Zeitenspiegel Reportagen

Wer erschoss Michèle Kiesewetter?

Erschienen in "The Germans", Nr. 6, Juli/August 2013

Von Autor Frank Brunner

Für die Ankläger im Münchener NSU-Prozess waren es die beiden Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Doch Ermittlungsakten des LKA Baden-Württemberg lassen den Schluss zu: Entweder haben sich Kriminalisten und Zeugen geirrt – oder es waren mehr als zwei Tatbeteiligte vor Ort. Ungeklärt ist bis heute auch die Rolle US-amerikanischer Sicherheitsbehörden.

Kurz bevor die Welt um ihn herum verschwindet, schaut Polizeimeister Martin Arnold noch einmal in den Rückspiegel. Deshalb sieht er ihn kommen, diesen Mann, der aus dem Schatten des Trafohäuschens tritt, neben dem er und seine Kollegin mit ihrem grün-silbernen 5er-BMW parken. Der Mann im Spiegel ist im mittleren Alter, trägt ein helles Kurzarmhemd, dunkle Jeans, dunkle Schuhe, dunkle Haare. Noch ein paar Schritte und er erreicht die Beifahrertür. In diesem Moment bemerkt Arnold eine zweite Gestalt auf der anderen Seite des Wagens, dort, wo seine Streifenpartnerin hinterm Steuer die Pause mit einer ihrer geliebten Gauloises genießt. Es ist ein sonniger Tag, 25 Grad Celsius, die Beamten haben die Seitenscheiben heruntergelassen; sie reden, rauchen. Bis die Männer auftauchen. „Nicht mal hier hat man seine Ruhe“, hört Arnold die Kollegin sagen. Dann geht alles ganz schnell. Der junge Polizist sieht noch die weißgrauen Härchen auf den Armen des Mannes, registriert ein Geräusch, spürt, wie er aus dem Fahrzeug fällt und mit dem Gesicht auf die Kieselsteine kracht. An dieser Stelle enden seine Erinnerungen. So schildert er es später den Ermittlern der Sonderkommission. Denn wie durch ein Wunder überlebt Martin Arnold den Kopfschuss aus unmittelbarer Nähe. Für seine Kollegin Michèle Kiesewetter kommt an jenem 25. April 2007 jede Hilfe zu spät.

Der Mord an der 22-jährigen Polizistin zählt zu den rätselhaftesten Verbrechen der vergangenen Jahre. Noch immer ist unklar, was sich abspielte, damals, auf der Theresienwiese in Heilbronn. Zunächst verdächtigen die Fahnder einige Schausteller, die am Tattag auf dem Gelände campierten, später jagten sie zwei Jahre lang das „Heilbronner Phantom“, eine vermeintliche Serientäterin, deren DNA an Kiesewetters Streifenwagen und an 40 weiteren Tatorten gefunden wurde. Doch das Erbgut gehörte einer Frau, die in einem Verpackungsbetrieb mit jenen Wattestäbchen hantierte, die zur Spurensicherung verwendet wurden.

Die mutmaßlichen Mörder sind tot

Im November 2011 scheint der Fall endlich geklärt. Seinerzeit fliegt eine Neonazigruppe auf, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nennt und die zwischen 2000 und 2006 neun Kleinunternehmer mit ausländischen Wurzeln getötet haben soll. Menschen, die sterben mussten, weil sie offensichtlich nicht in die Streichholzschachtelwelt von braunen Kriminellen passten. Die mutmaßlichen Mörder müssen sich dafür nicht verantworten. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die – obwohl zur Fahndung ausgeschrieben – jahrelang unbehelligt untertauchen konnten, werden tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden. „Selbstmord“, sagen die Ermittler. Neben den leblosen Terroristen finden Beamte ein ganzes Arsenal geladener Waffen, darunter zwei Heckler & Koch. Es sind die Dienstpistolen von Michèle Kiesewetter und Martin Arnold, die nach dem Anschlag in Heilbronn gestohlen wurden.

Als Kriminalisten anschließend das letzte Versteck des NSU, eine Wohnung im sächsischen Zwickau, durchsuchen, folgt die nächste Überraschung: Das Haus gleicht einer Ruine, nachdem es von Beate Zschäpe, einer mutmaßlichen Komplizin von Böhnhardt und Mundlos, angezündet wurde. Im Brandschutt stoßen die Männer von der Spurensicherung auf ein nahezu unversehrtes Bekennervideo, eine mit dem Blut Kiesewetters befleckte Hose sowie auf eine Radom und eine Tokarew – die Tatwaffen von Heilbronn. Zschäpe wird derzeit vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gemacht. Aber bisher schweigt die 37-jährige Angeklagte.

