Zeitenspiegel Reportagen

Von der Liebe zu den Waldmenschen

Erschienen in "Terra Mater", März 2013

Von Fotograf Carsten Stormer und Autor Carsten Stormer

Der Brite Ian Singleton kämpft für das Überleben der Orang-Utans auf Sumatra. Seine Gegner: mächtige Palmölplantagenbesitzer und unfassbare Ignoranz. Seine Mission: fast unmöglich – aber eben nur fast.

Ian Singleton lächelt, als er seine Mitarbeiter in der Orang-Utan Auffangstation begrüßt, er lächelt, als er an den Käfigen mit den befreiten Menschenaffen vorbeischlurft, er gluckst wie ein Schuljunge, als ihn die Affen freudig begrüßen und sie sich von ihm kitzeln lassen, bis sie sich kichernd am Boden kugeln. Doch als er den Neuzugang sieht, der heute Morgen in einer Metallkiste ankam, lächelt er nicht mehr.

Das Männchen drückt sich ängstlich in eine Ecke des Käfigs, zieht sein Bein nach, das in einem grotesken Winkel von der Hüfte absteht. Der Körper aufgedunsen, das Gesicht geschwollen. Ein riesiger eingeschüchterter Affe weicht vor den Menschen zurück, die sich seinem Käfig nähern. Sein Gesicht verbirgt er hinter seinen Pranken, die aussehen wie Menschenhände, als wolle er sich vor jenen verstecken, die ihm so viel Leid angetan haben. Der Schädel ist kahl, Eiter fließt aus dem linken Auge, das orangefarbene Fell steht struppig von seinem Körper ab. Der Orang-Utan gibt Laute von sich, die sich anhören, als schluchze hinter den Gitterstäben ein Mensch. Erst in der Nacht zuvor haben indonesische Soldaten den Riesen aus einem Käfig, fünf Autostunden von hier entfernt, befreit. Dorfbewohner hielten ihn jahrelang illegal als Haustier in einem Käfig. Weil sie dem Menschen so ähnlich sind, gelten die Tiere als Statussymbol.

Das namenlose Männchen ist der neuste Zugang in der Auffangstation des Sumatran Orangutan Conservation Programme (SOCP), eine Organisation, angeführt von einem sturen Engländer. Ihr Ziel: Die Sanduhr umzudrehen und die Orang-Utans Sumatras vor dem Aussterben zu bewahren. Ian Singleton hat die Organisation vor elf Jahren gegründet. Ein Brite auf Mission Impossible, scheinbar. Denn der Verlust ihres Lebensraumes spült ständig neue Orang-Utans in die Singletons Auffangstation.

In Bahasa, der Sprache Indonesiens, bedeutet Orang Mensch und Utan Wald, erklärt Singleton. Die Waldmenschen, nur ein Gen vom Menschen entfernt, erreichen die Intelligenz eines vierjährigen Kindes und besitzen ein Gedächtnis, das das menschliche teilweise übertrifft. Sie verfügen über Heilkünste und benutzen Werkzeuge. Ihre Heimat sind die Dschungel und Sümpfe Sumatras, in denen sich eine Tragödie im Windschatten der Informationsgesellschaft abspielt, deren Schlussakt das Aussterben der Menschenaffen sein könnte: In wenigen Jahren, so schätzen Forscher, könnte es schon soweit sein. Sie sind Opfer der Globalisierung, der Gier nach Rohstoffen, des illegalen Holzabschlags und vor allem des Palmöl-Booms: riesige Plantagen fressen sich wie hungrige Nager in den Regenwald Sumatras, in denen bis 1993 noch etwa 12.000 Orang-Utans lebten. Heute soll der Bestand der Waldmenschen auf wenige tausend Exemplare geschrumpft sein. Und die Zeit tickt gegen sie.

Es ist ein lukratives Geschäft, das da betrieben wird. Neben Malaysia, ist Indonesien der größte Lieferant von Palmöl. Flüssiges Gold; begehrt in der ganzen Welt, billig in der Produktion. Das Land steigerte seinen Ertrag seit 2003 um 66, der Weltmarktanteil liegt bei 44 Prozent. Allein dieses Jahr erwirtschaftete Indonesien 23 Millionen Tonnen. Inzwischen sind acht Millionen Hektar Land mit Ölpalmen bepflanzt, und ständig werden es mehr. Palmöl befindet sich in Nutella ebenso wie in Eiscremes, Waschpulver, Margarine, Seifen, Lippenstiften, Speiseölen, Tütensuppen oder Bio-Sprit. Eigentlich in fast allen Produkten, die in den Regalen von Supermärkten stehen.

