Zeitenspiegel Reportagen

Rede von Gerd Schulte-Hillen

27.05.2009

Anlässlich der Verleihung des Gabriel-Grüner-Stipendiums am Donnerstag dem 27. Mai 2009 in Hamburg

Liebe Frau Gerstberger,
liebe Frau Krämer,
liebe Frau Grüner,
lieber Herr Grüner
liebe Gäste ,
liebe Freunde,

Ich hatte im Laufe der Zeit immer wieder Veranlassung über den Auftrag eines Verlages nachzudenken, der unsere Arbeit nicht nur rechtfertigt sondern besonders macht. Bei einem ambitionierten und journalistisch ausgerichteten unabhängigen Verlag geht es nicht einfach um Vervielfältigung und Verbreitung anspruchsvoller Unterhaltung und aktueller Nachrichten, sondern um gut geschriebene, zuverlässig recherchierte Berichte, also besonders und vor allem um das UEberprüfen, Bewerten von Nachrichten und das Verfolgen neuer Spuren. Journalisten müssen dahin gehen, wo die Wahrheit zu finden ist, die sich oft an den seltsamsten Orten verbirgt. Das geht vom Archiv bis zum Kriegsschauplatz. Ohne Recherche keine Aufklärung! Ohne Aufklärung keine Demokratie!
Auch auf die Rolle des Verlags will ich kurz eingehen. Das Wort für jeden journalistisch aktiven Verlag heißt und hieß: “Das Herz schlägt in den Redaktionen”! in einem solchen Verlag arbeiten alle zusammen für ein Ziel. Verlag und Redaktionen sind Teil einer Mannschaft, die mit Leidenschaft guten Journalismus ermöglicht und verbreitet.
Ohne die Leistungen von Rudolf Augstein, Henri Nannen, Gerd Bucerius und ja, auch Axel Springer wäre die Bundesrepublik niemals eine so freiheitliche und auch soziale Republik geworden, die Ihresgleichen auf der Welt sucht. Aber ohne ihre gründlichen, kritischen, ausdauernden und mutigen Journalisten wäre es auch nicht gegangen. Und gerade diesen boten die klugen Verleger in ihren Häusern eine lebendige und bei den großen Verlegern liberale und tolerante Heimat.

Heute vergeben wir das Gabriel Grüner Stipendium und gedenken dabei der Stern-Reporter Gabriel Grüner, Volker Krämer und ihres ortskundigen Helfers und Kameraden Senol Alit. Am 13. Juni 1999 wurden sie am Dulje Pass im Kosovo ermordet.

Die Aufklärung dessen, was auf dieser Welt passiert, ist die Voraussetzung, dass sich die Dinge ändern. Beispiele dafür sind die Berichterstattungen über Abu Ghreib, Guantanamo, Dafur und Tibet. Genauso galt es für Jugoslawien, Vietnam und Algerien. Oder Irak, Afghanistan, Somalia, Pakistan, Birma und Sri Lanka. Ohne die unabhängige Berichterstattung einer freien Presse in den Demokratien dieser Welt hätte der Wahnsinn überall länger gedauert. Die Diktaturen fürchten zu Recht die Satelliten- UEbertragung der Nachrichten bis in den verstecktesten Ort. Auch der freie Meinungsaustausch im Internet ist ihnen ein Gräuel.

Der Stern, der SPIEGEL, die Fernsehanstalten sind meist dabei, wenn es irgendwo auf der Welt brennt. Oft riskieren die Reporter ihr Leben, um mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Sie hätten ein langes Leben verdient. Wort und Bild des Journalisten sind gefürchtete Waffen. Sie bedrohen nicht das Leben anderer, wohl aber die Ziele anderer und das ist gefährlich genug. Der Zufall kennt den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht und trifft auch Wahrheit suchende Journalisten. Friendly Fire kann wie ein flüchtender Söldner töten, der das intakte Auto von Gabriel Grüner, Volker Krämer und Senol Alit für seine Flucht raubt und dafür kaltblütig mordet. Die Banalität dieses Verbrechens lässt uns hilflos allein. Wie kann Gott das zulassen? Keiner kann Antwort geben.
Wie soll man dieses Risiko erkennen, wie sich dagegen schützen? Es ist kaum möglich. Gerade darin liegt das Heldentum des aufklärenden, berichtenden Journalisten, der vor Ort erkundet, was ist. Denn nur dort ist die Wahrheit zu finden.

