Zeitenspiegel Reportagen

Auf politischer Wanderschaft

03.01.2020

Berlin, mon amour: Viermal war Zeitenspiegel-Autor Jan Rübel nun in der Hauptstadt unterwegs, um ihren Lebensnerven nachzulaufen und sie zu beschreiben. Herausgekommen ist eine Serie an politischen Wanderreportagen, welche die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” (FAS) veröffentlicht hat.

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Die Reportagen werfen einen Seitenblick auf Stadt, Landschaft und Leute. Lassen mitschreiten und sind ein Stück Zeitgeschichte: In Eine ganz besondere Straße erkundet Rübel, was ostdeutsch an einer Straße sein kann: “Dass der braune Dreck nach oben drang, schien mir kein guter Anfang für eine Geschichte über ostdeutsche Landschaften, aber nun stand ich an einem wolkenverhangenen Morgen in der Seelenbinderstraße und schaute auf jene Wasserlachen, Löcher und aufgeworfenen Erdhügel, welche die Fahrbahn in einziges Ocker tauchten.”

Bei Was bleibt dem Manne noch, einer Wanderung entlang dem Wannsee, schaut er nach, was vom Vatertag und patriarchalischen Traditionen lebt: “Aus dem Drachenberg sickerte feiner Sand in einer schmalen Spur auf die Straße. Ich ließ diese Wunde rechts hinter mir und bestieg linkerhand den Zwilling, den Teufelsberg. Zur westlichen Abbruchkante Berlins wollte ich, auf der Havelhöhe, welche Gletscher vor 10.000 Jahren wie Bulldozer aufgeschoben haben – ein natürliches Bollwerk an der Westgrenze der Hauptstadt.”

In der Innenstadt lief er den Spuren polnischer Soldaten nach, welche Berlin von der Nazi-Herrschaft befreiten (Dem Krieg hinterher): “Neulich lief ich dem Krieg hinterher. Auf den Balkonen des Berliner Reichskriegsgerichts flatterten trocknende weiße Shirts, als habe jemand vergessen die Fahne der Kapitulation einzuholen; dabei war die Schlacht 74 Jahre her. Mittlerweile rühmte sich der wuchtige Neobarockbau trotz seines kalten Graus als „eine der besten Wohnanlagen der Stadt“ mit Luxusapartments, wo einst Nazi-Richter 1089 Todesurteile gesprochen hatten.”

Und in Wie ich auszog, Jerome Boateng zu treffen folgt er dem Lauf der kleinen und unbekannten Schwester der Spree: der Panke: “Ein Lehrer erzählte einmal von der Kunst mit den Füßen zu denken, vielleicht war dies ein Weg? Mir fiel ein Gedicht Kurt Tucholskys darüber ein, was er in jenen Lagen unternahm:

‘Muss am Vormittag mein dicker, kurzer Mann

An der Börse spekulier’n.

Schau ich mir die Hauptstadt an der Panke an,

Dann gehe ich spazier’n …’”

Schon schön, unsere Hauptstadt. Oder, in den Worten von Peter Fox: Du kannst so schön schrecklich sein.