Zeitenspiegel Reportagen

Neonazis stolpern im Web 2.0

27.08.2009

Neonazis stolpern im Web 2.0 über ihren Stolz

Am 21. Juni 2008 wurde Zeitenspiegel-Fotograf Stanislav Krupar am Rande einer Neonazi-Demo in Dresden von einem Mob rechtsradikaler Schläger angegriffen. Andere Demonstrationsteilnehmer filmten die Prügelorgie und stellten den Film stolz ins Internet – die Ermittler bekamen das Beweismaterial per Mausklick geliefert. Gegen zwei der Angreifer wurden nun die Urteile gesprochen.

Text: Markus Wanzeck

Die wenige Luft, die überhaupt noch im Saal 21 des Dresdner Amtsgerichts zu sein scheint, ist schwer und stickig an diesem Vormittag. Es ist der 26. August 2009, der fünfte Verhandlungstag in einem Verfahren gegen rechtsradikale Gewalttäter, und die Zuschauerränge des kleinen Gerichtssaals sind außerordentlich gut gefüllt. Viele im Publikum machen keinen Hehl daraus, dass sie mit den Angeklagten sympathisieren. Sie tragen schwarze T-Shirts mit Slogans wie “Hasta la vista Antifascista” oder “Einer für alle, alle für einen”. Die Haare kurz oder mit reichlich Gel streng zur Seite gescheitelt. Die Stimmung ausgelassen. Eine Gerichtsverhandlung mit “Kameradenbeteiligung”, so scheint es, ist vielen eine willkommene Abwechslung zu einem Alltag, der ansonsten zwischen Vaterlandsfantasien und real existierender Lebensleere, zwischen RTL II und Hartz IV oszilliert.
In der Verhandlung geht es um gefährliche Körperverletzung in mehreren Fällen. Da die tätlichen UEbergriffe binnen weniger Monate erfolgten, kann das Gericht sie praktischerweise im Paket abarbeiten. Besonders bemerkenswert ist der Angriff eines Prügelmobs auf den tschechischen Fotoreporter Stanislav Krupar – in diesem Fall nämlich hat die rechte Szene selbst, ebenso unfreiwillig wie spektakulär, bei der Ermittlungsarbeit attestiert.
Seit mehreren Jahren schon hatte Zeitenspiegel-Fotograf Krupar Veranstaltungen der Rechtsextremen-Szene in seiner tschechischen Heimat und in Deutschland begleitet. Obwohl die Rechten mit ihren Aufmärschen nach Aufmerksamkeit gieren: geheuer ist ihnen die mediale Beobachtung offenbar nicht immer. Und so kam es, dass Krupar am 21. Juni 2008 am Rande einer Neonazi-Demonstration in Dresden vom journalistischen Beobachter zum Opfer einer Prügelattacke wurde, die ihn ins Krankenhaus und zwei junge Neonazis vor Gericht brachte. Die Beweislage war in diesem Fall ungewöhnlich gut: Teilnehmer der Rechten-Demo hatten den UEbergriff gefilmt und brüsteten sich damit im Internet. Die Ermittler bekamen das belastende Material quasi per Mausklick geliefert. Die Angeklagten Christian L., 20, und Marco E., 23, sind auf dem Prügelvideo eindeutig zu erkennen.
Während der stundenlangen Verhandlung stützt Christian L., kurz geschorene Haare, dunkelblaues Hemd, seinen Kopf abwechselnd in die rechte und in die linke Faust. Marco E. sitzt zwei Plätze weiter. Er trägt ein weißes Hemd und ein Ziegenbärchen. Hin und wieder faltet er die Hände vor sich auf dem Tisch und wirft die Stirn über der Brille in Falten. In diesen Momenten wirkt er wie ein Ministrant, der nicht weiß, wie er in dieses seltsame Schauspiel hineingeraten ist, das sich nun vor seinen Augen darbietet: Staatsanwalt Thomas Seifert redet sich in Rage angesichts der “fassungslosen Brutalität”, die auf dem Internet-Video zu sehen ist – und die mehrere Zeugen auch bei einem anderen UEbergriff der jugendlichen Gewalttäter erlebt hatten. Im März dieses Jahres hatten Marco E. und Christian L. zusammen mit zwei Mittätern, denen heute ebenfalls der Prozess gemacht wird, einen Jugendarbeiter des “Kulturbüros Sachsen” derart heftig traktiert, dass die Richterin rund zehn Minuten dafür braucht, dessen ärztliche Behandlungsliste zu verlesen. Angesichts des Vorstrafenregisters der Angeklagten – ins-gesamt fünfzehn Delikte für die vier Angeklagten – sieht der Staatsanwalt eine massive Wiederholungsgefahr und fordert das Gericht dazu auf, “hart zu reagieren”. Denn: “Meiner Meinung nach haben die Angeklagten nichts begriffen.”