Daher bleiben viele Fragen offen: Warum gerieten Kiesewetter und ihr Kollege ins Visier der Neonazis? Ein Anschlag auf deutsche Polizisten passt nicht ins rassistische Muster der Morde an Migranten. Waren die Ordnungshüter tatsächlich „Zufallsopfer“, die angegriffen wurden, „weil sie Vertreter des verhassten Staates waren“, wie die Generalbundesanwaltschaft vermutet? Weshalb fanden sich an den sichergestellten Tatwaffen keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren der Rechtsextremisten? Aus welchem Grund endete die Mordserie nach diesem Anschlag? Warum gibt es keinen Zeugen, der Böhnhardt und Mundlos in Heilbronn gesehen hat?

Diebe. Dealer. Polizeiroutine

Und das sind nicht die einzigen Ungereimtheiten. The Germans konnte zahlreiche Ermittlungsakten einsehen – tausende Seiten mit Fotos, Vernehmungsprotokollen und Fallanalysen. Sichtbar wird in diesem Konvolut vor allem eins: Manche Spuren wurden nicht verfolgt, Zeugenaussagen, nach denen mehr als zwei Personen vom Tatort flüchteten, werden von der Bundesanwaltschaft als nicht tatrelevant eingestuft. Unerklärlich ist auch, dass der private E-Mail-Verkehr von Kiesewetter nicht gesichert wurde. Gleichzeitig lassen etliche Ergebnisse der LKA-Experten an der offiziellen Version vom Tatgeschehen zweifeln. Möglicherweise könnten Mitarbeiter amerikanischer Behörden die fehlenden Puzzleteile liefern. Geheime Unterlagen von Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischem Abschirmdienst (MAD) legen nahe, dass zum Zeitpunkt des Überfalls in Heilbronn eine FBI-Operation stattfand. Was also geschah am 25. April 2007?

Es ist kurz vor 9.30 Uhr an diesem Mittwoch, als die sechs Beamten der Bereitschaftspolizei Böblingen das Gebäude der Heilbronner Polizeidirektion betreten. Unter ihnen Michèle Kiesewetter und Martin Arnold. An diesem Tag sollen sie die Kollegen beim Einsatz „Sichere City“ unterstützen. Es geht um Präsenz, Prävention und Abschreckung gegen Rowdies, Diebe, Dealer. Polizeiroutine. Viertel nach zehn Uhr beginnen Kiesewetter und Arnold den Streifendienst. In ihrem BMW-Kombi fahren die Polizisten Richtung Zentrum, kontrollieren am Trinkertreffpunkt „Fontäne“ die üblichen Verdächtigen, überprüfen kurz darauf beim Friedhof einen offensichtlich drogensüchtigen Mann.

Eigentlich sollte Michèle Kiesewetter an diesem Tag ganz woanders sein. Nicht in dieser Stadt, nicht in diesem Auto, nicht in Uniform. Denn normalerweise hätte die junge Frau frei. Am vergangenen Donnerstag ist sie deshalb in ihr Heimatdorf, ins thüringische Oberweißbach gefahren, hat Eltern und Freunde besucht, sich ein bisschen erholt vom Job bei der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) 523 der Bereitschaftspolizei Böblingen. Doch die Polizistin möchte lieber arbeiten, bricht ihren Urlaub ab. „Nach dem Wochenende bin ich wieder in Böblingen“, sagt sie am Telefon dem Kollegen, der die Dienstpläne zusammenstellt. Michèle Kiesewetter liebt ihren Beruf. Das bestätigen alle, die später von den LKA-Beamten danach gefragt werden. „Ihre Meinung war mir wichtig“, sagt ein Kollege. „Ich habe sie als fröhlichen Menschen erlebt“, sagt ihr Chef. „Sie hatte ein klares Ziel vor Augen“, sagt ihre Mutter. Eine Woche untätig rumsitzen, das sei ihr zu viel, sagte Michèle Kiesewetter. Deshalb ist sie jetzt in Heilbronn.