Für die Besitzer der Palmölplantagen sind Orang-Utans nur ein Stolperstein auf dem Weg zu noch mehr Profit. Und weil die Affen inzwischen aus Mangel an Lebensraum und auf der Suche nach Nahrung in Plantagen einfallen und Setzlinge abnagen, haben Plantagenbesitzer Kopfgelder auf sie ausgesetzt und lassen gleichzeitig immer mehr Wälder brandroden. Tausende Orang-Utans sollen in den vergangenen Jahren verbrannt sein, noch immer hängt der Rauch unzähliger Feuer über den Urwäldern Sumatras. Und Singleton erzählt davon, wie Affenwaisen durch die Asche verbrannter Wälder taumeln. Diejenigen, die überleben, werden erschossen, andere landen als Haustiere in Käfigen.

Oder in der Auffangstation Singletons. Die liegt versteckt in einem Waldstück am Rande des Dorfes Batumbelin, eine Autostunde von Sumatras Hauptstadt Medan entfernt. Ein Bach plätschert, Zikaden zirpen, bunte Falter segeln von Baum zu Baum und in geräumigen Käfigen leben 47 befreite Orang-Utans, deren neue Freiheit hinter Gitterstäben beginnt. Denn die Instinkte, die sie in der Gefangenschaft verlernt haben, müssen sie sich erst mühsam wieder erarbeiten, sagt Singleton: Monatelang werden sie auf ein Leben in freier Wildbahn vorbereitet; lernen auf Bäume zu klettern, Nester zu Bauen, Nahrung zu finden, den Menschen zu vergessen. Regelmäßig klappert Singleton die Plantagen ab, um heimatlose Orang-Utans einzufangen und umzusiedeln. „Ihre Heimat haben sie verloren. Wenn wir sie nicht umsiedeln, würden sie sterben. So einfach ist das.“

Ein Tierpfleger zieht eine Betäubungsspritze auf, schiebt sie in ein Blasrohr und zielt damit auf den zitternden Affenkörper. Neben dem Pfleger steht die Tierärztin Yenni Sarraswati, eine schmale Frau in Blaumann und mit Kopftuch. Die 29-Jährige redet beruhigend auf das Tier ein. „Alles wird gut, Großer. Alles wird gut. Wir wollen Dir helfen. Wir sind Deine Freunde“, sagt sie und als die Spritze in seinen Körper fährt, jault das Tier kurz auf und zieht sie aus seinem Oberschenkel. Langsam, ganz langsam sackt der Affe in sich zusammen, der Kopf sinkt auf seine Brust, dann schläft er ein. Tierpfleger hieven ihn auf eine Bahre und bringen ihn in die Krankenstation. Ian Singleton steht daneben, gefrorene Gesichtszüge, Zorn im Blick.

Denn die Besitzer des Affen haben ihn übel zugerichtet, in dem Versuch, ihn zum Affen-Menschen zu prügeln. Mitleid schlägt um in Wut, als Yenny Serraswati den bewusstlosen Orang-Utan zum Röntgen auf den Operationstisch legt. Sie zieht ihre Stirn in Falten, während sie behutsam Schädel und Gliedmaßen abtastet. Erst die Röntgenaufnahmen bringen Gewissheit: Gebrochener linker Unterarm, gebrochener Oberschenkelknochen, gebrochene Hüfte, drei Schädelfrakturen, das linke Auge erblindet, dehydriert. „Es ist ein Wunder, dass er noch lebt“, sagt die Tierärztin. „Sein Besitzer muss ihn regelmäßig verprügelt haben.“ Zum Schluss nimmt Yenni Serrawati noch ein paar Ampullen Blut ab, um es auf Hepatitis, Malaria und Tuberkulose zu untersuchen; so ähnlich sind sie dem Menschen, dass sie auch alle seine Krankheiten bekommen können. Ian Singleton gibt ihm den Namen „Cane“. Das englische Wort für Schlagstock.