In seinen Briefen hat sich Gabriel Grüner zu dieser Thematik geäußert:
Ich zitiere:

Ich vergesse nicht meine erste Reise nach Sarajevo im Juli 1992: Kaum mit der Transall auf dem Flughafen gelandet, wäre ich vor lauter Angst am liebsten wieder nach Hause gefahren. Ein norwegischer UN-Offizier warnte mich ausdrücklich vor der Fahrt über die berüchtigte Heckenschützenallee: “Wenn Sie Selbstmörder sind, können Sie gern in die Stadt fahren”, sagte er. “Lets go”, sagte stern-Fotograf Jay Ullal nur, und nach wenigen Tagen brachten wir Bilder von kriegsverletzten Kindern aus Sarajevo nach Hause, die eine Welle des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft auslösten. (…) “Wer sonst, wenn nicht wir, zeigt das Leid und die Zerstörung?” lautet die einleuchtende Frage von Jay Ullal, der schon viele Kriege gesehen hat, (…) Und doch frage ich mich immer wieder, ob wir Fotografen und Schreiber wirklich etwas ausrichten können gegen Hass und Gewalt, die Unfähigkeit der Politiker? Ich weiß keine Antwort darauf. Aber ich weiß, dass wir nicht aufgeben dürfen zu hoffen. Wir müssen daran arbeiten, den Kindern des Krieges die Wiederkehr von Hass, Zerstörung und Mord zu ersparen.”
Ende Zitat

Als uns vor annähernd 10 Jahren die Nachricht vom Tod Gabriel Grüners, Volker Krämers und Senol Alits erreichte waren wir fassungslos und hilflos. So fühle ich mich heute noch. Nichts konnten wir ändern.
Ich kannte Gabriel Grüner aus den Gesprächen mit dem Redaktionsbeirat. Die waren oft sehr konstruktiv. Einig waren wir uns immer, wenn es um guten Journalismus und dessen Voraussetzungen ging. Seine besonnene Art gefiel mir. Er war mir schlichtweg sympathisch.
Sein und seiner Begleiter Tod ging uns allen zu Herzen.

Bei aller Hilflosigkeit angesichts des Todes weiß ich: Viele Menschen werden durch die Berichterstattung der Medien gerettet.
Wir werden nie wissen wer. Niemand kennt sie. Aber der Druck der freien Welt, der Druck der Medien bremst selbst die schlimmsten Schurken, die heute endlich auch noch das Gericht fürchten müssen. Dies ist ein Verdienst der Aufklärung mutiger Journalisten. Wir danken es ihnen und sind sicher, dass es auch in der Zukunft diese Kämpfer für die Wahrheit geben wird, die im Bewusstsein des Risikos für eine gerechtere Welt unterwegs sein werden.
Der Gabriel Grüner Preis soll dazu ermutigen.

Wir zeichnen heute Amrai Coen und Fabian Brennecke mit dem Gabriel Grüner Stipendium aus.
Sie haben den Entwurf einer Reportage über das Schicksal eines Mexikaners vorgelegt, der nach 12 Jahren als illegaler Einwanderer in den USA abgeschoben wird. Den Lebensunterhalt und das Schulgeld für seine drei Kinder hat er Monat für Monat überwiesen. Und nun stellt er zu seiner UEberraschung fest, dass er zwar ungern geht, aber die Freude, wieder in seiner Heimat mit seiner Familie zusammen zu sein, alle materiellen Sorgen zunächst beiseite drängt.
Unsere zwei Stipendiaten wollen mit dem Abgeschobenen den Weg zurück nach Mexiko gehen und über den Neubeginn seines alten Lebens berichten.