, was jetzt passiert. Sie wissen, dass alle gegen sie sind und dass nur der Anwalt ihnen helfen kann.

Fragen Sie gleich zu Beginn: Waren Sie es?

Nein, wenn sich die U-Haft ohnehin nicht vermeiden lässt, gibt es keinen Zeitdruck mehr. Die Gesprächssituation auf der Polizeiwache ist auch eher schwierig. Da warten Beamte vor der Tür. Wir reden sehr leise, 20 Minuten, maximal eine Stunde. Die Frage “Waren Sie es?” kommt erst später. Bei manchen Anwälten sogar nie. Die bitten ihre Mandanten: Sagen Sie mir nichts.

Warum?

Erstens, weil sie glauben, dass es sie hemmen könnte, wenn sie zu viel wissen. Verteidige ich jemanden genauso engagiert, wenn ich weiß, er war’s? Ich kann für mich sagen: Ja. Aber das ist nicht bei jedem so.

Und zweitens?

Ich darf als Verteidiger keine Zeugen benennen, von denen ich weiß, dass sie lügen. Angenommen mein Mandant sagt, er war’s, aber seine Frau würde ihm ein Alibi geben. Dann darf ich diese Frau nicht mehr als Zeugin benennen, weil ich weiß, dass sie lügen würde. Kenne ich die Wahrheit nicht, dann habe ich damit kein Problem.

Warum wollen Sie sie trotzdem wissen?

Ich glaube, dass ich mich sonst vieler Verteidigungsmöglichkeiten berauben würde. Nehmen Sie den Fall eines Mannes, der seine Frau im Streit erwürgt. Bei so einem Tötungsdelikt liegt der Mordvorwurf und damit die lebenslange Strafe nahe. Nur wenn ich frage, was genau passiert ist, kann ich beurteilen, ob man die Tat auch als Totschlag im Affekt sehen könnte. Und nur wenn ich den Täter reden höre, kann ich einschätzen, ob es gut wäre, ihn bei der Polizei oder beim Richter aussagen zu lassen.

Und, lassen Sie Ihre Mandanten oft aussagen?

Bei Tötungsdelikten meist nicht, zumindest nicht am Anfang. Da ist das Risiko zu groß, dass der Mandant unkontrolliert irgendetwas erzählt, das die Verteidigung später erschwert. Außerdem weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht genug über die Ermittlungen.

Und wann empfehlen Sie zu sprechen?

Bei Sexualdelikten beispielsweise ist Schweigen nicht immer das Beste. Wenn der Sexualkontakt durch Sperma nachgewiesen werden kann, macht es keinen Sinn, den Sex zu leugnen. Meine Frage an meinen Mandanten ist dann, war es vielleicht einverständlich? Gibt er das an, dann könnte ihm das helfen.

Das raten Sie dann so abgeklärt? Obwohl das Opfer vielleicht tatsächlich vergewaltigt wurde?

Das weiß ich doch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Als Anwalt stehe ich ganz klar aufseiten meines Mandanten, und so handele ich auch.

Und wie nähern Sie sich der Frage, ob er es tatsächlich war?

Meistens einfach durch den Satz: Jetzt erzählen Sie mal. Es kommt nicht auf die Worte an, sondern auf das Vertrauen.

Und wenn Ihr Mandant das Vertrauen nicht hat?

Irgendwann liegt mir eine Akte vor, mit der Aussage des Opfers oder sogar mit Beweisbildern oder Videos. Wenn mich die Aussage des Opfers überzeugt, dann sage ich meinem Mandanten sehr deutlich: Das sieht nicht gut für Sie aus. Einige bleiben dabei, dass nichts passiert sei. Aber viele räumen dann doch ein, was Sache war.

Wie ist das, sich die Tat aus dem Mund des Mörders anzuhören?

Ich bin in diesen Momenten sehr, sehr eng beim Angeklagten, ich versuche, das Opfer da auszublenden.

Manche Ihrer Kollegen wollen keine Kindermörder oder Missbrauchstäter verteidigen.

