Zeitenspiegel Reportagen

Bildung für Mädchen in Afghanistan

26.08.2010

Rund sechzig Zuhörer versammelten sich am 2. Dezember in der Backnanger Eyüp Sultan Camii-Moschee, um auf Einladung des Türkisch-Islamischen Kulturvereins und von Peace Counts einem Würzburger Ehepaar zu lauschen, das in Afghanistan ein Bildungsprojekt auf den Weg gebracht hat.

Von Hermann Schmid

Talib ist nicht gleich Talib. Das weiß Peter Schwittek, seit er im Jahre 1998 anfing, in Afghanistan auch Mädchen und junge Frauen in Moscheen und Privathäusern zu unterrichten. Die Macht im Lande hatten damals noch die Taliban – das ist die Mehrzahl von Talib, auf Deutsch: Religionsschüler. Nicht alle von ihnen waren und sind – wie es in Deutschland oft heißt – unduldsame muslimische Eiferer, die Frauen den Zugang zur Bildung verwehren.

Nicht alles über einen Kamm scheren, Differenzierungen erkennen und Perspektiven aufzeigen: darum ging es in der Veranstaltung des Kreishauses der Jugendarbeit Backnang, die von Zeitenspiegler Uli Reinhardt am 2. Dezember in der Moschee Eyüp Sultan Camii moderiert wurde.

Der Mullah zum Beispiel, der eines Tages in Peter Schwitteks Caritas-Büro in Afghanistan erschien, war „sicher einer von den Taliban“, sagt Schwittek. Als Imam, also Leiter einer Moschee, wollte der den damals 58-jährigen Mathematiker dafür gewinnen, den Schulunterricht für die Jugend in seiner Gemeinde zu organisieren. Schwittek war dazu bereit – aber nur unter der Bedingung, dass der Mullah dies auch für die Mädchen erlaube. Der hatte kein Problem damit, schließlich habe er ja für die Erleuchtung aller Menschen zu sorgen.

Veranstaltung von Peace Counts in Backnang

Veranstaltung von Peace Counts in Backnang

Veranstaltung von Peace Counts in Backnang

Veranstaltung von Peace Counts in Backnang

So organisierte Peter Schwittek bald für rund zehntausend Schülerinnen und Schüler bis zur sechsten Klasse den Unterricht in fünfzehn Moscheen der Hauptstadt Kabul – vertraglich vereinbart mit einem Staatssekretär und abgesegnet vom obersten Talibanführer Mullah Omar im fernen Kandahar.

Im Jahre 2001 aber wurde das Regime der Taliban gestürzt – nach den Terroranschlägen der von ihnen beherbergten Al Qaida in New York und Washington. Fortan gab es in Afghanistan auch staatliche Schulen – mit kostenlosem Besuch für Jungen und Mädchen. Doch die Lehrer dort werden schlecht, manchmal auch nicht bezahlt – und erscheinen daher oft erst gar nicht zum Unterricht. Die Eltern schicken vor allem ihre Töchter auch nicht gerne dorthin, weil sie auf dem häufig sehr langen Schulweg Gefahren fürchten. In die meist nahe Moschee aber lassen sie die Mädchen gehen oder lassen sie gleich zuhause lernen – von Lehrkräften, über deren Wirken Peter Schwittek wacht – als Leiter der „Organisation zur Förderung afghanischer regionaler Initiativen und Nachbarschaftshilfen“, kurz: Ofarin. Auf Dari, dem in Afghanistan gesprochenen Dialekt des Persischen, heißt „Ofarin“ auch: „Gut gemacht!“

Dass auch die ganz Kleinen ihre Sache gut machen – dafür sorgt Peter Schwitteks Frau Anne Marie. Sie nahm sich derer an, die im Schlepptau ihrer älteren Geschwister zur Moschee spaziert, dort aber zu tatenlosem Stillsitzen verdammt waren. Die ehemalige Erziehungsberaterin bringt den Kindern nun bei, was ihnen im Alltag weiterhilft: „Farben und Formen, die Zahlen von 1 bis 9 und die Raumwahrnehmung – oben und unten, rechts und links“. Religionsunterricht erteilen die Schwitteks nicht; sie wollen sich erst gar nicht dem Verdacht aussetzen, als Ausländer den Kindern den falschen Glauben unterzujubeln. Sorge bereiten ihnen dagegen die mangelhaften Mittel, um Lehrer ausreichend fortbilden zu können. Vor allem den Rechenunterricht betrachten sie als entscheidende Schwachstelle.

Peter Schwittek bedauert zudem das Auftreten der amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan. Leider hätten auch die internationalen ISAF-Schutztruppen – auch die Deutschen – sich immer mehr in diese Art von Militärpräsenz hineinziehen lassen. Nach langem Überlegen ist Peter Schwittek zu dem Schluss gekommen, es sei inzwischen wohl besser, die deutschen Truppen zögen sich aus Afghanistan zurück.