Zeitenspiegel Reportagen

Uniabschuss

Erschienen in "zenith" 02/2017

Von Autor Jan Rübel

Eine ehrgeizige Virologin wird gefeuert, ein aus Deutschland finanziertes Projekt gerät ins Stocken. Der Fall berührt auch die Machtverhältnisse in den Palästinensischen Gebieten.

Eine Audioaufnahme aus Palästina: Die Tür zu einem Labor wird aufgeschlossen, in der Ferne bellt ein Hund, eine Männerstimme nähert sich, dann Geschrei. »Geh raus, du Tier«, ruft eine Frau. Es poltert, der Mann droht, halb belustigt: »Bin ich wirklich ein Tier?« Er fragt es immer wieder, die Frau ruft lauter – da schreit im Hintergrund eine andere Frau. Es scheppert laut, sie weint.

Al-Quds-Universität in Abu Dis, 25. Mai 2014: An diesem Tag eskaliert im Labor für Virologie von Institutsleiterin Maysa Azzeh ein Streit unter Kollegen. Er fordert Flüssigstickstoff, sie verweist auf das offizielle Bestellformular. Am Ende liegt Azzeh am Boden. Schnitt. Neben der Audioaufnahme bestätigt eine Zeugin den Übergriff. Unter normalen Umständen müssten nun strafrechtliche Ermittlungen und der universitäre Sanktionsmechanismus in Gang gesetzt werden, aber in dieser Geschichte ist es der Beginn des Gegenteils: 17 Monate später wird über Nacht ein neues Schloss am Labor angebracht – und Maysa Azzeh gekündigt.

Diese Geschichte handelt von einer jungen Frau, die nicht nur Fördergelder einstreichen, sondern einen wirklichen Forschungsbeitrag leisten will – und dabei auf unüberwindbare Hindernisse in der eigenen Univer- sität stößt. Einer Frau, die binnen Stunden vor dem beru?ichen Nichts steht.

Der Wagen schlüpft auf dem Weg nach Abu Dis durch ein Nadelöhr. Links erhebt sich Maale Adumim, eine jüdische Siedlung, stattlich auf einem massiven Hochplateau gelegen, rechts die eng beieinanderstehenden Häuser der palästinensischen Stadt Eizariyya. Die Al- Quds-Universität (AQU) liegt dahinter, erreichbar über eine enge und einsame Serpentine. Die israelische Sperranlage durchschneidet den Blick. An dieser schmalen Stelle teilt sich das Westjordanland, und die AQU ist nicht nur eine Universität, sie ist auch ein Symbol für das palästinensische Gesicht Jerusalems. Seit ihrer Gründung 1984 ist die einzige arabische Universität Jerusalems immer wieder Ziel israelischer Razzien, erhält andererseits aber auch Hilfsgelder aus arabischen Ländern. Ge- forscht wird auch. Dafür kam Maysa Azzeh hierher.

Im Jahr 2002 kehrt die damals 30-jährige Jerusalemerin aus Deutschland in die Heimat zurück. Mit einem Stipendium des DAAD hatte sie Mikrobiologie studiert und magna cum laude promoviert, an der AQU betraut man sie 2007 mit der Leitung des Medizinischen Forschungsinstituts, welches es zuvor praktisch nicht gab. Azzeh baut das erste virologische Forschungslabor Palästinas auf, Kernstück bilden Geräte und Instrumente von der »Japan International Cooperation Agency« (JICA) im Wert von zehn Millionen US-Dollar. Die Spende hatte die AQU 1998 erreicht und lag unbenutzt herum. Azzeh repariert und wartet die Geräte – für ihr eigenes Labor, verteilt sie aber auch an Kollegen. zenith liegen mehrere Zeugenaussagen vor, nach denen Azzehs Virologie-Labor das einzige an der AQU gewesen sei, das gut funktionierte.

Die Arbeit im Labor kommt voran. Azzeh erhält einen Forschungsauftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen trilateraler Projekte zwischen Deutschland, Palästina und Israel, 400.000 Euro ?ießen in das Projekt. »Gemessen an den begrenzten Arbeitsmöglichkeiten erzielte sie sehr gute Ergebnisse«, sagt Wolfram Gerlich, seit sieben Jahren emeritierter Professor für Medizinische Virologie am Uniklinikum Gießen und früherer Projektpartner. Und Andreas Strecker von der DFG meint: »Das Projekt mit Frau Azzeh ist im Vergleich zu den anderen trilateralen Vorhaben im Gebiet der Infektionsbiologie der vergangenen Jahre das mit Abstand am erfolgreichste gewesen.«

