Zeitenspiegel Reportagen

Was zum Himmel stinkt

Erschienen in "zeitzeichen", Oktober 2015

Von Autor Jan Rübel

Eine Firma, die Dreck vergoldet. Politiker, Journalisten und Anwohner, die daran glauben. Und ein Gericht, das die Anklageakten auf die lange Bank schiebt: Einer der größten Giftmüllskandale Deutschlands ist eine weitgehend unbekannte Geschichte, die im Abseits bleibt. Ein Lehrstück aus der nordwestsächsischen Provinz.

Wäre nicht dieses verdammte Licht. Die Buchstaben auf dem Schild am Metalltor mit der Warnung vor dem Hunde sind knochenbleich, links und rechts wuchern wilde Büsche entlang des Zauns wie beim Dornröschenschloss – ein tiefer Schlaf läge matt auf den sandfarbenen Hallen und minzgrünen Türmen, wären da nicht diese manngroßen, silbern blinkenden Glasfaserrollen in gleißendem Mittagslicht. Sie senden Alarmsignale ans Auge. Irgendwo davor schlummern links und rechts ein paar Hundert Tonnen Giftmüll, wie die Rollen Überbleibsel jener Anlage, die seit drei Jahren verwaist. Silberne Mahnmale für alles, was schiefgehen kann, wenn ein Märchen doch nicht wahr wird.

Die Geschichte der S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH ist eine der großen Versprechen. Bis heute spaltet die Firma ein ganzes Dorf – auch weil es seit Jahren trotz einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft nicht zu einer juristischen Aufarbeitung gekommen ist.

Zwölf Jahre lang arbeitete die Firma mit zumeist hochgiftigem Müll, insgesamt über eine Million Tonnen wanderten hier durch. Die Formel: Durch chemische Reaktionen sollte das Gift „immobilisiert“ werden. Hochproblemmüll verwandele sich mittels Chemikalien und Beimengen wie Braunkohlenasche und Wasser in einen ungefährlichen Baustoff, hieß es.

Das Geschäft lief gut. Denn Biotec verlangte für die Entsorgung weniger als in der Branche üblich. Die Firma kümmerte sich um Reststoffe aus der Metallurgie und den Filtern von Müllverbrennungsanlagen – dem dreckigsten vom Dreck, der unterirdisch versteckt wird. Eine Tonne in einem Salzstock kostet 100 Euro aufwärts. Biotec nahm dafür 50 bis 60 Euro und lagerte diese dann für fünf bis 25 Euro auf Deponien. Das gefiel vielen. Die Betreiber der Müllberge nahmen den Baustoff gern für ihre Halden. Die Politiker freuten sich über die Aufträge für die oft übergroßen und defizitären Deponien in Staatshand. Manch Arbeitsloser in der Region fand endlich einen Job und die Kommune mit der Firma einen großen Steuerzahler. Und die Industrie sträubte sich nicht gegen geringere Entgelte für die Abnahme ihres Mülls. Alle schienen daran zu gewinnen. Fast alle.

Roland Wiesener sitzt auf einem metallenen Pavillonstuhl vorm Holztisch in seinem Garten, er lugt über die Silberrandbrille auf eine fein gestutzte Fliederhecke. Alles hat seinen Platz hier, keine zehn Autominuten von Pohritzsch entfernt: das Tonicfläschchen auf dem Bierdeckel, die handgroße Solarlampe in Schildkrötenform daneben und die beiden Hibiskusbäumchen in den Blütenfarben der Trikolore auf dem englischen Rasen. Nur dieser Störenfried in seinen Beinen und Händen, der ist nicht bestellt. Ein Kribbeln und Jucken und Stechen; Roland Wiesener greift zu einer Packung Gabapentin, die Schmerzmittel nimmt er dreimal am Tag. Der 56-Jährige ist schwerbehindert, Frührentner. Eine Polyneuropathie greift seine Nerven an, sein Blut hat hohe Bleiwerte. 2012 machte der Delitzscher bei Biotec als einer der letzten Mitarbeiter das Licht aus. 2002, bei seiner Einstellung, habe er als kerngesund gegolten. Dazwischen, sagt er, lägen Drecksjahre.