Wenn ein Anwalt persönliche Gründe dafür hat, verstehe ich das. Es kann zum Beispiel passieren, dass man bei Kindermordfällen Bilder ansehen muss, die man schwer erträgt, wenn man selbst Kinder hat. Aber was ich nicht verstehe, sind Kollegen, die einfach so sagen: Ich verteidige keine Vergewaltiger. Ist denn der Mörder besser als der Vergewaltiger? Ist der Wirtschaftskriminelle der bessere Verbrecher, weil er eine Krawatte trägt und bei einer Bank arbeitet? Für mich hat Verteidigen nichts mit Moralisieren zu tun.

Wenn Ihnen Ihr Mandant schließlich alles erzählt hat und Sie wissen, dass er schuldig ist, plädieren Sie dann später in der Verhandlung trotzdem auf “nicht schuldig”?

Ja, wenn die Beweise nicht ausreichen. Darauf kann er sich verlassen.

Die Wahrheit ist dann plötzlich egal?

Ich bin Anwalt. Die Wahrheit ist mir egal. Sie muss mir sogar egal sein.

Wie bitte?

Entscheidend ist, was sich im Gerichtssaal aufklären lässt. Für die reine Wahrheit bin ich als Verteidiger nicht zuständig. Wir arbeiten strikt einseitig im Interesse des Mandanten. So will es das Gesetz, um ein Kräftegleichgewicht zwischen dem Staatsanwalt und dem Angeklagten zu schaffen.

Wollen Sie als Anwalt kein guter Mensch sein?

Ich will meinen Job gut machen. Dabei muss ich in Kauf nehmen, manchmal als ein Arsch wahrgenommen zu werden, zumindest aus Sicht der Opfer und der Öffentlichkeit. Das ist so. Damit muss man klarkommen.

Wussten Sie das, als Sie sich für diesen Beruf entschieden haben?

Das hatte ich anfangs unterschätzt. Aber es hat nur ein paar Fälle gebraucht, dann war mir das glasklar.

Sie verteidigen auch Menschen, die aus einem ganz anderen Leben kommen als Sie selbst.

Ich bin durchaus behütet auf dem schwäbischen Land aufgewachsen, habe das Gymnasium besucht und Klavierunterricht bekommen. Doch ich hatte immer den Wunsch, in eine andere Welt zu schauen. Als junger Mann habe ich dann an der Discotür gejobbt, solche Erfahrungen helfen mir noch heute. Auch bei jedem Prozess ist es ja übrigens so, dass verschiedene Welten aufeinanderprallen. Die von Tätern und Opfern.

Wie meinen Sie das?

Ich erinnere mich an den Fall eines jungen Mannes, der einen Bekannten mit dem Gewehr förmlich hinrichtete. Es war einer meiner ersten Fälle. Ich hatte eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm entwickelt. Er hatte mir erzählt, dass sein Opfer ihn zuvor rüde geärgert und provoziert hatte. Das ist natürlich keine Rechtfertigung für einen Mord, aber es war eine Vorgeschichte, die es galt herauszuarbeiten. Ich hatte eine Verteidigungsstrategie und nahm als Anwalt natürlich auch ein Stück weit den Standpunkt meines Mandanten ein.

Und?

Bis zu dem Moment, in dem die Verhandlung begann, stimmte das Gefühl. Aber dann sitzen einem im Gerichtssaal die Angehörigen gegenüber, hinten im Saal das halbe Dorf. In so einer Situation sind Sie plötzlich derjenige, der das Böse verteidigt. Vielleicht nicht für den Richter, aber auch für den sind Sie der Verteidiger, der Probleme macht. Und dann kommt die Mutter des Opfers herein. In diesem Fall berichtete sie als Zeugin weinend vom Verlust ihres Sohnes. Und in dem Moment fing es bei mir, na ja, emotional an zu bröckeln. Da sah ich eben nicht mehr nur die Welt meines Mandanten, sondern auch das Leid, das er angerichtet hatte.

Passiert Ihnen das heute auch noch?

Ich muss mich in solchen Momenten nach wie vor daran erinnern, dass das mein Job ist und dass es nicht mein Leben ist, das hier verhandelt wird. Ich sitze da nicht als der Angeklagte, ich habe auch kein Kind verloren. Es ist nur ein Fall, den ich bearbeite. Aber ja, den Konflikt tragen Sie dennoch nach Hause.

