Zeitenspiegel Reportagen

Eine sehr feuilletonistische Debatte

27.08.2021

Die Doku „Die Unbeugsamen – Gefährdete Pressefreiheit auf den Philippinen“ wurde im Frühjahr für den Grimme-Preis nominiert. Doch der Film über die riskante Arbeit von Journalistinnen und Menschenrechtlern in dem südostasiatischen Land nahm für dramatischeres Storytelling selbst die Gefährdung einiger Protagonisten in Kauf. Als Zeitenspiegel-Reporter Carsten Stormer, der anfangs an der Doku mitgearbeitet hatte, auf diese bittere Ironie hinwies, war in deutschen Medien die Entrüstung groß - über Stormer.

Im Frühjahr dieses Jahres wurde der Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen – Gefährdete Pressefreiheit auf den Philippinen“ für den Grimme-Preis nominiert. Der Film von Marc Wiese thematisiert das brutale Vorgehen des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte gegen seine Kritiker und die mutige Haltung der Journalistin Maria Ressa, Gründerin des Online-Portals Rappler. Unser Reporter Carsten Stormer hat einige der Aufnahmen für die Produktionsfirma Dreamer Joint Venture beigesteuert, sich dann aber auf eigenen Wunsch Anfang 2020 aus der Produktion zurückgezogen. In den folgenden Monaten kam es zu ernsthaften Sicherheitsbedenken von Protagonisten, die vom Regisseur Marc Wiese, dem Produzenten Oliver Stoltz und auch dem SWR lange ignoriert wurden.

Zeitenspiegel hat die Protagonisten bei ihren Versuchen, sich zu schützen, unterstützt. Hinter den Kulissen haben wir immer wieder versucht, auf Regisseur und Produktionsfirma einzuwirken, um falsche oder aus dem Kontext gerissene und die Mitwirkenden damit gefährdende Darstellungen zu korrigieren. Angesichts der Grimme-Nominierung äußerte Carsten Stormer seine Vorwürfe schließlich auch öffentlich. Die Zeit griff diese in einem Beitrag auf.

Die Folge war ein aufgeregtes Flügelschlagen auf den Medienseiten der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, im „Altpapier“, dem Medienblog des MDR, sowie in Erklärungen des SWR. Tenor dieser Beiträge: Carsten Stormer betreibe böswillige Rufschädigung. Es handele sich um einen kaum nachvollziehbaren „kollegialen Streit und Eitelkeiten hinter den Kulissen“. Aus einem sehr realen Problem in den Philippinen war eine sehr feuilletonistische Debatte in deutschen Redaktionsstuben geworden.

Bis auf die Zeit hat niemand mit den Protagonisten in den Philippinen gesprochen. Diese fühlten sich nicht nur schlecht behandelt, sondern in ihrer Sicherheit gefährdet. Und genau darum ging es in dem Film: um die persönliche Sicherheit. Um das rücksichtslose und mörderische Vorgehen des philippinischen Präsidenten Duterte, gegen den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt.

Erst nach teils monatelangem Druck von Anwälten und Protest von Menschenrechtsorganisationen wurde einigen Forderungen der Protagonisten letztlich entsprochen und Szenen aus dem Film heraus- oder umgeschnitten.

Erstes Beispiel. Ein Überlebender eines Erschießungskommandos Dutertes, der von Menschenrechtsorganisationen in den Philippinen seit vier Jahren versteckt wird, fühlte sich bedroht: Entgegen Abmachungen mit der Menschrechtsorganisation RiseUp, die den Protagonisten seit Jahren in einem Safehouse versteckt, und gegen dessen ausdrücklichen Wunsch hatte Marc Wiese Aufnahmen verwendet, auf denen das Versteck zu sehen und der junge Protagonist identifizierbar war. RiseUp schrieb an den Produzenten Oliver Stoltz: „Wenn Sie wirklich glauben, dass R. entlarvt werden will, haben Sie falsch geurteilt. Er will seinen Freunden, die ermordet wurden, helfen und verhindern, dass anderen so etwas Schreckliches widerfährt. Das ist nicht möglich, wenn sein Leben weiter aus den Fugen gerät und er gezwungen ist, sich noch länger zu verstecken. Die Situation hier hat sich nur noch verschlimmert. Sie bedrohen das Leben vieler Menschen, auch das des Opfers, das Ihrem Regisseur und Filmteam vertraut hat.“ Erst nach Wochen des Protests aus den Philippinen und von Menschenrechtsorganisationen in Deutschland – und nachdem eine Version von „Die Unbeugsamen“ auf dem Festival von Kopenhagen aufgeführt wurde, in der der Protagonist unverpixelt zu sehen gewesen, auch sein Versteck gezeigt worden war – schnitt die Produktionsfirma den Film schließlich um.