Die Schicksale der Affen ähneln sich, erzählt Singleton: Die Mütter ermordet, die Babys verkauft. Und wenn sie größer werden, erlischt meistens auch die Liebe des Menschen. Dann werden sie irgendwo fest gekettet, geschlagen, in Käfige gesperrt, vergessen. Oder, wenn sie zu viel fressen und das Geld fürs Futter nicht reicht, getötet, um Platz für ein neues Affenbaby zu schaffen.

Ein paar Stunden später sitzt Doktor Singleton wieder in seinem winzigen Büro in einem Haus an einer vielbefahrenen Straße in der Provinzhauptstadt Medan. Sein Schreibtisch ist vollgepackt mit Landkarten, Berichten CDs, Fotos, Satellitenaufnahmen. Er raucht Nelkenzigaretten wie die Einheimischen, obwohl er sich das Rauchen eigentlich abgewöhnen wollte. „Zu viel Stress zur Zeit.“ Stress bedeutet, dass seine Welt mal wieder mit jener Welt kollidiert, der er sich eigentlich entziehen möchte, aber nicht kann. In seinem Laptop warten vierhundert unbeantwortete Emails, ständig klingelt das Telefon, irgendjemand will immer was von ihm. Einmal knallt er wütend den Hörer auf, weil wieder mal ein Fernsehteam etwas über süße Affenbabys in Windeln drehen möchte. „Wir sind kein Streichelzoo! Das sind Flüchtlinge. Manche werden es nie kapieren, das Tiere keine Spielsachen sind, die man wickelt“, und es klingt, als würde er ausspucken.

Doktor Ian Singleton, 46 Jahre alt, ist ein Mann mit blauen Augen, schwarzen Humor und klaren Feindbild: All jenen, die den Regenwald und somit den Lebensraum vom Sumatras einzigartiger Tierwelt zerstören. Allen voran die Besitzer der Palmölplantagen, die Indonesien wie einen Teppich mit Ölpalmen überziehen. Und in die Geschichte des Überlebenskampfes der Waldmenschen ist er 1996 eher zufällig hinein geschlittert.

Seine Kindheit verbrachte er in einem kleinen Dorf an der Nordküste Englands. Sein Vater, ein Fischer, nahm seine Familie jeden Sonntag mit hinaus aufs Meer. In dieser Zeit entstand diese tiefe Nähe zur Natur, die ihn heute noch antreibt. Als er neun Jahre alt war, konnte „ich neunzig Prozent aller in England heimischen Vögel erkennen.“ Die Vogelleidenschaft hielt einige Jahre an, dann fing er im Wald eine Schlange und von da an gab es nur noch Amphibien und Reptilen für ihn. Sein Lieblingsbuch war „Meine Familie und andere Tiere“, sein Berufswunsch sollte, klar, irgendwas mit Tieren sein. Und so beschloss Ian Singleton, Tierpfleger zu werden. Nach ein paar Jobs in den Reptilienhäusern verschiedener Zoos ging sein großer Traum in Erfüllung: Er ergatterte eine Stelle als Tierpfleger in Jersey, einem der berühmtesten Tierparks der Welt. Dort schubste ein Zufall sein Leben in die richtige Richtung.

Der Ritterschlag für Tierpfleger begann mit einer Enttäuschung. Denn statt dem erhofften Job im Reptilienhaus landete er im Affenkäfig. „Der Orang-Utan Pfleger hatte gekündigt und „ich sollte seinen Posten übernehmen.“ Vo da an las er alles, was er über Primaten in die Hände bekommen konnte. So ging das einige Jahre, bis er, hungrig nach Wissen, die Idee austüftelte, eine zeitlang Orang-Utans in freier Wildbahn dabei zu beobachten, wie sie in ihrem Alltag mit Werkzeugen hantieren. „Aber niemand wollte mir einen Haufen Kohle in die Hand drücken, damit ich zwei Jahre im Dschungel hocken kann.“ Also kündigte er schweren Herzens seine Stelle im Zoo und fing wieder zu studieren an. Mit einem Stipendium in der Tasche und der Idee für seine Doktorarbeit im Kopf kam er nach Indonesien und verschwand zwei Jahre in den moskitoverseuchten Sümpfen Sumatras.

