Zeitenspiegel Reportagen

Partei der Einzelfälle

Erschienen in "Publik-Forum", 22. Mai 2024

Von Autor Jan Rübel

Spionage und Käuflichkeit für Regime wie in China und Russland – diesen Vorwürfen muss sich die AfD stellen. Dabei zeigt ein Blick zurück: Die Partei braucht nicht Putin und Xi für ihren Hang zum Autoritären.

Im Frühling rumort es gewaltig im gärigen Haufen, wie der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland kontinuierlich seine AfD nennt. Den wichtigen Wahlkampf ums Europäisches Parlament musste die Partei im April einläuten, indem sie ihre Kandidaten Nummer Eins und Zwei in die politische Kältekammer verbannte. Alexander Krah und Petr Bystron waren schon früher durch eine inhaltliche Nähe zu autoritären Regimen wie Russland und China aufgefallen; nun sind auch Vorwürfe der Käuflichkeit (Bystron) und Spionage (ein Mitarbeiter Krahs) hinzugekommen, und die beiden hat die AfD zwecks Schadensbegrenzung erstmal versteckt; alles ein bisschen viel für die Partei. Entsprechend eingefroren ist ihre Kommunikation gerade. „Da ist eine große Verbitterung bei vielen Mitgliedern darüber, dass sie so ausgegrenzt und bekämpft werden“, sagt ein Bundestagsabgeordneter, der seinen Namen nicht nennen will. „Da ist eine Wagenburgmentalität entstanden.“

Plötzlich sieht sich die AfD im Schlaglicht eines schweren Verdachts: Die Partei, die unter den in den Landtagen und im Bundestag vertretenen Fraktionen sich am lautesten einen Patriotismus attestiert, soll Interessen des Landes verschachert haben? Ex-CDU-Chef Armin Laschet sprach im Fernsehen von „Landesverrat“, und Johannes Winkel, Vorsitzender der Jugendorganisation Junge Union, versah einen Tweet zu Krah mit dem Hashtag „#Volksverräter“; ein Wort, das eigentlich unter Rechtsextremen die Runde macht und bei den Montagsdemos der Pegida-Organisation derart an Fahrt aufnahm, dass es zum Unwort des Jahres 2016 erklärt wurde. Nun also seine Renaissance mit dem ursprünglichen Absender als Adressat. Doch neu, das zeigen frühere Recherchen von „Publik-Forum“, sind die Fragen nach einer Moskau-Nähe und einem Tick fürs Autoritäre bei der AfD nicht. Die Geschichte der Partei ist die eines langen Marsches nach rechts.

Immer nur in eine Richtung

Von 2015 bis 2021 begleitete „Publik-Forum“ Kader der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA). Anfangs dominierten in der Partei unter dem Mitgründer Bernd Lucke noch marktliberale Kräfte. „Bei der Generation Lucke ging es eben um Euro, Wirtschaft und Ökonomie“, erinnert sich heute Gerd Frömming, der seit den Anfängen 2013 dabei war und seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt. „Dann kam das große Thema Migration mit einer großen Einigkeit in der Partei.“ Doch schon vor den hohen Einwanderungszahlen seit 2015 regte sich etwas im Osten. Die CDU rückte derweil nach links, und rechts von ihr erstreckte sich unbebautes Terrain. Seit Jahrzehnten dokumentieren Umfragen, dass ein Viertel der Deutschen zu rechtsextremen Meinungen neigt – nur hatten sie dafür keinen organisierten Ausdruck. Dann kamen die Pegida-Märsche auf. Die AfD war damals die einzige Partei, die Zugang zu diesem Milieu suchte und fand. Vorreiter dieser Entwicklung war die JA. Im Mai 2017 sagte uns Jean-Pascal Hohm, brandenburgischer Landeschef: „Vor zwei Jahren hätte ich gesagt, dass wir eine liberal-konservative Jugendorganisation sind. Heute sage ich ohne Problem: Wir sind rechts. Es geht auch um die Rückeroberung eines Begriffs.“ Die Tabubrüche, der erregte und schneidende Ton nahmen zu, erfassten die Partei. Keinen Raketenstart in der Hasspropaganda gab es, vielmehr erhielten die Wähler die Chance, sich an den schriller werdenden Sound der AfD zu gewöhnen. „Für das Land eine Katastrophe“, sagte uns der Berliner JA-Chef Thorsten Weiß über die Grenzöffnungen im September 2015, „für uns ein großer Schub“. Und der ehemalige und schon lange ausgestiegene Bundesvorsitzende Philipp Meyer erzählte uns von Kadern, die von der „Heimholung der Ostgebiete“ träumen, und von Einladungen zu Geburtstagsfeiern, die mit Hakenkreuzen garniert waren. Die AfD entfaltete eine Sogwirkung. Als wir im Herbst 2019 die Führungskräfte der NPD trafen, jener Neonazipartei, die derweil in der Versenkung steckt, klagte uns gegenüber der Vorsitzende Frank Franz: „Ich will nicht jammern, aber wir haben für die AfD den Wahlkampf mitgemacht.“ An den Ständen hätten die Passanten ihnen zugestimmt, „‘super, was Sie sagen‘“, habe man gehört, „‘und daher wähle ich jetzt die AfD.‘“