Im Gegensatz zu vielen anderen Verteidigern wechseln Sie die Seite, übernehmen auch Nebenklagen. Sie haben zum Beispiel mehrere Eltern vertreten, deren Kinder beim Amoklauf von Winnenden getötet wurden. Und Sie vertreten Semiya Simsek, die Tochter eines NSU-Opfers. Ist das der leichtere Job?

Es ist eine andere Rolle. Als Verteidiger sage ich: Die Gerechtigkeit muss mich nicht interessieren. Als Anwalt des Nebenklägers machen mich ungerechte Urteile wild, da könnte ich ausrasten. Ich bin da wirklich zwei Menschen. Mit manchem Nebenkläger habe ich mich auch angefreundet, während ich bei Tätern Abstand halte. Maximal ein Espresso im Café um die Ecke.

Fällt es Ihnen leicht, ständig die Seite zu wechseln?

Gefühlsmäßig ist der Wechsel irrsinnig schwer, weil man als Verteidiger die eigene Beißhemmung überwinden muss. Andererseits schärft es die Wahrnehmung für die Probleme der anderen Seite. Das können Sie positiv nutzen. Wenn Sie es als Verteidiger schaffen, das Opfer einzubinden, fliegen Ihnen die Sympathien des Gerichts zu. Wenn man es aushält, kann es also sehr fruchtbar sein.

Und warum wollen Sie nicht immer auf der Seite der Guten stehen?

Vielleicht werde ich ja nicht mein Leben lang in Tötungsdelikten verteidigen. Aber die andere Seite ist auch nicht leicht. Wenn Sie einen Täter verteidigen und der Prozess vorbei ist, dann ist auch in der Regel der Kontakt vorbei. Wenn Sie aber Opfer vertreten, kommen Sie ihnen unweigerlich sehr nahe, manchmal über Jahre hinweg. Bei Winnenden kam ich zwei Jahre lang nicht raus, im Grunde bis heute nicht.

Es hat Sie nicht losgelassen?

Winnenden hat den Tod viel zu weit in mein eigenes Leben gebracht. Ich war damals 34, das ist ein Alter, in dem man sich noch nicht viele Gedanken übers Sterben macht, das Leben flutscht so dahin. Aber wenn man den ganzen Tag mit den Angehörigen von Mordopfern zusammensitzt, dann gelingt es einem nicht mehr, umzuschalten und abends Witze zu machen. Ich habe in Abgründe gesehen, die nicht meine waren, die aber zunehmend ihre krakenartigen Arme in meine Welt streckten. Diese Gewissheit, mir passiert nichts …

… ist seitdem weg?

Ja. Obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. In meiner Familie hatten wir keine Einschläge. Aber ich weiß, dass manchmal schon eine einzige Sekunde reicht. Die Leichtigkeit ist weg.

Sie wissen von Ihrer Arbeit als Nebenkläger, wie sehr sich die Opfer und Angehörigen wünschen, dass der Angeklagte redet. Das Schweigen des Täters empfinden viele als ein zweites Verbrechen. Es wäre für sie eine Befreiung, wenn er endlich sagen würde, wie es wirklich war.

Ja, aber als Verteidiger ist es nicht meine Aufgabe, für diese Befreiung zu sorgen. Es kann sein, dass ich selbst dann meinem Mandanten rate zu schweigen, wenn er sprechen will. Und zwar dann, wenn ich weiß, dass wir dem Gericht mit seinem Schweigen den Weg zu einer Verurteilung erschweren oder sie gar unmöglich machen können. Reden, den Opfern die Wahrheit sagen, das funktioniert nur, wenn ich vom Gericht etwas dafür kriege.

Hat Sie einer Ihrer Mandanten schon mal in Gewissensnot gebracht?

Es gibt extreme Situationen. Einem meiner Mandanten wurde die Vergewaltigung eines jungen Mannes vorgeworfen, er solle das Opfer zuvor mit K.-o.-Tropfen betäubt haben. Nach meiner Beratung räumte er ein, man habe Sex gehabt, aber es sei einvernehmlich gewesen, ohne K.-o.-Tropfen. Die waren nicht nachweisbar.

Was oft so ist, weil der Körper sie sehr schnell abbaut …

… richtig. Nach vier Stunden verließ der Mandant mit mir die Polizei. Sechs Wochen später kam ein Anruf, diesmal eine andere Polizeidienststelle: Wir haben wieder Ihren Mandanten verhaftet, er hat einen Stricher vergewaltigt, K.o.-Tropfen sind nachweisbar.