Zweites Beispiel. Ein anderer Überlebender eines Erschießungskommandos, der heute in einem geheimen Versteck getrennt von seiner Familie lebt, musste eine Anwältin auf den Philippinen beauftragen und schließlich sogar eine Kanzlei in Deutschland, um sein anfängliches Einverständnis zur Mitwirkung an dem Film zurückzuziehen. Seit Drehbeginn im Februar 2019 hatte sich die Sicherheitslage in den Philippinen derart verschlechtert, dass er eine Gefahr für sein Leben und das seiner Familie sah. In einer Whatsapp-Nachricht schrieb dieser Protagonist an Carsten Stormer: „Mir wurde gesagt, dass Marc mein Interview zeigen möchte. Bitte hilf mir, dass Marc das nicht macht. Ich habe Angst und fürchte um mein Leben.“ Erst nach Monaten des Protests und anwaltlichem Druck schnitt die Produktionsfirma den Film um. Vorher jedoch drohte uns der von Dreamer Joint Venture engagierte Anwalt mit hohen Schadensersatzforderungen, sollten wir den Protagonisten nicht zum Umdenken bewegen.

Drittes Beispiel. Der philippinische Produzent Frederick Alvarez führte gemeinsam mit Carsten Stormer ein Interview mit einem ehemaligen kommunistischen Guerillakämpfer, der vor laufender Kamera zugab, viele Menschen getötet zu haben, und der ein großer Bewunderer von Präsident Duterte ist. In „Die Unbeugsamen“ ist das Interview derart aus dem Kontext gerissen, dass aus einem Untergrundkämpfer im Ruhestand der persönliche Auftragsmörder des philippinischen Präsidenten wurde. Alvarez sieht durch diese Verfälschung seine Sicherheit und seinen Ruf gefährdet. Forderungen von Frederick Alvarez und Carsten Stormer, diese aus dem Kontext gerissene Darstellung im Film zu korrigieren, wurden von der Produktionsfirma und dem Regisseur ignoriert. Unter dem Titel „Exposing the Lies of Marc Wiese“ veröffentlichte Alvarez auf Youtube eine Stellungnahme des besagten Ex-Kämpfers.

Außerdem, viertes Beispiel, wurde der Missionar und Fotograf Jun Santiago im Film fälschlicherweise als „Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs“ (ICC) – der gegen den philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ermittelt – bezeichnet. Zudem hatte Duterte mehrfach öffentlich gedroht, renitente Menschenrechtler töten zu lassen. Jun Santiago schätzt daher zu Recht diese falsche Zuordnung als lebensgefährlich ein. Auch er bat die Produktionsfirma mehrfach um Korrektur, doch seine Bitten wurden immer wieder ignoriert und der Film bei internationalen Aufführungen weiterhin mit dieser ebenso falschen wie gefährlichen Berufsbezeichnung ausgestrahlt. An das Magazin Vice, welches die Doku auch in den Philippinen zugänglich machte, schrieb der Missionar: „Ich werde als Rechercheur des ICC beschrieben. Das ist eine Lüge. Es schadet meinem Ruf als unabhängiger Fotojournalist, bringt mich in Konflikt mit meinen religiösen Vorgesetzten und Missionspartnern, und vor allem bringt es mein Leben in unmittelbare Gefahr.“

Der Zeit-Artikel, der die Debatte über „Die Unbeugsamen“ angestoßen hatte, ist derzeit im Internet nicht zu finden, weil Marc Wiese im Juli dieses Jahres eine einstweilige Verfügung erwirken konnte: Der Wochenzeitung war ein Falschzitat unterlaufen, das den Eindruck erweckt habe, Wiese hätte das Interview mit dem Guerillakämpfer, mit dem Alvarez und Stormer gesprochen hatten, selbst geführt. Wiese hatte zwar seine Stimme über das Interview gelegt, jedoch nicht explizit behauptet, dass er selbst bei dem Interview anwesend gewesen ist. Wiese sah durch diese Falschbehauptung seine Glaubwürdigkeit als Filmemacher gefährdet. Eine Nebensächlichkeit, die jedoch von FAZ und SZ in ihren Beiträgen in den Mittelpunkt gerückt wurde, und die von den eigentlichen Problemen des Dokumentarfilms ablenkte: die Gefährdung von Protagonisten und den Missbrauch von Schutzbedürftigen. Juristisch ist der Gerichtsbeschluss wirksam. Wiese hatte sich auch gegen die Behauptung gewehrt, er habe ethisch fragwürdig gearbeitet, Mitarbeiter oder Protagonisten in Gefahr gebracht. Das Gericht gab ihm jedoch in diesen Punkten nicht recht.

Was bleibt? Marc Wiese soll sich nach dem Gerichtsbeschluss laut SZ „sehr zufrieden“ gezeigt haben – weil seine Glaubwürdigkeit als Filmemacher wieder hergestellt sei. Derweil geht der Drogenkrieg in den Philippinen weiter. Die Überlebenden von Polizeiexekutionen müssen sich weiterhin an geheimen Orten verstecken, Menschenrechtsaktivisten werden mit dem Tod bedroht und ermordet, kritische Fernsehanstalten geschlossen.

Sich in dieser Situation gegen einen deutschen Regisseur wehren zu müssen, der ihre Rechte und Sicherheitsbedenken missachtet, war für die genannten Protagonisten eine zusätzliche Belastung, wie die E-Mails und Briefe, die Carsten Stormer von ihnen erhalten hat, belegen. Sie sind fassungslos darüber, dass ein Regisseur, der einen Film über Menschrechtsverletzungen drehte, nichts Falsches darin sah, ihre Sicherheit für dramatischeres Storytelling und cineastische Ästhetik zu gefährden.