Der Beginn der Russian Connection

Phillipp Meyer war den Funktionären der JA zu wenig rechts, sie stürzten ihn im Mai 2015 wenige Monate nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden. Sein Nachfolger Markus Frohnmaier bemühte sich sofort um einen Kurs gen Kreml. 2016 vereinbarte er mit der Jugendorganisation von Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“ eine Zusammenarbeit. Er bereiste Donezk und die Krim, begrüßte deren Annexion mit den Worten: „Ich beglückwünsche die Bürger der Krim zum Erringen der Unabhängigkeit von der Ukraine.“ Im Zuge seiner dann erfolgreichen Bundestagskandidatur kursierte ein Strategiepapier, welches vom russischen Parlament an die Präsidialverwaltung geschickt wurde. Darin stand über Frohnmaier: „Er wird ein unter absoluter Kontrolle stehender Abgeordneter im Bundestag sein.“ Der heute 33-jährige Abgeordnete weist jeden Vorwurf eines Einspannens zurück. Er war mit seiner Russlandnähe nicht allein. Gauland, der 2014 zum Vizesprecher der ein Jahr zuvor gegründeten Partei gewählt worden war, ließ sich 2015 mit Frohnmaier nach Sankt Petersburg einladen, wo er mit dem Vordenker der russischen Neuen Rechten, Alexander Dugin, diskutierte und seine eurasische Idee „intellektuell interessant“ fand; Dugin sieht Ost und West als Kampf zweier Zivilisationen und sucht Unterstützer gegen das „entartete Europa“. „Gauland war für die Annäherung der Partei an Russland ganz wichtig“, sagt Stefan Meister zu „Publik-Forum“, er leitet das Zentrum für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Er denkt stark aus dem 19. Jahrhundert heraus, mit der Idee, dass Deutschland und Russland als die damaligen Großmächte zusammenarbeiten sollen. Aber das ist nicht mehr aktuell. Heute ist die EU wichtig, und ein kooperativer Ansatz. Dieses imperiale Denken, dass große Mächte die Geschicke kleiner Mächte bestimmen, haben wir mit der EU überwunden.“ Von Beginn an habe es Akteure in der AfD gegeben, sagt der Politikwissenschaftler, auch in der Führung, die diesen Großmachtgedanken gemeinsam mit Russland anhingen.

Während also der Weg nach rechts für die Partei eine Entwicklung war, gab es die Nähe zu Russland als Kontinuum von Beginn an. Mit Folgen: „Ich stelle schon eine Entwicklung zu einer immer kritischeren Einstellung gegenüber der NATO fest“, beklagt der Bundestagsabgeordnete, der seinen Namen nicht in der Zeitschrift sehen will. „Die NATO wird als Instrument der USA gesehen, und die haben mittlerweile einen sehr negativen Ruf.“ Moment, in den letzten Jahren waren die USA weniger außenpolitisch aktiv als in den vorigen Jahrzehnten – wie ist das zu erklären? „Ein Wendepunkt war der Krieg in der Ukraine, der in weiten Teilen bei uns auch den USA angelastet wird. Da hat sich die Linie in der Partei schon ein bisschen verschoben, was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht.“ Durch die guten Umfrageergebnisse in den ostdeutschen Bundesländern, setzt er fort, würden nun Kräfte offensiver auftreten.

Die Schnittmengen zwischen der AfD und Russland liegen auf der Hand. „Dass manche in der Partei in Russland einen Gegenentwurf zu einer links-liberalen, ‚woken‘ Gesellschaft sehen, ist auch eine Art Trotzreaktion“, sagt Frömming im Gespräch mit „Publik-Forum“. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion weiter: „Putin ist einer, der nicht mitmacht und der westlichen Dekadenz die Stirn bietet: Diese ganze Auflösung von Traditionen und Werten, die bis gestern noch als selbstverständlich galten, dass etwa ein Mann ein Mann ist, und eine Frau eine Frau.“ Ähnlich formuliert es Peter Boehringer: „In einer Gesellschaft wie in Russland oder in China wollen AfDler sicher nicht leben“, sagt der Bundestagsabgeordnete über seine Partei. „Aber auch in Brüssel erkennt man inzwischen eine krasse Illiberalität an allen Fronten: CO2-Zertifikatewirtschaft, Klimadiktate, der ‚Green Deal‘, Corona-Impfstoffdeals, Heizungsvorgaben, Gender-Diktate, Zensurgesetze, praktisch jedes große Programm ist Planwirtschaft, oft verbunden mit milliardenschwerer Korruption. Was ist daran noch liberaler als in China oder Russland?“ Eine Menge. Boehringer könnte Uiguren befragen, oder Ukrainer. Aber der Vize-Sprecher der Partei kontert wie in einem Tennismatch jeden Ball mit einem weiten Schlag ins andere Feld. Russlandnähe? Er verweist auf Linke, BSW und SPD. Vorwürfe der Käuflichkeit? „Unbelegt und absurd – besonders angesichts der neuesten Enthüllungen tiefer Geheimdienst-Beteiligung vom Verfassungsschutz bis zum tschechischen Geheimdienst. Käuflich sind dagegen zehntausende sogenannter ‚Nichtregierungs-Organisationen‘ und Dutzende Medien in Deutschland, die nachweislich aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.“