„Sonderkommission Parkplatz“

Gegen 11.30 Uhr gönnen sich die beiden Beamten eine Auszeit. Sie halten vor einer Bäckerei, kaufen belegte Brötchen, fahren dann weiter Richtung Theresienwiese. Das Festgelände, zentral gelegen und doch etwas abseits vom Trubel, ist ein bei manchen Polizisten beliebter Rückzugsort. Auch Michèle Kiesewetter kennt den Platz. Denn es ist nicht ihr erster Einsatz in Heilbronn. Im Sommer 2006 war sie als „nicht öffentlich ermittelnde Polizeibeamtin“ in der Stadt, kaufte als Lockvogel Heroin. Bei einem weiteren verdeckten Einsatz öffnete sie kurz vor der Razzia in einer Diskothek den Notausgang des Etablissements.

Neun Monate später parkt Michèle Kiesewetter den Streifenwagen auf der Theresienwiese. Mit Martin Arnold bildet sie heute zum ersten Mal ein Team; sie erzählt dem Kollegen von ihren Plänen, sich in Karlsruhe zu bewerben. Dort lebe eine Tante von ihr. Vielleicht der nächste Schritt in Kiesewetters Karriere. Die begann Anfang 2003. Damals kam die Zusage für eine Ausbildung an der Polizeischule Biberach. Die junge Frau, die nach der Realschule zunächst eine Fachoberschule besucht hat, zieht nach Baden-Württemberg; seit September 2005 ist sie Polizeimeisterin. Michèle Kiesewetter erzählt noch, dass ein befreundeter Kollege ebenfalls nach Karlsruhe wechseln möchte, man gemeinsam eine Wohnung suche. Dann ist die Pause zu Ende und die Polizisten kehren zurück ins Polizeirevier, absolvieren mit anderen Kollegen eine Schulung, bevor sie kurz vor 14 Uhr erneut die Theresienwiese ansteuern.

Zur gleichen Zeit ist Peter S. mit dem Fahrrad unterwegs. Vom Radweg, der Richtung Hauptbahnhof führt, kann er die Theresienwiese gut überblicken. Die ist schon fast hinter ihm verschwunden, als er aus den Augenwinkeln den Streifenwagen entdeckt. Hier stimmt was nicht, sagt ihm sein Gefühl. „Der Wagen stand offen, etwas hing aus der Tür“, erzählt er später den Ermittlern. Peter S. radelt zurück und sieht zwei Menschen voller Blut. Weil er kein Handy dabei hat, rast er zum Bahnhof, bittet den Taxifahrer Mustafa K., die 110 zu wählen. Genau um 14.12 Uhr klingelt das Telefon in der Einsatzzentrale. Fünf Minuten danach sind die ersten Beamten vor Ort, kurz darauf trifft die Notärztin ein. Martin Arnold wird mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht. Michèle Kiesewetter ist tot. Mit allen verfügbaren Kräften fahndet die Polizei nach den Tätern. Hubschrauber steigen auf, Spezialeinheiten werden alarmiert. Noch am selben Tag beginnt die „Sonderkommission Parkplatz“ mit ihrer Arbeit.

Hechtsprung ins Auto

Die Ermittler werten tausende Mobilfunknummern aus, die zur Tatzeit in Tatortnähe eingeloggt waren, befragen Zeugen, Kollegen, Angehörige, sichten später Videoaufzeichnungen von Tankstellen, Restaurants und Geschäften. Mal vermuten sie hinter dem Verbrechen eine unbekannte Serientäterin, dann den Chef einer serbischen Diebesbande oder russische Kriminellenkreise, in denen „Polizistenmord eine statusaufwertende Tat darstellt“. Hinweise auf einen rechtsextremen Hintergrund sucht man in den Ermittlungsakten vergebens. Im Gegenteil: „Ein politisch motivierter Anschlag gegen Staatsorgane ist eher auszuschließen (…), die Tat weist insgesamt zu viele Elemente einer allgemein-kriminellen Tat auf“, heißt es in der Operativen Fallanalyse des LKA vom 22. Mai 2009. Zu den wenigen konkreten Spuren zählen die Beobachtungen von fünf Zeugen, die – unabhängig voneinander – ein halbes Dutzend Personen vom Tatort flüchten sahen. Doch nachdem im November 2011 der NSU auffliegt, konzentrieren sich die Ermittlungen nur noch auf zwei Täter – Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft waren es allein die beiden Neonazis, die mehr oder weniger spontan die arglosen Polizisten attackierten und unerkannt entkamen. „Anhaltspunkte, dass mehr als zwei Personen an der Tat beteiligt waren, bestehen (…) nicht“, heißt es in der Anklageschrift gegen Beate Zschäpe. Wenn das stimmt, haben sich nicht nur die Zeugen geirrt, sondern auch die Ermittler des LKA Baden-Württemberg. Denn die Kriminalisten halten die Angaben der Zeugen für äußerst plausibel.

