Zeitenspiegel Reportagen

Fernseh-Dokus aus der Ukraine

15.07.2023

Eigentlich wollte Carsten Stormer nicht als Kriegsreporter in die Ukraine reisen. Warum er es dann doch tat – und worüber er berichtete.

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Fast ein Jahr lang hat Zeitenspiegel-Reporter Carsten Stormer in seiner Wahlheimat Manila nach Gründen gesucht, nicht in die Ukraine zu reisen und von dort über den Krieg zu berichten. Während in der Ukraine Weltgeschichte geschrieben wurde, berichtete Stormer über den Drogenkrieg in den Philippinen, drehte eine Dokumentation über Goldsucher und einen Film über einen Priester, der sich mit dem philippinischen Präsidenten anlegt; relevante Themen, die aber im Schatten der Ereignisse in der Ukraine seltsam bedeutungslos erschienen. Die Gründe gegen eine Reise ins Kriegsgebiet waren gute Gründe, sagte ihm sein Kopf. Doch sein Bauch war anderer Meinung. Nach zehn Monaten hielt Stormer es nicht länger aus, das Ganze aus der Ferne zu beobachten. Er wollte selbst berichten, entstaubte seine schusssichere Weste, buchte einen Flug nach Warschau und fuhr von dort mit dem Nachtzug nach Kiew.

Inzwischen war Stormer zwei Mal für mehrere Wochen in der Ukraine. Im Januar für eine arte-Dokumentation über Ermittler, die Kriegsverbrechen aufklären. Im Mai reiste Stormer im Auftrag von „NZZ Format“ für zwei Wochen in die südukrainische Stadt Cherson, um einen Film fürs Schweizer Fernsehen zu drehen. Seit der Befreiung von den russischen Besatzern ist die Stadt eine Todeszone. Putins Truppen beschießen die Stadt täglich.

Stormer begleitete in Cherson Menschen, die sich während der Besetzung nicht aus ihrer Heimat hatten vertreiben lassen und sich nun auf ihre ganz eigene Art der russischen Aggression widersetzen. Olexandr Kniga, einer der wichtigsten und angesehensten Theaterregisseure der Ukraine, lässt Dichter und Sänger im Luftschutzkeller seines Theaters auftreten. Alina Dozenko, Direktorin des Kunstmuseums, und die Kuratorin Hannah Skripka führten die Russen mit einer List hinters Licht, um ihren Kunstschatz zu retten. Wladimir Sagajak, der Leiter eines Kinderheims, bewahrte 46 Waisenkinder vor der Verschleppung nach Russland. Seine Tochter Katarina Fatejewa und sein Enkel Maxim halten mit Klavierunterricht und Musik den Krieg und das tägliche Bombardement auf Abstand.

Gerade jetzt, da der Krieg ins zweite Jahr geht, die mediale Aufmerksamkeit abnimmt und sich eine gewisse Kriegsmüdigkeit in die Berichterstattung einschleicht, ist es wichtig, weiterhin das Augenmerk auf die Geschehnisse in der Ukraine zu richten, um den Konflikt auszuleuchten, aber auch, um die Menschen, die am meisten unter Besetzung und Beschuss leiden, nicht zu vergessen. Das kann, dass muss Journalismus leisten, damit wir nicht abstumpfen. Und das ist ein guter Grund, trotz allem, in die Ukraine zu reisen.