Also doch.

Wenn ich beim ersten Mal nicht interveniert hätte, wäre der Mann aller Wahrscheinlichkeit nach in Haft gekommen. Dann hätte er nicht noch jemanden vergewaltigen können. Dafür hat er vier Jahre bekommen.

Und zum ersten Vorwurf gab es nie ein Verfahren?

Das wurde eingestellt. Bin ich jetzt schuld an der zweiten Tat?

Wie beantworten Sie die Frage?

Ich fühle mich nicht schuldig. Ich habe meinen Job gemacht, so wie es das Gesetz vorsieht. Dass es ein weiteres Opfer gab, ist schlimm, aber da stecke ich einfach nicht drin.

Wäre es etwas anderes für Sie, wenn das zweite Opfer ein Kind gewesen wäre?

Das hatte ich glücklicherweise noch nie.

Haben Sie Ihren Mandanten lügen lassen, um ihn aus der U-Haft zu bekommen?

Ich darf meinen Mandanten nicht beim Lügen helfen, das ist verboten. Ich kann ihm aber sagen, dass er lügen darf.

Interessant.

Ich berate ihn: Ich sage, wenn Sie das so und so sagen, würde die Tat nicht nachweisbar sein. Wenn Sie das so sagen, sehe ich große Probleme. Ich habe damit nicht gesagt, was er sagen soll. Der kluge Täter versteht mich dann. Der weniger Schlaue fragt: Herr Rabe, was soll ich denn nun sagen? Dem kann ich dann auch nicht helfen.

Einen Täter mit solchen Mitteln rauszuboxen …

Das ist mein Job. Und es gibt Situationen, da fällt es einem schwerer. Da kommen Sie zum Beispiel aus dem Gericht mit dem Mandanten, Kindesmissbrauch, Freispruch, und der klopft Ihnen auf die Schulter: “Rabe, gut gemacht, aber Sie wissen schon …” Zwinker, zwinker. Da denkt der Anwalt Jens Rabe, ordentlich gemacht, und der Privatmensch Jens Rabe denkt, das macht mir diesen Typen nicht sympathischer, warum geht der nicht demütiger mit der Situation um? Aber Schuldgefühle? Nein, so weit geht es nicht.

Keine Schuld im juristischen Sinne. Aber das macht doch etwas mit Ihnen?

Das ist genau der innere Zwiespalt, den uns das Gesetz auferlegt und den es gilt auszuhalten. Anderes Beispiel: Ich beantrage eine Bewährung für meinen Mandanten, warte mit einem Therapieplatz auf, der Richter gibt – nahezu mir zuliebe, weil ich mich so bemüht habe – Bewährung, und als der Mandant freikommt, ersticht er jemanden. Bin ich jetzt schuld? Oder der Richter, der ihn rausgelassen hat? Oder wer?

Wir alle tragen doch eine Vorstellung von Gerechtigkeit in uns, von Strafe, Sühne.

(Er schweigt lange.) Ich darf nun mal auf Freispruch plädieren, auch wenn ich weiß, dass jemand schuldig ist. Wenn Sie es ganz genau nehmen, darf ich nicht sagen: Ich bin überzeugt von seiner Unschuld. Ich muss sagen: Die Beweislage reicht nicht. Als Anwalt bin ich nicht verpflichtet, alles zu sagen. Aber alles, was ich sage, muss wahr sein.

Klingt sehr geschmeidig.

Als Verteidiger sollte ich mich nicht berufen fühlen, die Welt zu retten. Das Verbrechen ist passiert, da kann ich nichts wiedergutmachen. Sie müssten Ihre Frage eigentlich noch pointierter stellen: Was machen Sie, wenn Sie wissen, dass Ihr Mandant heute aus dem Gerichtssaal geht und plant, morgen einen umzubringen.

Und?

Dann mache ich genau das, was ich als Mensch für richtig halte. Ich sage der Polizei Bescheid, dazu bin ich auch gesetzlich verpflichtet. Neue Opfer lasse ich nicht zu.

Sie haben in Hunderten von Verfahren gesessen. Jeder Prozess ist auch ein Schauspiel, der Gerichtssaal eine Bühne. Der vermeintliche Wutausbruch des Verteidigers ist in Wahrheit kühl kalkuliert. Sind Sie auch so einer?