Recherche in Sumatra, statt Affenhaus in England. Monatelang durchstreifte er mit den Orang-Utans die Urwälder Sumatras und verlor dabei sein Herz an sie und an Indonesien. Währenddessen geriet er ungewollt mitten in die Aufbruchswirren nach dem Sturz des indonesischen Diktators Haji Mohammad Suharto. In dem politischen Vakuum zwischen Diktatur und Demokratie verkamen die Regenwälder mit ihren Edelhölzern zum Selbstbedienungsladen korrupter Politiker und Geschäftsleute. Die Menschenaffen standen dem Profitstreben im Weg. Erst kreischten die Kettensägen, dann fielen Schüsse. Tote Affenmütter fielen von den Bäumen, deren Junge landeten auf den Schwarzmärkten Jakartas, Singapurs, Kuala Lumpurs oder Bangkoks. Die meisten internationalen Forscher fühlten sich bedroht und verließen Indonesien. Es war der Anfang vom Ende der Orang-Utans. Ihr Schicksal jedoch ließ Singleton nicht mehr ruhen und er beschloss, in Indonesien zu bleiben.

16 Jahre, ein Diktatur, ein Tsunami und ein Bürgerkrieg später, ist die Situation nicht viel besser geworden aber Singleton immer noch in Sumatra – und diese Zeit hat das Leben des Briten verändert. Heute ist er mit einer Indonesierin verheiratet, hat zwei Kinder mit ihr, spricht fließend Bahasa und mehrere Dialekte. Als Direktor des SOCP betreut er den Aufbau von Quarantänestationen für Orang-Utans in Sumatra. Doch während Singleton und seine Leute in einem Geduldsspiel die Tiere auf ein Überleben im Urwald vorbereiten, fällt immer mehr Dschungel dem Anbau von Palmöl zum Opfer.

„Ich bin nicht grundsätzlich gegen Palmöl“, sagt er. „Aber ich will nicht, dass dafür noch mehr Urwald draufgeht. Es gibt genügend freies Land!“ Da genau gibt es aber ein Problem: Ungeklärte Besitzansprüche, traditionelle Rechtssprechung der vielen verschiedenen Ethnien und das daraus folgende langwierige und komplizierte Verfahren, Eigentumsrechte zu klären oder Besitzer zum Verkauf ihres Landes zu bewegen, auf dem ihre Ahnen begraben liegen, verleiten Konzerne dazu, den Dschungel zu roden oder abzubrennen. Das geht schneller und ist vor allem billiger, weil korrupte Beamte bei Verträgen gerne mal ein Auge zudrücken und die Taschen aufhalten. Singleton redet sich in Rage und im Gespräch über arrogante Politiker, unfähige Tierschützer, falsch verstandenen Öko-Tourismus und billiges Palmöl wird vor allem eines klar: Dass die Orang-Utans kaum eine Chance haben, die nächsten Jahre zu überleben. „Aber genau deshalb ist unsere Arbeit so wichtig. Hier kann ich noch etwas bewirken und verändern. Wäre es sinnlos, könnte ich gleich einpacken und mich an den Strand legen.“

Er ahnt, dass dieser lästige Ausländer vielen mächtigen und reichen Leuten ein Dorn im Auge ist. Manchmal bekommt er nett verpackte Drohungen; nichts Ernstes, sagt er. Aber vorsichtshalber bringt er seinen beiden Kindern bei, nicht zu Fremden ins Auto zu steigen und nicht alleine durch Medan zu laufen. „Ich habe drei Warnstufen bei uns zu Hause eingeführt: Rot, Orange und gelb. Meistens herrscht gelb.“

Von Idealismus hält er nicht viel, das bringe nichts. „Ich bin Realist!“ Obwohl Realität und Idealismus bei ihm manchmal ineinander fließen. Denn in seiner Wirklichkeit sei Sumatra noch nicht verloren. Die Insel ist noch immer eines der letzten intakten Ökosysteme Asiens. Der einzige Ort, an dem alle Tiere des Dschungelbuches versammelt sind: Tiger, Elefanten, Leoparden, Riesenschlangen, Honigbären, Nashörner, Gibbons, Menschenaffen, Warane. Im Gegensatz zu Ländern wie Indien, Vietnam, China oder Kambodscha. Dort ist der Kampf bereits verloren und fast alle Arten ausgestorben, außer ein paar Exemplaren, die in heruntergekommen Zoos in winzigen Käfigen verkümmern. Damit dies nicht auch in Sumatra passiert, müsse es „schleunigst in den Köpfen der Verantwortlichen klick machen.“ Ein neues Denken, ein Umweltbewusstsein ins Leben gerufen werden wie eine Sturzgeburt. „252 Orang-Utans haben wir seit dem Jahr 2001 konfisziert“, sagt Singleton. „252! Obwohl in Indonesien auf das Fangen, Handeln und Halten von geschützten Arten bis zu fünf Jahre Gefängnis stehen.“ Angeklagt werde meistens niemand.

