Zeitenspiegel Reportagen

Als Fotograf auf Haiti

28.01.2010

Sofort nach der Nachricht vom Erdbeben reisten Zeitenspiegel-Reporter nach Haiti. Cecibel Romero, Julian Hillebrand und Oliver Reinhardt arbeiten im Auftrag des “Stern”, Christoph Püschner fotografiert für den “Focus”. Bernd Hauser erreicht den Zeitenspiegler in Port-au-Prince am 15. Tag nach dem Beben.

Christoph, wie geht es den Menschen in Port-au-Prince?

Unverändert schlecht. Die Familien campieren weiter auf den Straßen. Die Aufbauarbeit hat noch nicht begonnen. Die Menschen haben genug damit zu tun, das UEberleben zu organisieren. Und viele haben Angst vor Nachbeben.

Wie ist die medizinische Versorgung?

Viele europäische und amerikanische Ärzteteams sind jetzt vor Ort, die in ihren OP-Zelten operieren können. Das ist dringend nötig. Die Ärzte müssen viele Amputationen vornehmen. Bei vielen Verletzten, die nach dem Beben notdürftig erstversorgt wurden, haben sich schwere Infektionen entwickelt.

Gibt es wenigstens zu essen?

Die internationalen Helfer und wir Journalisten bekommen etwas in den wenigen Supermärkten oder Tankstellen, die geöffnet haben. Die Einheimischen können landwirtschaftliche Produkte kaufen, die vom Land in die Stadt kommen, sofern sie Geld haben.

Funktioniert die Versorgung durch internationale Hilfsorganisationen?

Ja, schon. Aber die Hilfsgüter müssen ja alle eingeflogen werden. Auch der Hafen ist kaputt. Containerschiffe können nicht anlanden. Ich habe gesehen, wie Dreißigtonner der GTZ mit Lebensmitteln ankamen, und trotzdem nur ein Drittel der riesigen Menschenmenge etwas abbekam

Wie reagieren die Bedürftigen darauf? Mit Wut?

Nein. Noch nicht. Die Menschen stehen stundenlang in der Hitze in der Schlange, ohne Aggression. Ich habe keine einzige negative Äußerung erlebt, auch nicht gegenüber mir, dem ausländischen Fotografen.

Ist diese Duldsamkeit nicht erstaunlich?

Es liegt wohl daran, dass Haiti ein armes Land ist. Für die Menschen sind Entbehrungen nichts Neues. Vielleicht kommt auch ein gewisser Fatalismus dazu. Wir können das kaum verstehen. Aber unsere Eltern, die Kriegsgeneration, vielleicht schon eher. Die können eher nachvollziehen: es bringt nichts, auszurasten, wenn man ausgebombt ist, das macht das Elend nicht besser.

Im Fernsehen gab es Bilder von mit Macheten bewaffneten Plünderern. Ist die Arbeit gefährlich für dich?

Port-au-Prince war ja auch schon vor dem Erdbeben eine Stadt, in der man nicht in allen Vierteln abends einfach so spazieren gehen konnte. Aber wie gesagt: Ich bin nicht bedroht worden.

Die Helfer brauchen sich über ihre Rolle in so einer Katastrophe kaum Gedanken zu machen. Aber wie fühlst du dich als Fotograf?

Merkwürdig. Man verliert seine professionelle Distanz. Man denkt: Es wäre jetzt besser, wenn du auch einer vom Technischen Hilfswerk wärst. Die Kamera kann ein Schutz sein: Ich versuche manchmal, die Bilder nicht durch die Kamera hindurch bis in meinen Kopf dringen zu lassen. Aber das funktioniert in Haiti nicht. Die Bilder brennen sich in dir ein.

Wie kommt man mit diesen Bildern in seinem Kopf klar?

Da weiß ich noch nicht. Die Menschen, die mir nahe stehen, werden hoffentlich willens sein, sich einiges anzuhören. Aber im Grunde bin ich ja privilegiert: Ich reise zurück nach Deutschland und lasse das Elend hinter mir. Die Einheimischen können das nicht.

Du hast in vielen Kriegen und Katastrophen fotografiert. Warum machst du diese Arbeit?

Ja, warum mache ich sie? Gute Frage. Als der Anruf von “Focus” kam, habe ich einfach meine Sachen gepackt. Wenn aber auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen ein neuer Anruf gekommen wäre, mit der Ansage, dass ich wieder nach Hause fahren soll, wäre ich froh gewesen. Ich war nach dem Tsunami dabei, ich wusste also ungefähr, welche Bilder in Haiti auf mich zukommen. Aber ich bin Fotoreporter. Ich glaube, dass gute Fotos den Menschen in Deutschland vermitteln können, was die Haitianer ertragen müssen, besser als ein geschriebener Bericht oder ein schneller Film in der Tagesschau.