Zeitenspiegel Reportagen

Jagd auf Mannheims laute Söhne

Erschienen in "stern", 21. September 2017

Von Fotograf Rainer Kwiotek und Autor Frank Brunner

Der Lärm ist das Ziel: Nirgends gibt es soviele „Poser” wie hier - junge Männer, die mit aufgemotzen Autos um Aufmerksamkeit kämpfen. Unterwegs mit einer speziellen Polizeitruppe.

Schon am frühen Abend hatte ihn eine Zivilstreife gestoppt, kurz nach Mitternacht haben sie Kenan Koc dann wieder geschnappt. Nun steht er neben seiner mattgrauen Mercedes-C-Klasse von AMG mit knapp 500 PS und erklärt unschuldig: „Ich bin kein Poser.“ Polizeihauptkommissar Michael Schwenk sagt: „Natürlich sind Sie das nicht.“ Nur ein kurzes Zucken um seine Mundwinkel verrät, was er dabei denkt.

Schwenk und seine fünf Kollegen jagen in Mannheim Poser. So nennt die Polizei junge Männer, die mit heulenden Motoren und quietschenden Reifen durch die Stadt brettern, immer auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Damit sie jeder hört, fräsen Poser Löcher in Auspuffanlagen oder installieren eine Klappensteuerung. Mit der lassen sich, wenn keine Polizei in Sicht ist, auf Knopfdruck Teile der Abgasanlage öffnen, was infernalischen Krach macht – bis zu 120 Dezibel. Ein startender Düsenjet ist kaum leiser.

Poser gibt es auch anderswo, aber nirgends so viele wie in Mannheim. Vielleicht liegt das an den schmalen, schachbrettartig angelegten Straßen, die von hohen Häusern gesäumt sind – ein hervorragender Resonanzraum für bollernde Boliden. Anwohner und Geschäftsleute allerdings sind von Lärm und Abgasen genervt. Seit dem Frühjahr schickten sie über 500 Beschwerden an die Polizei. Bürgerinitiativen protestierten, der Gemeinderat traf sich zu Sondersitzungen. Die Polizei versuchte es zunächst auf die nette Tour. Auffällig gewordene Fahrer bekamen gelbe Karten mit der Aufschrift „Stop Posing“. Es folgten Verwarnungen, dann wurden die ersten Autos beschlagnahmt. Weil alles kaum half, gründete die Polizei schließlich die Ermittlungsgruppe „Poser“. Sechs Beamte der Verkehrspolizei kümmern sich um die testosterongesteuerten Jungmänner. Chef der Truppe ist Michael Schwenk.

Mit Schutzweste überm Poloshirt, Sonnenbrille, Pfefferspray, Leatherman am Gürtel und offen getragener Pistole erinnert der 39-Jährige an einen US-Cop. „Kundschaft“, brummt Schwenk, wenn er in halsbrecherischem Tempo die Verfolgung eines Posers aufnimmt. Ralf Mayer auf dem Beifahrersitz grinst dann immer.

Wenige Stunden bevor Mayer und Schwenk Kenan Koc aus dem Verkehr ziehen, parkt dessen Mercedes auf seinem Firmengelände am Rande Mannheims. Koc, untersetzt, pausbäckig und sorgfältig gegeeltes Haar, ist Gebrauchtwagenhändler. Deutschlandweit sucht er nach hubraumstarken Modellen und fährt sie nach Mannheim. Das ist derzeit mühsam, denn sein Lappen ist futsch. „Bin vor Wochen unerwartet geblitzt worden“, seufzt er. Koc braucht also jemand, der ihn chauffiert. Er sagt: „Bitte schreiben Sie nur gute Sachen, ich habe mich schließlich weiterentwickelt.“ Koc meint damit, dass er sich privat immer größere und teurere Karossen leisten kann. Neben ihm steht Justina. Sie ist 20 und seine Freundin.

Tagsüber kutschiert Justina ihren führerscheinlosen Freund durch die Gegend, abends jobbt sie als Kellnerin. Sie sagt: „Manche behaupten, dass ich bei Männern nur auf die Autos schaue, aber das stimmt nicht.“ Koc bekennt: „Ich achte auf die Optik, ich will ja schön auftreten, wenn ich irgendwo bin.“ Es spricht weder von sich noch von Justina, sondern von seinem AMG. „Früher war ich Poser“, sagt Koc. Lange her. Nun sei er ein Checker. Er will sagen: Nun hat er den Durchblick. Kurz vor 17 Uhr überlässt der Checker seinen Autoschlüssel einem Freund, zusammen fahren sie Richtung Innenstadt. Zur gleichen Zeit verlässt ein unauffälliger VW Passat das Areal der Mannheimer Verkehrspolizei.