Immer mehr palästinensische Universitäten beteiligen sich an EU-Forschungsprogrammen. Die Palästinensische Autonomiebehörde selbst hängt am Tropf internationaler Geber und kann kaum fördern – die Hochschulen sind auf die bereitwillige Hilfe des Westens angewiesen. Dahinter steckt nicht nur das Kalkül, dass Wissenschaft ein wichtiges Element für die wirtschaftliche und staatliche Entwicklung Palästinas ist, sondern auch die Hoffnung auf Frieden: je mehr Wissenschaft, desto mehr bilaterales Miteinander, auch mit Israel. Wissenschaftsförderung ist das Zauberwort in Kon?iktregionen, wenn vieles andere nicht mehr geht. Was aber wird wirklich geforscht und was geschieht aus Selbstzweck? Wie gedeiht Wissenschaftlichkeit in einem Umfeld, das seit Jahren in der Gewissheit von Transfers aus dem Ausland lebt; unter einer Politik, die immer wieder Wahlen verschiebt? In einer Region, deren Nachbar Israel die Wirtschaft schwächt und kleinhält, in der ein Großteil der internationalen Hilfsgelder in Gehälter und Pensionen ?ießt und wo Korruptionsvorwürfe eine stete Begleiterscheinung sind?

Die AQU beteiligte sich mit zahlreichen Arbeiten an den trilateralen Projekten der DFG, diese Forscher aber arbeiteten israelischen oder deutschen Labors meist lediglich zu, sammelten zum Beispiel Proben. Azzehs Arbeit dagegen war Forschung »Made in Palestine«. Gerlich verweist auf den »sehr guten Impact-Faktor« ihrer Veröffentlichungen. Azzeh gewinnt Preise, wird zu Vorträgen ins Ausland eingeladen. Dann lief etwas schief.

Unipräsident Imad Abu Kishek sitzt hinter einem mächtigen Holzschreibtisch, eingerahmt von den Flaggen Palästinas und der AQU. Er lächelt. »Wir unterstützen Frauen, wo wir können«, sagt er, »besonders die gebildeten. Aber mit Azzeh war es komisch.« Obwohl sie an Ausrüstung erhalten habe, was sie wollte.

Mit den Fortschritten in Azzehs Labor wuchs Neid. Auch prallten die Anforderungen eines modernen Labors mit den Realitäten an der Uni zusammen. Albrecht Wunder von der GIZ erinnert sich, wie er sich auf Bitten Azzehs das Notstromaggregat ansah. »Das war fabrikneu, aber vermüllt und verkommen. Man hatte es nicht gewartet. Ich machte die Uni-Verwaltung auf die Situation aufmerksam und sagte, dass eine Inspektion weniger kostet als eine Neuanschaffung. Ich hatte den Eindruck, dass der Verantwortliche all diese Geräte zum ersten Mal sah.«

Dann kamen der 25. Mai 2014 und die Attacke. Wenn Azzeh darüber spricht, verhärtet sich ihr Gesicht. »Dieser Mann hatte nie vorher nach Flüssigstickstoff gefragt«, sagt sie über den Angreifer. Die Maschine zur Stickstoffproduktion hatte sie 2007 zum Leben erweckt, die ersten Jahre stand die Maschine in einer anderen Fakultät, gewartet wurde sie von Azzeh. Flüssigstickstoff kann eine Temperatur weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser aufrechterhalten und eignet sich zur Aufbewahrung von Zellen; indirekt ist seine Verwendung an einer Uni ein Indikator für das Ausmaß an Forschung dort. zenith liegen mehrere Zeugenaussagen vor, nach denen Azzeh den dort produzierten Flüssigstickstoff so gut wie allein beantragte und nutzte. 2014 schließlich verfügte die Uni-Leitung die Verlagerung der Maschine in Azzehs Labor.