Er zeigt ein Foto aus dem Jahr 2004, daneben mehrere Unterschriften. „Das haben wir Arbeiter dokumentiert, falls die Chefs uns mal auf den Kopf steigen.“ Ein Griff ans Knie. „Hier, da haben wir auf den Tonnen die Totenköpfe überpinselt und die Abfälle als ‚stabilisiert‘ unbehandelt zur Zentraldeponie in Gröbern bringen lassen. Drei bis vier Touren solcher Art habe es am Tag zu den Halden gegeben. „Anfangs haben wir noch Kalk dazugegeben, aber das kostete ja. Das sollten wir später nicht mehr machen.“ Mit den Chefs habe man darüber nicht reden können. „Die sagten: ‚Das geht keinen was an. Ihr habt Schweigepflicht.‘“

Draußen fiel dann manches auf. Anwohner neuer Eigenheime in der Nähe der Anlage beschwerten sich über den Lasterlärm. Dann gab es diesen Staub. Er rieselte von den Wagen, bildete eine dünne, graue, zähe Schicht. Fraß sich in Fensterrahmen und Zäune. Mal stank es nach Ammoniak, mal lagen bitter riechende rostrote Schlammlachen auf der Straße.

Die Behörden wirkten nicht gerade alarmiert. Der Betrieb werde regelmäßig überwacht, schrieb ein Referatsleiter aus dem sächsischen Umweltministerium 2007 einer Anwohnerin. Und bei einem Brief der Landesdirektion Leipzig hieß es 2008, das Material sei erdfeucht und könne nicht stauben. Auf Fotos seien „Staubablagerungen…nicht zu erkennen“. Und der damalige sächsische Umweltminister Roland Wöller (CDU) sagte 2008, seit 1999 sei es „zu keinen Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb der Anlagen“ gekommen. Es gebe keine Beschwerden der Bürger. Die Behörden kontrollierten damals nicht die abgeschalteten Förderbänder, den Betrieb der Waschanlage oder die Abdichtungen der Lagerhallen – alles im Umweltverträglichkeitsgutachten 1999 versprochen, welches maßgeblich für die Genehmigung der Anlage gewesen war; übrigens geschrieben von der Ehefrau eines der Geschäftsführer.

Was der Minister und die Briefe von damals nicht erwähnten: Nach Angaben der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation „Deutsche Umwelthilfe“ (DUH) hatten mehrere Deponien Chargen der Biotec zurückgewiesen. Cröbern erließ am 6. Februar 2008 einen Lieferstopp, Spröda lehnte ab dem 14. Juni 2006 alle untersuchten Mengen wegen zu hoher Metallwerte ab und die Deponie „Weißer Weg“ in Chemnitz stellte Ende 2008 die Annahme wegen der Bleiwerte ein. Studien des TÜV Nord und der Uni Leipzig zweifelten an der generellen Methode, Giftmüll zu immobilisieren.

Doch die Reaktionen der Deponien hatten keine Folgen für Biotec. Man machte einfach weiter. Die Beschwerden der Anwohner und des Bürgervereins Sauberes Delitzscher Land perlten an den Behörden ab. Der Verein bat schließlich Oppositionspolitiker aus Dresden ins Dorf, kontaktierte die DUH. Ihre Fragen erhielten dadurch mehr Gewicht. Die Behörden antworteten dennoch mit maximal zulässiger Langsamkeit. Akten werden verspätet und mit großen Lücken oder gar nicht herausgegeben, parlamentarische Anfragen schmallippig bearbeitet. Bodenproben will keiner nehmen. Noch nicht.