Im Wagen sitzen zwei Kollegen von Schwenk und Mayer. Schon nach wenigen Minuten hören sie Kocs Mercedes. Im ersten Gang, mit hoch drehendem Motor, kommt er ihnen entgegen. Blaulicht, Polizeikelle, Papiere bitte. „Ach, ein alter Bekannter“, sagt der Polizist. Am Ende belässt er es bei einer Verwarnung. Etwas zur selben Zeit treffen Mayer und Schwenk nur einige hundert Meter entfernt auf den Star der Poser-Szene.

Der Mann nennt sich Cano Habibi, ein Pseudonym. Habibi, 23, sitzt vor einer Shisha-Bar. Vergangenen Sommer raste der Kellner im Maserati mit gut 100 Stundenkilometern durch die enge Fressgasse und demolierte vier geparkte Autos, bevor er den 100?000-Euro-Wagen an einem Baum in Altmetall verwandelte. Ein Wunder, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Kurz darauf postete Habibi auf seiner Facebook-Seite das Foto eines Ferrari: „Das nächste Monster ist auf dem Weg.“ Seine Fans waren begeistert. „Cano fickt die ganze Stadt, starker Auftritt“, kommentierte einer das Bild. Demnächst muss sich Cano wegen Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Körperverletzung und Fahrens ohne Fahrerlaubnis vor Gericht verantworten.

Als er Mayer und Schwenk sieht, die im Schritttempo an ihm vorbeifahren, lacht er freundlich. „Kommt in meine Bar!“, ruft er. „Wir sind im Dienst“, sagt Mayer. „Ja, ihr habt viel zu tun“, sagt Habibi. Woher haben Leute wie er das Geld für ihr teures Hobby? Mayer sagt: „Die meisten Fahrzeuge sind geleast, Familie und Freunde legen für die Raten zusammen, manchmal muss sogar die Oma helfen.“ Manche Poser leben in einer winzigen Wohnung auf Bananenkisten, weil alles Geld für die Autos draufgehe, sagt Mayer.

Das mit den Bananenkisten beeindruckt Mayer noch immer, dabei ist er 57 Jahre alt, 25 davon war er bei der Autobahnpolizei. Nun also jagt er Poser. Immer mit Schwenk, immer vier Nächte hintereinander. Viele Passanten bedanken sich für ihren Einsatz. Selbst die Poser sehen sie nicht als Feinde, sondern als unverzichtbaren Teil eines aufregenden Katz-und-Maus-Spiels. Viele Poser sind Wiederholungstäter, sie wollen beeindrucken, vor allem die Frauen in den Straßencafés, vor denen sie ihre Motoren brüllen und fauchen lassen wie hungrige Raubtiere. Selbst harte Strafen schrecken sie nicht ab. Werden sie erwischt und verurteilt, zahlen sie für illegale Umbauten, für Lärmgutachten und dafür, ihre Autos in den Originalzustand zurückzuversetzen. Allein der Rückbau einer Auspuffanlage verschlingt bis zu 2000 Euro.

Als sich Mayer und Schwenk gegen 20 Uhr im Restaurant „Hühnerstall“ mit einer Großfamilienportion Pommes eindecken und hinunter zu den Neckarwiesen fahren, haben sie jede Menge Poser-Ausreden gehört. Ein ehemaliger Fußballprofi im BMW, versuchte eine Lärmmessung mit der Begründung zu verweigern, zu Hause warte sein hungriger Hund. „Ich muss unbedingt zum Fressnapf!“ Ein Fahrer, dessen Wagen klang, als detonierten darunter Bomben, erklärte: „Das gehört zum Performance-Paket“. Ein Taxifahrer, der am Unterboden seiner E-Klasse eine Soundanlage samt Lautsprecher installiert hatte, damit sein lahmer Diesel wie ein Ferrari klinge, behauptete: „So zahlen die Fahrgäste mehr Trinkgeld.“

Gegen 20.30 Uhr stoppen Mayer und Schwenk einen Audi S8. Hinterm Steuer sitzt Francesco, neben ihm seine Freundin. Die beiden wollen ins Kino, doch daraus wird nichts. „Sie haben schwarze Folie auf die Rückleuchten geklebt, das ist verboten“, sagt Mayer. Er weiß, dass für einen echten Poser getönte Lampen unverzichtbar sind. Allerdings beeinträchtigt Folie die Leuchtkraft und damit die Verkehrssicherheit.

„Isch habe keine Folie, ganz ehrlich“, behauptet Francesco.

„Doch.“

„Is original, isch schwöre.“

Mayer hockt sich hinter den Wagen und zieht die Folie von der Leuchte.

„Isch hab den Wagen so gekauft“, wagt Francesco einen letzten Rettungsversuch.