Manche Anwälte brauchen das Gefühl, Streit zu haben. Ich dagegen freue mich, wenn es harmonisch läuft, so erreicht man als Anwalt für seine Mandanten oft am meisten. Klar kann ich auch anders. Aber wenn ich brülle, dann immer nur kontrolliert. Es gibt bei mir nichts Unkontrolliertes.

Wann macht das Sinn vor Gericht?

Wenn beispielsweise Anwaltskollegen versuchen, meine Mandanten einzuschüchtern, indem sie laut werden, dann kann ein Wutausbruch helfen.

Fühlen Sie sich denn wohl auf dieser Bühne?

In der Regel schon. Unwohl fühle ich mich, wenn es nur noch Schauspiel ist.

Wie eitel sind Sie?

Ich freue mich, wenn ich für große Sachen angefragt werde.

Da wir gerade über das Schauspiel gesprochen haben: Legen Sie Ihren Mandanten nahe, Reue zu zeigen, um das Gericht zu beeinflussen?

Ich spüre ja relativ schnell, ob jemand Reue empfindet. Wer sie nicht fühlt, an den kriegt man das auch nicht ran. Die Vorstellung ist ja, dass wir Verteidiger den Mandanten wahnsinnig viel beibringen …

… richtig.

Bringen Sie aber mal einer emotional unterbelichteten Person Reue bei. Ich kriege es ja kaum hin, dass die Leute ordentlich vor Gericht sitzen. Die Rocker hocken so, wie sie vor ihrer Discotür hocken.

Gibt es eigentlich etwas Schöneres für einen Verteidiger, als einen Verfahrensfehler zu entdecken?

Die Frage ist zu negativ. Stellen Sie sich vor, Sie lesen ein Gutachten, von dem Sie absolut nicht überzeugt sind, dem das Gericht aber folgen will. Es belastet Ihren Mandanten. Und dann sehen Sie, dass der Gutachter während des Prozesses andere Akten liest oder auf dem Handy googelt. Die Rechtsprechung des BGH sagt, dass schon der zweimalige Blick einer Richterin auf das Handy deren Befangenheit begründet, und das gilt auch für Gutachter. Sie haben ein Schrott-Gutachten und einen Gutachter, der googelt. Wählen Sie den Befangenheitsantrag oder nicht? Ich muss jedes Mittel zünden.

Hat ein reicher Mandant bessere Möglichkeiten, sich einen Freispruch zu verschaffen?

Ja, zweifellos. Gutachten von Sachverständigen stehen oft unverrückbar da, selbst wenn sie methodisch mangelhaft sind. Der Richter hat oft gar nicht die Möglichkeit und manchmal auch nicht den Willen, sie zu hinterfragen. Als Verteidiger brauchen Sie also einen zweiten Gutachter, der den ersten Gutachter aushebelt, und Expertenwissen kostet Geld.

Wenn der Prozess dann vorbei ist und Sie Ihren Mandanten rausgeholt haben, bedankt er sich bei Ihnen?

Nein, die Dankbarkeit ist begrenzt, auch damit muss man leben.

Was passiert, wenn das Urteil härter ausfällt als erwartet?

Bei “lebenslang” kommt es häufig zum Bruch. Wenn man seriös arbeitet, hat man das Urteil kommen sehen und den Angeklagten darauf vorbereitet.

Einer Ihrer früheren Mandanten soll nach seiner Verurteilung im Knast gefragt haben, wie viele Jahre er bekäme, wenn er seinem Anwalt an die Kehle ginge.

Die Beamten im Gefängnis sagten mir: Sie dürfen heute nur hinter der Trennscheibe mit ihm sprechen. Ich habe versucht, das nonchalant zu nehmen. Es war schon gruselig, zugleich hatte ich vor dem überhaupt keine Angst.

Wollten Sie eigentlich jemals einen anderen Beruf?

Früher wollte ich Arzt werden. Aber Leute anzufassen finde ich anstrengender, als sie zu verteidigen. Wenn ich je noch einen anderen Beruf ergreife, dann einen, der nichts mit Schicksalen zu tun hat, sondern Menschen in schönen Lebensphasen schöne Dinge offeriert. Also: Hotelbesitzer oder Kreuzfahrtdirektor.