Das unternimmt die DUH selbst, Medien werden aufmerksam. Im September 2008 veranlasst das Sächsische Landesamt für Umwelt schließlich dreimonatige Emissionsproben nahe der Firma, wegen der ersten hohen Ergebnisse dann für ein ganzes Jahr. Danach weiß man: In Pohritzsch, einem Ort umringt von Kirschbaumplantagen, liegt zu viel Blei in der Luft. Und viele andere Stoffe wie Cadmium, Arsen, Thalium und Nickel auch.

2009 dann die Wende. Plötzlich kontrollieren die Behörden die Firma und stoßen auf dem Gelände auf behandelten Müll, der zu viele Schwermetalle enthält. Die defekte Reifenwaschanlage fällt auf, der ganze Schmutz. Viermal fordert man die Betreiber auf, den Langzeitnachweis für die Sicherheit des behandelten Mülls zu erbringen; vor der Betriebserlaubnis hatten sie 1999 versprochen, dies im Laufe der Jahre einzureichen. Die Manager von Biotec reagieren mit viel Papier und überzeugen dennoch nicht. Nun hagelt es Auflagen – viele Jahre nach Inbetriebnahme der Anlage und vor allem nach öffentlichem Druck. Doch da ermittelt schon die Staatsanwaltschaft und die GmbH wird geschlossen.

Für viele im Dorf war das ein Schlag. Bis heute ist man sich uneins in Pohritzsch, schaut unschlüssig auf die verfallenden Hallen am Ortsrand. „Die gemeckert haben, die dachten nur an ihre schönen neuen Häuser“, sagt eine Mittfünfzigerin, sie lädt gerade Einkaufstüten aus dem Kofferraum ihres Autos. „Wir anderen dachten an die Zukunft des Dorfes, an die Jobs. An unser Leben hier.“

Und die Verschmutzungen, das Gift, die vielen Verstöße?

„Wir haben nichts bemerkt, es war eigentlich alles in Ordnung. Da waren bestimmt welche aus dem Westen neidisch und haben sich eingemischt.“ Beide ehemaligen Geschäftsführer leben noch immer in Pohritzsch, sie sind eingebunden ins Dorfleben. Singen im Chor, feiern im Schützenverein. Anders die Zugezogenen, meint die Frau, „die kennen wir eigentlich nicht“.

In Pohritzsch liegen breite Bürgersteige vor alten, liebevoll gepflegten und gedrungenen Häusern. Dazwischen niedrige Hecken und kaum Zäune. Anders der Weg hin zum Biotec-Gelände. Das Neubaugebiet steht wie in den Ackerboden gerammt, die Hauswände glänzen sehr weiß. Durch diese Straßen wälzten sich die Laster für Biotec – und nicht durchs alte Dorf. „Die meisten im Dorf da drüben waren für Biotec“, sagt eine Frau. Man sei ja froh, dass die Firma weg ist, habe mancher ihr hinter vorgehaltener Hand gesagt. „Aber öffentlich will keiner den Buhmann spielen.“ Sie habe sich damit abgefunden, dass im Dorf gemieden werde, wer die Firma damals kritisierte. „Da herrschen alte Seilschaften. Der gesellschaftliche Stand ist eben wichtiger als die Wahrheit.“ Frank Pfütze, der zuständige Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“, schrieb vor der Schließung Biotecs von „Umwelt-Terroristen“ und „unerträglich aufwändigen Kontrollmechanismen“, von einem „angeblichen Umweltskandal“. Eine Auswahl der Schlagzeilen: „Theater um Biotec“. „Umwelthilfe erfindet Grenzwerte“. „Pohritzsch – Skandalvorwürfe geplatzt“. Biotec habe transparent und glaubwürdig alles Mögliche veranlasst. Und an anderer Stelle: „Aber das Biotec-Team ist auch in der Verteidigung spitze.“ Heute auf die Artikel angesprochen, meint der Redakteur: „Die Firma wurde gezielt und bewusst platt gemacht.“ Er sei den konkreten Vorwürfen nachgegangen und sei bei Proben anwesend gewesen, welche die Firma selbst veranlasst hatte. „Bisher ist nichts nachgewiesen, sind die Vorwürfe damit haltlos. Klar, die haben kein Biobrot gebacken, irgendwer muss den Müll der Gesellschaft ja wegräumen und entsorgen.“ Und: „Ich glaube nicht, dass es zum Prozess kommt.“