Abu Kishek sieht das anders. »Viele an der Uni gebrauchten und brauchten den Flüssigstickstoff.« Sein Beweis: Eine schriftliche Anfrage von Studenten für Flüssigstickstoff von März 2015. Für zehn Liter. Reichhaltiger Bedarf sieht anders aus. Der Präsident steht auf, draußen warten schon zwei deutsche Professoren von der GIZ, es geht um den Ausbau des Dualen Studiums an der AQU. Mit Hussein Jaddu, dem Vizepräsidenten »Administrative und Finanzielle Angelegenheiten«, geht es quer über den Campus hin zum Büro von Hanna Abdel Nour, Vize- Präsident für Akademische Angelegenheiten. »Das Problem mit dem Flüssigstickstoff war eher geringfügig«, sagt Jaddu, als wir einen kleinen Garten passieren, mit Holzbänken zum Ausruhen und einem Panoramablick auf sanfte Hügelketten samt israelischer Sperrmauer. »Da gab es andere Themen. Zum einen erlaubte sie Studenten von anderen Universitäten, im Labor zu arbeiten – ohne eine ordentliche Genehmigung hierfür von der Verwaltung erhalten zu haben.« Zum anderen habe Azzeh »medizinische Analysen für Krankenhäuser und Labore realisiert, obwohl wir dafür keine Genehmigung vom Gesundheitsministerium haben. Das hätte die Schließung der Universität zur Folge haben können.«

Wirklich? Institutsleitungen in Deutschland lassen Studierende auch ohne Verwaltungsgänge hinein, und braucht es tatsächlich für Analysen einer behördlichen Erlaubnis, gerade weil für Analysen in Azzehs Labor der Segen des universitären Ethikkomitees gegeben und diese Laborarbeit jahrelang öffentlich bekannt war? Und selbst wenn, wäre das ein Kündigungsgrund, ohne Warnung? Gab es etwa Mahnbriefe an Azzehs Kollegen, die konsequent nicht ihren Aufgaben wie der Stromversorgung oder Wartung von Geräten nachkamen?

Eine Stunde nach der Attacke erhielt Azzeh einen Anruf aus dem Büro des damaligen Uni-Präsidenten Sari Nusseibeh. Sie solle sich entschuldigen, sagte eine Frauenstimme, sie habe den Mann angegriffen. Azzeh protestierte, Nusseibeh entschuldigte sich und gründete ein Untersuchungskomitee. Azzeh wartete auf die Ergebnisse. Im August 2014 geht Nusseibeh in Pension, Abu Kishek wird sein Nachfolger. Die Erkenntnisse des Komitees werden bis heute nicht veröffentlicht. Auf Kontaktversuche von zenith antworten Ausschussmitglieder nicht. Der mutmaßliche Angreifer will sich auch nicht äußern.

Azzeh kann ungeduldig wirken. Entschlossen tritt sie auf, und dass der Angreifer unbehelligt weiter an der Uni arbeitet, dass nichts passiert, das wurmt sie. »Man sagte mir, im Komitee-Bericht werde man meinen Kollegen schwer beschuldigen, ich sollte nicht zur Polizei gehen«, erinnert sie sich. Im Oktober 2014 erhält sie einen Brief von der Uni-Leitung, demzufolge diese überlegt, den tätlich gewordenen Kollegen ein Semester lang seiner Tätigkeiten zu entheben und seine Rückkehr von einer Entschuldigung abhängig zu machen. Monate vergehen. Dann entschließt sich Azzeh zu einem folgenreichen Schritt.

Azzeh geht zur Polizei, will den Kollegen anzeigen. Doch im Westjordanland herrscht eine veraltete Strafjustiz, gemäß der jordanischen Strafordnung aus dem Jahr 1960 muss körperliche Gewalt binnen drei Monaten angeklagt werden – die sind verstrichen. Jordanien indes hat diese Regularien längst reformiert – Palästina nicht. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Mann, doch das Gericht weist die Klage wegen der abgelaufenen Frist ab.

Während Azzeh weiterhin die Uni-Verwaltung um die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts bittet und auf der besprochenen und in ihrem Status längst verdienten Beförderung zur Professorin besteht, lädt sie der Vizepräsident im Juni 2015 zum Treffen eines neu gegründeten Komitees ein, »um Ihre Beförderung und alles, was damit verbunden ist« zu besprechen. Die erste Einladung sagt Azzeh wegen einer Masterprüfung eines Studenten ab, die zweite wegen der Teilnahme an einem Kongress. Azzehs Schreiben ist zu entnehmen, dass sie davon ausgeht, es gehe um ihre Ernennung zur Professorin. Ein in ihren Augen überfälliger Schritt, da alle Gutachten zur Quali?kation längst vorliegen. Was Azzeh nicht weiß: Das Komitee beschäftigt sich statt- dessen mit ihrer Kündigung.