„Sicher“, murmelt Mayer.

„Jetzt sieht er scheiße aus“, flüstert Francesco.

„Ja, sieht scheiße aus“, sagt Mayer, „ist aber gesetzlich vorgeschrieben.“ Als er auch noch die Folie von den Scheinwerfern kratzt, schaut Francesco, als hätte man gerade seinen Rassehund kastriert. Dafür lernt er an diesem Abend, was das Wort „Mängelberichtsverfahren“ bedeutet.

Kurz vor 22 Uhr parken die Beamten am Industriehafen. Mayer steigt aus, zündet sich eine Zigarette an und starrt aufs Wasser. Schwenk bleibt im Auto und starrt auf Mayer. Sie verbringen mehr Nächte zusammen im Dienstwagen als bei ihren Familien. Wenn sie gerade keinen Poser kontrollieren, kämpfen sie gegen die Müdigkeit und reden, reden, reden. Doch jetzt braucht Mayer eine Auszeit. Auch von Schwenk. „Dieser Job funktioniert nur, wenn man sich richtig gut versteht“, sagt Schwenk. Mayer entlässt ein paar Meter entfernt Rauchkringel in die laue Nachtluft. Die Laternen auf der Rheinbrücke tauchen die hässlichen Lagerhallen in mildes, orangefarbenes Licht.

Als Mayer seine Zigarette ausdrückt, stehen plötzlich vier Jungs vor ihm. Alle Anfang 20. „Hallo, Herr Mayer“, sagt der Anführer, „was machen Sie hier?“ Mayer brummt: „Pause.“ Der junge Mann mit Babyspeck im Gesicht strahlt ihn an. „Erinnern Sie sich an mich?“ Mayer schweigt. Hunderte Autofahrer hat er in den vergangenen Monaten überprüft. Wer kann sich all die Gesichter merken? „Sie sind der 7er BMW, oder?“ – „Stimmt“, sagt der junge Mann, „Sie haben ihn beschlagnahmt.“

„Und nun zu Fuß?“, fragt Mayer.

„Jetzt fahre ich Smart.“

Mayer guckt ernsthaft betrübt. „Ist das nicht peinlich?“

„Schon“, seufzt der Poser.

„Ich rede mit den Jungs immer freundlich, Konfrontation bringt nichts“, sagt Mayer, nachdem die Clique verschwunden ist. Als Mayer und Schwenk den Industriehafen verlassen wollen, tauchen die vier erneut auf. Der zum Smart-Fahrer degradierte Oberposer reicht zwei Energydrinks in den Wagen und sagt: „Damit Sie durchhalten.“ Mayer und Schwenk bedanken sich. Die Dosen werden sie nicht anrühren.

Kurz vor Mitternacht melden sich die beiden Kollegen, die in dieser Nacht ebenfalls auf Streife sind. „Wir sind in der Zentrale und haben zwei Stammkunden dabei“, plärrt es aus dem Funkgerät. „Wir kommen“, sagt Schwenk. Minuten später erreichen sie die Polizeiwache. Auf dem Parkplatz wartet schon Kenan Koc. Die Verwarnung am frühen Abend hatte ihn nicht sonderlich beeindruckt. Er und sein Kumpel, der ihn an diesem Abend chauffiert hat, haben mit dem AMG weiter die Innenstadt beschallt, nun wollen die Beamten den Lärmpegel ermitteln.

Während Mayer misst, befragt Schwenk den Fahrer. Dem Hauptkommissar kommt ein Verdacht. „Haben Sie Drogen genommen?”, fragt er. „Nein!“ Schwenk lässt den Fahrer auf einen Teststreifen pinkeln und sagt einige Minuten später: „Kokain.“ Der Mann sagt nichts mehr. Weil ein Urintest nicht als gerichtsfester Beweis gilt, ruft Schwenk einen Bereitschaftsarzt, der Blut abnimmt. Das Ergebnis wird erst in den nächsten Tagen vorliegen.

Auch Kocs Kumpel darf die Wache verlassen. Sein Führerschein nicht. Auf dem Polizeiparkplatz stellt er sich zu Koc, beide starren stumm auf den AMG. Jetzt kann nur noch Justina helfen.

Kurz darauf taucht Justina auf. „Ich finde diese Jagd auf Poser völlig daneben“, schimpft sie. „Ja, die Polizei übertreibt“, stimmt Koc matt zu. Dann rauscht das Trio vom Hof. Ein Checker ohne Führerschein mit seiner nur noch bedingt mobilen Entourage. Polizeihauptkommissar Schwenk klopft seinem Kollegen Mayer auf die Schulter und sagt: „Lass uns noch eine Runde drehen.“