Das soll sich nun ändern. Die kleine Cessna wird von Monsunstürmen durch die Wolken geschleudert, Regen klatscht gegen das Cockpit, dann drückt der Pilot den Steuerknüppel nach unten und die Maschine bricht durch die Wolkendecke. Wir fliegen die Westküste Sumatras entlang der Provinz Aceh, dort wo sich im Jahr 2004 ein Tsunami in die Küste fraß und zehntausende Menschen verschluckte. Unter uns liegen die Torfsümpfe von Tripa. Und dort, wo einst endlose Urwälder waren und tausende Orang-Utans lebten, erstrecken sich nun Palmölplantagen, symmetrisch angeordnet, so weit das Auge reicht, Hektar um Hektar, Quadratkilometer um Quadratkilometer. Dazwischen einige Wälder, die wie Grasbüschel aus dem Boden wachsen. Riesige Brandflecken dort, wo die Feuer gewütet haben, verkohlte und abgestorbene Baumstämme. Kanäle, um die Sümpfe trockenzulegen. „Und dabei Boden sinkt unter den Meeresspiegel ab und setzt Unmengen Kohlendioxide frei, die zum Klimawandel beitragen.“ Von den 60.000 Hektar Regenwald, sind bereits zwei Drittel zerstört. Bestehende Gesetze werden ignoriert.

Dass das einzigartiges Ökosystem zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, interessiert die Konzerne genau so wenig, wie das Verbot von Brandrodungen. Seit Jahren kämpft Singleton mit Satellitenaufnahmen, Fotos, Internet, Facebook, Anwälten und dutzenden Seiten penibler Dokumentation gegen die Betreiber von Palmölplantagen, die illegal die Wälder roden und sich hinter einer Maskerade aus Lügen verstecken. „Wenn es irgendwo brennt, habe ich am nächsten Morgen eine Email in der Inbox. Wir haben alles dokumentiert, wasserdichte Beweise gesammelt. Dagegen sind die Plantagenbesitzer machtlos.“

Es ist ein Erfolg der kleinen Schritte: Anfang 2012 konnte Singleton mit seinen Aufzeichnungen beweisen, dass ein Konzern eine Konzession erhielt, obwohl die indonesische Regierung 2011 einen Baustop erlassen hatte und das Gebiet unter Naturschutz stand. Die Firma verlor daraufhin ihre Lizenz und musste die Arbeit einstellen. Eine Schlacht gewonnen, den Krieg noch lange nicht. Der Fall wird jetzt vor Gericht verhandelt. „Die Aussichten, dass wir gewinnen, stehen nicht schlecht“, sagt Singleton. Seitdem ist es für ihn schwer geworden, nach Tripa zu gelangen, weil wütende Plantagenbesitzer ihre Pflanzungen zu Festungen mit Straßensperren, Checkpoints und Wachpersonal ausgebaut haben. Eindringlinge werden sofort vertreiben, kritische Berichterstattung verhindert. „Wir verhalten uns ruhig zur Zeit, weil wir den Plantagenbesitzern keine Möglichkeit geben wollen, juristisch etwas gegen uns in der Hand zu haben.“ Nur wenn sich Einheimische bei ihm melden, dass Orang-Utans ihre Felder abnagen und sie sie erschießen werden, sollte er sie nicht abholen, schleicht er sich heimlich nach Tripa, um den Affen in seine Auffangstation zu bringen.