In einem Brief an den Präsidenten Abu Kishek fasst sein Vize Hanna Abdel Nour zusammen: Azzeh sei zweimal erfolglos eingeladen worden, die Vorwürfe bezögen sich auf Angriffe gegen Kollegen, sie würde Lehre verweigern und wenig Forschung im Vergleich zu anderen Kollegen betreiben. Am selben Tag beschließt Abdel Nour das Ende des Virologie-Labors, das Schloss wird ausgetauscht; an Privatbesitz wie Möbel, Laptop, Ordner und Forschungsproben kommt Azzeh über Nacht nicht mehr heran.

Azzeh klagt gegen die Kündigung, und das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Palästina liest sich wie eine Klatsche gegen die Universität. Gegen die eigenen Uni-Paragraphen habe die AQU gehandelt – die Kündigung gilt als unrechtmäßig und wird aufgehoben. Da ist Artikel 42, nach dem ein Bediensteter explizit ge- warnt werden muss. Da ist Artikel 45, der die Zusammensetzung des Komitees genau de?niert und an den sich die AQU nicht im Geringsten hielt. Auch hätte der Vizepräsident Azzeh gemäß Artikel 48 über ihre angeblichen Rechtsverstöße informieren müssen. Und schließlich seien derart angeklagte Bedienstete anzuhören, auch Zeugen zu ihrer Verteidigung. Nichts davon geschah.

Das Problem: Seit dem Urteil vom 23. Mai 2016 passiert: nichts. Keine Wiedereinstellung, keine Einigung auf Schadenersatz und Gehaltsnachzahlung. »Wozu gibt es Gerichte, wenn man ihren Urteilen nicht folgt?«, fragt Azzehs Anwalt Shoukry Al-Aboudi enttäuscht und begräbt das Gesicht in seinen Händen. Seiner Meinung nach ignoriere die Universität das Urteil, »weil es für die AQU ein Problem der Würde« sei.

Vizepräsident Abdel Nour lehnt sich in seinem Büro zurück, bestreitet die Vorwürfe: »Sie weigerte sich nach einer Weile zu lehren, sogar als die Uni ihren Lehranteil auf die Hälfte reduzierte.« Und ihre exzellente Forschung, was ist die Ihnen wert? Sein Kollege Jaddu nimmt seine Brille ab. »Viele Kollegen haben mehr Publikationen als sie vorzuweisen. Ihre Kollegen lehren und meistern eine exzellente Forschung, während Azzeh nicht lehrt.« Ein Blick in die Datenbank des US-amerikanischen »National Center for Biotechnological Information« (NCBI) zeigt, dass Azzehs Kollegen bei veröffentlichten Papieren kaum als Erst- oder Letztautoren auftauchen – worauf es in der Forschung ankommt. Sie sind lediglich, irgendwie, dabei. Azzehs Einträge lesen sich anders, auch bei Einträgen zu publizierten Genotyp- und Nukleinsäure Sequenzen liegt sie mit Abstand vorn. Die Kritik an Azzeh hingegen ist eine Aneinanderreihung von Klischees über Frauen: streitsüchtig, nervös, arbeitsscheu, weniger schlau.

Bleiben noch die Attacke und das Gerichtsurteil. Abu Kishek, gerade wieder hinzugekommen, hat eine einfache Erklärung für beides. »Vielleicht wollte sie ihm eine Falle stellen und ein Problem kreieren. Es war nicht gut von ihm und schlecht von ihr.« Azzeh habe ihn zuerst hart geschubst, und er habe zurückgeschubst, »in einer Art Re?ex«. Zum Gerichtsurteil äußert sich Abu Kishek auch: »Ich sagte, ich werde jede Forderung ihres Anwalts akzeptieren, weil sie eine Frau ist und sie Teil der Familie war. Und auch als Botschaft, dass wir für sie sorgen. Aber sie lehnte ab, und ihrem Anwalt ge?el ihre Reaktion nicht.«

Frau. Familie. Es klingt nach Fürsorge besonderer Art. Doch Azzehs Anwalt berichtet, wie die Verhandlungen mit der Uni um den Schadenersatz liefen. Seinen neu eingestellten Gehilfen hatte Al- Aboudi ins mit blauen Regalen zugestellte Büro in Ramallah gerufen und gesagt: »In jedem meiner 36 Jahre als Anwalt war es Konsens, dass bei einer unrechtmäßigen Kündigung zusätzlich zwei Monate pro geleistetem Arbeitsjahr gezahlt werden müssen. Selbst ein Anwaltsassistent im ersten Jahr weiß das. Aber die Berechnung der Universität ignorierte diesen Fakt.« Die Gespräche stocken. Seit Monaten.