Rechtsanwalt Jens Rabe, der Stanislav Krupar als Nebenkläger vertritt, sieht die Sache ähnlich – drückt es jedoch etwas deftiger aus: “Die Angeklagten zeigen keinerlei Reue, keine Einsicht. Sie brauchen eins auf den Sack.” Er betont, dass bei diesem Fall mehr als ein bloßer Gewaltausbruch gegenüber seinem Mandanten auf dem Spiel stehe. “Es geht hier nicht nur um körperliche Wunden”, sagt Rabe und blickt in Richtung der Angeklagten: “Ihnen geht es auch um Angst – die wollen Sie verbreiten.” Damit macht er klar, dass er in dem UEbergriff eine klar politische Dimension sieht, die es bei der Beurteilung der Tat zu bedenken gelte. UEberhaupt, die politische Dimension. Rabe, der aus Baden-Württemberg stammt und zumeist dort tätig ist, zeigt sich erstaunt über das Auftreten des Publikums im Dresden Amtsgericht: “Auch in meinem Bundesland gibt es durchaus Prozesse gegen Mitglieder Ihrer Glaubensrichtung. Aber eine solch offene Sympathie ist dort nicht vorstellbar.”
Rabe hat bei dieser Aussage womöglich jenen Moment zu Beginn des Prozesses im Sinn, als Richterin Birgit Keeve einen Brief verlas. Marco E. hatte ihn während der Untersuchungshaft an Christian L. geschrieben. “Heil dir, Christian!”, begann der Brief. Bei manchen im Publikum sorgte das für hämisches Gelächter.
Als Rabe sein Plädoyer beendet hat, appellieren die Verteidiger unterdessen an das Gericht, “die politische Dimension ein Stück weit auszublenden”. Keinem solle schließlich aufgrund seiner politischen Ausrichtung ein Nachteil entstehen. Rechtsanwalt Arndt Hohnstädter, der Marco E. vertritt, bittet zudem darum, dass man bei dem Urteilsspruch doch die “Schlichtheit” der jugendlichen Angeklagten nicht außer acht lassen möge. Für die “relativ einfachen Menschen”, die an einer Neonazi-Demo teilnehmen, stelle ein Fotograf wie Stanislav Krupar eben eine ziemliche Provokation dar. Man müsse sich auch klar machen, dass ihnen durch die Bilder “Nachteile im bürgerlichen Leben” entstünden: “Ich habe Mandanten, die haben wegen ihrer Fotos im Internet Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden.” Auch Christian L.’s Verteidiger Mario Thomas zeigt sich um das bürgerliche Leben seines Mandanten besorgt und verweist auf dessen “karitative Ader” – schließlich engagiere sich Christian L. seit längerem schon ehrenamtlich als Einsatzsanitäter.
Richterin Birgit Keeve kann für dieses Doppelleben nur bedingt Verständnis aufbringen: “Wie kann einer immer wieder Menschen verletzen – und auf der anderen Seite ehrenamtlich wieder zusammenflicken?” Christian L. bleibt die Antwort schuldig. Am Ende eines langen Verhandlungstages, die Abenddämmerung und ein heftiger Platzregen sind bereits über Dresden hereingebrochen, verurteilt das Gericht den 20-Jährigen wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung – nach Jugendstrafrecht. In ihrer Urteilsbegründung weist Keeve darauf hin, dass keiner, “der eine solche Straftat als Erwachsener begeht, mit einer Bewährungsstrafe davonkommen würde”. Bei dem 23-jährigen Marco E. lautet das Urteil: ein Jahr und zwei Monate. Ohne Bewährung.