Die von Lieselotte W. beispielsweise. Sie hört die Schüsse, beobachtet dann von ihrem Wagen aus, wie ein Mann, dessen gesamte linke Seite mit Blut verschmiert ist, in eine Limousine mit Mosbacher Kennzeichen flüchtet. Oder Anton M. Ihm kommen auf dem Neckaruferweg zwei Männer und eine Frau entgegen. Erstaunt beobachtet er, dass einer der Männer kurz vor dem Zusammentreffen eine Treppe zum Fluss hinunterläuft und dort seine Hände wäscht. Sie sind voller Blut. Wenig später spazieren Zeliha und Muzaffer K. dort vorbei. Das Ehepaar beobachtet einen Mann, der die Treppe nach oben läuft, in den Park rennt und augenscheinlich versucht, sich vor einem Polizeihelikopter zu verstecken. Ein Zeuge, dem die Ermittler Vertraulichkeit zusicherten, bemerkt einen dunkelblauen Audi 80 mit Mosbacher Kennzeichen, der mit laufendem Motor geparkt hat. Als der Zeuge fünf Meter von dem Fahrzeug entfernt ist, sieht er einen Mann, der ohne die hupenden Autos zu beachten die Straße überquert, auf den Audi zurennt, in die rechte hintere Tür hechtet, während der Wagen schon mit quietschenden Reifen wendet und dann wegfährt. Der rechte Arm des Mannes sei bis über den Ellenbogen blutverschmiert gewesen, so der Zeuge. Ein anderer Beobachter, der in den LKA-Akten als „anonymer Rentner“ geführt wird, sagt aus, dass er von einer Person fast umgerannt wurde, bevor diese in ein Auto springt, in dem ein Fahrer und ein weiterer Passagier auf der Rückbank sitzen.

„Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass sich die Aussagen der Zeugen (…) gegenseitig ergänzen beziehungsweise stützen“, notieren die LKA-Spezialisten. Demnach wären insgesamt sechs Personen an der Tat beteiligt, heißt es weiter. Doch keine der nach diesen Aussagen angefertigten Phantomzeichnungen ähnelt Böhnhardt oder Mundlos. Keines der Bilder wird je veröffentlicht. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) meint dazu: „Soweit einige Zeugen in Tatortnähe blutverschmierte Personen beschreiben, kann es sich schon aus zeitlichen Gründen nicht um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gehandelt haben.“ Denn laut GBA saßen die beiden Rechtsextremisten zu diesem Zeitpunkt bereits in einem Wohnmobil und flohen aus der Stadt. Auch wenn die GBA bislang keine Beweise für die These präsentiert hat, dass sich im Camper tatsächlich Böhnhardt und Mundlos befanden. Ausgeschlossen ist das keineswegs. Die Frage, wer die blutverschmierten Verdächtigen am Tatort gewesen sein könnten, wird aber damit nicht beantwortet. Dabei korrespondieren die Zeugenaussagen mit den Fallanalysen der Profiler. Dort heißt es unter anderem, dass sich „die Täter beim Entwenden der Waffen über die blutenden Opfer beugen mussten und dabei ihre Kleidung großflächig verschmutzt worden sei“.

BMW mit Tarnkennzeichen

Licht ins Dunkel bringen könnten möglicherweise Mitarbeiter von US-amerikanischen Behörden. Ende November 2011 berichtet der „Stern“, dass Angehörige einer in Deutschland stationierten Spezialeinheit den Mord an Kiesewetter offenbar beobachteten, während sie einen Islamisten der Sauerlandgruppe samt Begleitung observierten. Als Beweis präsentiert das Magazin ein geheimes Observationsprotokoll des Militärgeheimdienstes Defense Intelligence Agency (DIA).