Wie konnte es so weit kommen? Bei der Fahrt zurück nach Jerusalem ?iegt der Wagen unter tief liegenden Wolken, der Checkpoint versinkt im Nebel, gelangweilte israelische Soldatinnen winken müde durch. In Ost-Jerusalem schließlich, nahe der Altstadt gegenüber dem alten Luxushotel »American Colony« liegt einsam eine Villa aus grauem Stein. Sari Nusseibeh öffnet die Tür zu seinem Garten. 19 Jahre lang hatte er als Präsident der AQU vorgestanden, lehrt noch Philosophie dort. Heute sagt er: »Sie mochten sie einfach nicht. Das war’s.« Einige Institute an der Uni hätten sie nicht lehren lassen. »Sie wollte lehren, aber ihre Kollegen hielten sie auf Distanz.« Der 68-Jährige schüttelt seinen weißen, mächtigen Schopf. »Ihr Verhalten wurde als außerhalb einer gewissen Norm wahrgenommen. Sie provozierte durch ihren offenen Ansatz.« Nein, gekündigt hätte er ihr nicht. Der Vorwurf mit den Studenten von anderen Unis – »das erscheint mir retrospektiv aus- gegraben«. Die Klage wegen der medizinischen Analysen – »die Uni sollte stolz darauf sein, wenn einer ihrer Bediensteten die öffentliche Gesundheit unterstützt«.

Eine ähnliche Erfahrung wie Azzeh hat ein deutsch- amerikanischer Forscher gemacht. Robert Stern arbeitete zwischen 2007 und 2009 zwei Jahre lang ehrenamtlich für die AQU, als einziger Wissenschaftler aus dem Westen – er wollte Aufbauarbeit leisten. Der heute 81-Jährige gehört zu den bedeutendsten Pathologen der Welt, er forschte mit Nobelpreisträgern gegen Krebs. Die zwei Jahre an der AQU begeisterten ihn, nur eckte er bei Kollegen an. »Die Studenten sind im Vergleich zu den Professoren exzellent und strebsam.« Er zog Missgunst auf sich. »Ich habe die Studierenden angeregt, Fragen zu stellen. Das kam im Kollegium nicht immer gut an.« Eines Tages sei der Dekan der Medizinischen Fakultät in eine Vorlesung von Stern geplatzt, er habe sich einen Studenten geschnappt und ihn beschimpft – der hatte vorher einen anderen Professor öffentlich korrigiert. Es dauerte nicht lange, da teilte man Stern mit, dass man ab kommendem Semester auf seine Dienste verzichten werde. »Maysa ist sehr begabt. Man war schlicht neidisch auf sie«, sagt er. Oft habe er bis in den Abend hinein mit Azzeh im Labor gearbeitet, da habe »in allen anderen Gebäuden kein Licht mehr gebrannt«.

Der Fall Azzeh passt nicht in gewisse Normen. Besser man redet kaum darüber. Solch ein Schema verharrt nicht in Abu Dis, es wandert auch nach Amerika: Der tätlich gewordene Kollege ist offiziell Angestellter des Bard-Colleges, eines englischsprachigen Zweigs an der AQU, in dem in Partnerschaft mit der privaten Bard-Hochschule aus New York Studien angeboten werden; auch in Berlin gibt es solch ein College. Sinn dieser Kooperation ist laut Website, das palästinensische Bildungsniveau zu erhöhen, »als bestes Mittel zur Vorbereitung junger Palästinenser, damit sie die Verantwortung von Führung und eigener Regierungsführung in einem künftigen demokratischen Staat übernehmen«.

Azzeh und andere alarmierte US-Wissenschaftler wenden sich nach der Attacke an die Bard-Zentrale in New York. In einer Mail behauptet Bard-Präsident Leon Botstein zunächst, keiner der Beteiligten in dieser Auseinandersetzung sei ein Angestellter bei Bard. Nach weiteren Interventionen meldet sich der Vizepräsident für Akademische Angelegenheiten bei Azzeh. Im März 2016 schreibt Jonathan Becker, dass die anfänglichen Untersuchungen der Hochschule zur Annahme geführt hätten, »dass eine formale Untersuchung, realisiert von einem auswärtigen Untersucher, angemessen ist«, und kündigt eine sorgfältige Recherche an. »Sie werden formell benachrichtigt, wenn diese beginnt.« Seitdem hört Azzeh von Becker und von Bard nichts. Auch zenith hat Becker dreimal angeschrieben – ohne Antwort. Bei einem Anruf verspricht seine Sekretärin seinen Rückruf; die Redaktion wartete bis Druckschluss darauf.