Singleton ist ein Getriebener – und ein Träumer, der versucht, seine Träume zu verwirklichen, ohne dabei in die Hocke zu gehen. „Ich versuche, moralisch und ethisch auf der richtigen Seite zu stehen. So haben mich meine Eltern erzogen.“ Sein Erfolg, sagt er, bemisst sich nicht daran, wie viele Waldmenschen er retten, sondern dass er welche retten kann. Auch wenn sich seine Euphorie in den vergangenen Jahren ein wenig gelegt habe, weil er „statt im Dschungel bei den Affen zu sein, mich jetzt mit Leuten rumschlagen muss, deren Ideen nicht unbedingt deckungsgleich mit meinen sind.“ Also Geschäftsleuten, die schnell Geld verdienen wollen. Hilfsorganisation, die Spenden zum Fenster rauswerfen. Und Politikern, denn alles egal zu sein scheint. Dass Kompromisse zu schließen nicht wirklich sein Ding sei, macht die Sache nicht einfacher. „Manchmal fühle ich mich wie ein Wärter in einem Irrenhaus und sehne mich in die ruhige Zeit als Tierpfleger zurück.“

In der Auffangstation in Batunbelin bereitet die Tierärztin Yenny Serrawati drei Affenweibchen auf eine lange Reise und sich selbst auf den Abschied vor. Yoti, Ayu Ting Ting und Jeky Billie, gerettet vor den Feuern und befreit aus Käfigen, hat sie selbst mit der Flasche aufgezogen, seit sie als mutterlose Babys zu ihr kamen. Doch satt Milch bekommen sie nun Beruhigungsspritzen. Bevor sie behutsam in eine Metallkiste gelegt und auf die Ladefläche eines Geländewagens gehievt werden, aktiviert Yenni Serrawati einen Peilsender im Nacken der Affen. Das Ziel der Reise: Das Naturschutzgebiet in Jantho, siebenhundert Kilometer entfernt in der Procinz Aceh.

Ian Singleton hat Jantho zu einem Schutzreservat für heimatlose Orang-Utans gemacht; 16.000 Hektar unberührte Ursprünglichkeit, in dem Tiger und Leoparden durch den Wald streifen, Otter in den Flüssen spielen und Gibbons von Baum zu Baum springen – weit entfernt von der nächsten Palmölplantage und Menschensiedlung. 36 Tiere hat er dort in den vergangenen 18 Monaten ausgewildert. Sie sind die erste Generation frei lebender Orang-Utans in diesem Teil Indonesiens und sollen ihre Art über die kommenden Jahrhunderte erhalten.

Nach 14 Stunden Fahrt kommen die drei Neuzugänge in Jantho an, ein bisschen verwirrt und durchgerüttelt, ansonsten in guter Verfassung. Noch einmal müssen sie für wenige Tage in einen Käfig, dann werden sie in den Dschungel entlassen. In den ersten Wochen übernehmen Tierpfleger noch die Mutterrolle für die verwaisten Jungtiere. Trainieren mit ihnen das Leben in freier Wildbahn; klettern mit auf Bäume und passen auf, dass sie nicht runterfallen, zeigen ihnen, wo die Früchte hängen, wie ein Nest gebaut wird – und tragen jeden Fortschritt in Tabellen und Logbücher ein, so lange, bis ihre Schützlinge alleine zurechtkommen. Es ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Erfüllung von Singletons Lebenstraums. „Denn jeder aufgepäppelte Affe, der in freier Wildbahn ausgesetzt wird, ist ein Zeichen, dass der Kampf noch nicht ganz verloren ist“, ein Satz, den er wie ein Mantra herunterbetet, wenn er mal an seiner Vision zweifelt oder ihm jemand die Stimmung vermiest. Es ist ein tägliches Ringen gegen die Ignoranz, aber „es gibt mir das Gefühl, etwas sinnvolles geleistet zu haben. Wenn ich sehe, wie es den Orang-Utans erging, bevor wir sie befreit haben aus ihren Käfigen; in Ketten gelegt, halb tot, von Pilzen befallen. Und wie es ihnen in Freiheit ergeht. Das gibt mir das Gefühl, etwas sinnvolles geleistet zu haben.“ Und als ob seine Schützlinge die Worte bestätigen wollen, hängen zwei von Singletons Orang-Utans, die vor neun Monaten ausgewildert wurden, wie ein Begrüßungskomitee im Geäst eines Baumwipfels und beobachten neugierig die Neuen, die bald zu ihnen stoßen, eine Familie gründen und selbst