Im September 2012 hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben. Doch geschehen ist seitdem nichts. Die sechste Strafkammer des Leipziger Landgerichts hat nach Angaben des Gerichtssprechers nicht einmal signalisiert, ob und wann es zu einem Hauptverfahren kommt. Die schlichte Begründung: Es gebe 20 andere laufende Verfahren, die meisten seien Haftsachen – und bei der Klage gegen Biotec sind die beiden Geschäftsführer auf freiem Fuß. Die zuständige Richterin war telefonisch für unsere Redaktion nicht erreichbar und antwortete nicht auf Mails. Wann die Vorwürfe verjähren, ist derweil unklar. Bis maximal 2020 hätte man noch Zeit. Aber die Uhr läuft. Der zuständige Umweltamtsleiter ist bereits verrentet. Dienstaufsichtsbeschwerden gegen Mitarbeiter der Landesdirektion Leipzig laufen ins Leere.

Und dann sind da noch die Deponien. In ihnen schlummern Tausende von Biotec-Tonnen, von denen keiner weiß, welche Folgen das einmal haben wird. Ein Anruf beim ehemaligen Biotec-Geschäftsführer Jörg Schmidt. Der zeigt sich enttäuscht. „Hoch dotierte Wissenschaftler bestätigen unsere Arbeit“, sagt er. „Man hat den Kern der Wertstoffschützung nicht erkannt.“ Heute interessiere keinen, dass die Firma 1000 Tonnen Blei zurück in den Verarbeitungskreislauf geführt habe.

Schmidt ist ein Chemiker, der sich schon zu DDR-Zeiten für seine Ideen der Wertstoffrückgewinnung begeisterte, während seiner Doktorarbeit. Der früh auf Bedenken stieß und dennoch, nach dem Fall der Mauer, sich mit eigenen Händen an die Verwirklichung seiner Forschungen und Pläne machte.

Die Deponien übrigens, sagt er, seien alle untersucht worden. „Es gibt keinerlei Grenzwertüberschreitungen.“ Und der Angestellte Wiesener? „Der hatte mit den Behandlungen gar nichts zu tun. Der arbeitete zu DDR-Zeiten als Klempner und wird sich die Blutwerte bei den bleiverseuchten Rohren geholt haben.“

Bei der Geschichte um Biotec kollidieren Aussagen miteinander wie Bodenplatten. Auf Anfrage antwortet das Sächsische Umweltministerium, nur bei einer Deponie wurden 2009, also drei Jahre vor Schließung der Firma, Biotec-Abfälle untersucht. Es gab keine Beanstandungen. Und weiter lapidar: „Gemäß den gesetzlichen Vorgaben erfolgt bei allen Deponien in Sachsen laufend eine umfassende Umweltüberwachung. Ergebnis ist, dass bei den betreffenden fünf Deponien für Umwelt, Bevölkerung und Grundwasser keine Gefahren bestehen.“ Noch einmal die Nachfrage. Giftmüll, der eigentlich unter Tage in Salzstöcken gelagert wird, landete womöglich nicht richtig behandelt auf konventionellen Deponien. Warum untersucht man den nicht?

Der Ministeriumssprecher schreibt noch einmal zurück, die technischen Sicherungssysteme der Deponien seien nach dem Vorsorgeprinzip ausgelegt – „sie wirken also auch bei einer eventuell ‚höheren‘ Schadstofffracht“. Und verweist noch einmal auf die „laufende Umweltüberwachung“. „Deshalb gibt es auch keine Notwendigkeit nach den Biotec-Abfällen auf den Deponien zu suchen.“ Nichts ist also faul im Freistaate Sachsen. Der Müll, die Fragen und die ganze Geschichte sollen bleiben, wo sie sind.