Die US-Regierung bestreitet eine solche Aktion, das Protokoll sei gefälscht. So erklärten die Amerikaner, dass die Zeitangabe in den Aufzeichnungen als „1350hrs“, und nicht als „13:50 hrs“ geschrieben sein müsste. Doch in Unterlagen, die The Germans einsehen konnte, befindet sich auch ein „Agents Investigation Report“ der Amerikaner. Darin geht es um einen 3er-BMW, der etwa eine dreiviertel Stunde vor dem Mord auf der Autobahn A6 im Bereich Heilbronn geblitzt wurde. Als die Beamten das Stuttgarter Nummernschild überprüfen, stellen sie fest, dass es sich um ein Tarnkennzeichen der Amerikaner handelt. Mit welchem Auftrag der Mann am 25. April 2007 bei Heilbronn unterwegs war, ist bis heute unklar. Dass jemand unterwegs war, bestätigen die US-Streitkräfte, ebenso die Uhrzeit – im Report als „13:05:46“ geschrieben. Wie aus Unterlagen des Bundeskriminalamts hervorgeht, saß am Steuer des BMW der Elitesoldat H., ein Master Sergeant der in Böblingen stationierten Special-Forces-Group. Diese Einheit wird unter anderem zur Bekämpfung islamistischen Terrors eingesetzt. Mittlerweile ist H. nicht mehr in Deutschland.

Während vor den Kameras und Mikrofonen jede Präsenz der Amerikaner zum Polizistenmord dementiert wird, herrscht hinter den Geheimdienst-Kulissen helle Aufregung. Anlass ist der Anruf eines Verbindungsbeamten der „Koordinierungsstelle der US-Geheimdienste in Süddeutschland“ beim MAD-Büro in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne am 2. Dezember 2011. Er bitte den deutschen Militärgeheimdienst, ihm eine Kontaktperson zu vermitteln, mit der er über den Polizistenmord sprechen könne, erklärt der Anrufer. Der US-Mann wird daraufhin mit einem Mitarbeiter der BND-Verbindungsstelle Süd verbunden, die ihren Sitz im Keller desselben Gebäudes hat.

Zusammenkunft auf höchster Ebene Am 6. Dezember 2011 trifft sich im siebten Stock des Bundeskanzleramts die sogenannte Präsidentenrunde, ein geheim tagendes Gremium, in dem unter anderem der Bundesinnenminister, der Chef des Bundeskanzleramts und die Leiter der Sicherheitsbehörden vertreten sind. An diesem Dienstag setzt BND-Präsident Ernst Uhrlau den „angeblich gefälschten Geheimdienstbericht“ auf die Tagesordnung. Zwei Tage danach schreibt Uhrlau an den damaligen MAD-Präsidenten Karl-Heinz Brüsselbach. In dem bis Ende 2071 als „amtlich geheimgehalten“ eingestuften Dokument berichtet der BND-Chef vom Telefonat mit dem US-Geheimdienstmann. „Man hätte von US-Seite Hinweise darauf, dass möglicherweise das FBI im Rahmen einer Operation auf deutschem Boden zwei Mitarbeiter nach Deutschland habe reisen lassen und diese nach dem Vorfall in Heilbronn wieder zurückbeordert hatte“, zitiert Uhrlau den US-Beamten.

Von all dem erfährt die Öffentlichkeit zunächst nichts. Umso überraschter dürften viele Beobachter auf einen Bericht von „Spiegel-Online“ reagiert haben, der einige Monate nach den internen Untersuchungen titelte: „Bundesanwaltschaft beendet Spekulation um FBI-Operation“. Die Hinweise auf eine angebliche Anwesenheit von US-Sicherheitsbehörden hätten sich als „nicht tragfähig“ erwiesen, zitiert das Nachrichtenportal einen Sprecher der Bundesanwaltschaft. Das Erstaunliche daran: Bis zu diesem Zeitpunkt wurde eine mögliche Anwesenheit des FBI in Heilbronn öffentlich gar nicht diskutiert. Im „Stern“-Bericht war lediglich vom Geheimdienst „DIA“ die Rede.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mochte dem Versuch, das Thema abzumoderieren, nicht folgen. US-amerikanische Bezüge seien „politisch für den Ausschuss von Bedeutung“, heißt es im Protokoll der Sitzung vom 13. Dezember 2012. Die möglicherweise letzte Chance, die Ereignisse dieses 25. April 2007 doch noch aufzuklären, dürfte der derzeit laufende NSU-Prozess in München sein. Dort wird sich zeigen, ob es der Justiz gelingt, das Wirrwarr an Widersprüchen zu einer Wahrheit zusammenzufügen. „Und alles Getrennte findet sich wieder.” Diesen Satz ließen die Angehörigen in den Grabstein von Michèle Kiesewetter gravieren.