Es sind Sätze, bei denen jeder einzelne nach einer Erwiderung schreit. Schuldig, das sind bei Boehringer immer die anderen. Raunen und Erregtheit winken als Mittel der Wahl: Da gibt es dann „Enthüllungen“ anstatt Ermittlungen, „käuflich“ anstatt Fördern und „finanziert“ anstatt punktuellen und projektbezogenen Auftragsvergaben. Letzteres klingt natürlich kompliziert, das schickt sich für eine Partei mit Antworten anstatt Fragen kaum.

Der Lockruf des Autoritären

Der ungenannte Bundestagsabgeordnete hat eine Erklärung für die Russlandnähe, er verweist auf eine Zweiteilung in der Partei, mit den alten Linien entlang der BRD und der DDR. Er erzählt von seinen Kontakten nach Polen und ins Baltikum und deren Distanz gegenüber Russland. „Diese Staaten haben die Russen als Besatzer erlebt, als unabhängige Staaten vor dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland dagegen war der Kriegsverlierer. So wie Westdeutschland dann eine stark positive Sicht auf die USA, Frankreich und Großbritannien einnahm und die kulturelle Nähe suchte, hat sich das im Osten aus diesem Unterlegenheitsgefühl zu einer Orientierung an den Siegern entwickelt – eben Russland.“ Jedenfalls ist die AfD in Deutschland ein disruptiver Akteur, was sie für eine Zusammenarbeit mit dem Kreml qualifiziert. Meister von der DGAP: „Sie stellt das System in Frage, verbreitet russische Desinformationen, gibt Interviews in russischen Medien und legitimiert damit russische Politik nach innen und nach außen.“ Im Gegenzug erhält die AfD Anerkennung. „Ihre Politiker kriegen hochrangige Treffen. In Moskau hat die Partei Zugänge wie kaum in einem anderen Land. Das gibt der AfD auch Legitimation im eigenen Elektorat.“

Nur: Für diesen Hang zum Autoritären braucht die Partei nicht Putin. Dies hat sich längst in ihre DNA eingebrannt. Vielmehr teilt sie auf natürliche Art Haltungen des Kremls. Und die alten Ressentiments machen auch vor Russland nicht halt. So freuten sich nicht alle, als Parteisprecher Tino Chrupalla im Mai 2023 einen Empfang der Russischen Botschaft zum Jahrestag des Kriegsendes 1945 besuchte. In einem geleakten fraktionsinternen AfD-Gruppenchat hieß es dazu bei einem Beitrag rassistisch: „… nein, wir müssen keine Soldateska ehren, das waren keine Soldaten, das waren barbarische Mongolenstürme…“

Mittlerweile ist die AfD in einem Stadium angekommen, das der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer „autoritärer Nationalradikalismus“ nennt. Die Partei ist eben nicht klassisch rechtsextrem, sonst drohte ihr das Schicksal der NPD von Frank Franz. Sie hat einen bürgerlichen Überzug, der sie weitaus wählbarer für breite Schichten macht. Ihren Anhängern verspricht sie ein verändertes Ordnungsmodell mit eindeutigeren Hierarchien und weniger Kontrollverlust; es ändert sich in der Gesellschaft ja recht viel. Besonders Ostdeutsche erlebten, wie aus dem „Weniger Freiheit und mehr Sicherheit“ der DDR ein „Mehr Freiheit und weniger Sicherheit“ wurde. Aus den resultierenden Herabsetzungen und sozialen Verwerfungen entwickelte sich ein Nährboden für das, was der Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm vor vielen Jahrzehnten einen Gruppennarzissmus nannte: nur die positiven Seiten der eigenen Nation oder Religion sehen, und nur die negativen Seiten bei anderen. Dieses erhöhte Selbstwertgefühl kann für Befriedigung sorgen.

Derweil konzentriert sich die AfD in diesen Tagen auf ihr mentales Tennismatch mit der Volleyabwehr jeden Vorwurfs. Es sind halt alles Einzelfälle, heißt die Devise. Nach einer kurzen Zwangspause dreht Krah wieder auf, er macht Wahlkampf. „Heimat ist immer da, wo man sich nicht erklären muss“, erneuerte er in einer Rede in Chemnitz Anfang Mai das Narzissmus-Angebot seiner Partei. Mit den Vorwürfen der Spionage solle von der falschen Politik der Regierung abgelenkt werden, lenkte er ab. Und Bystron schreibt auf Facebook: „Liebe Freunde, ich lasse mich durch die Diffamierungskampagne der Kriegstreiber von meinem Friedens-Kurs nicht abhalten! Mein Wahlkampfkalender ist voll, die ersten Veranstaltungen waren Dank der Berichterstattung proppevoll - kommen auch Sie und feiern Sie den Siegeszug unserer Bewegung!“ Feiern. Siegeszug. Bewegung. Es ist alles wieder drin.