Zeitenspiegel Reportagen

Das Geisterhaus

Erschienen in "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung", 7. Februar 2016

Von Autor Jan Rübel

In Uganda verspricht die Regierung Rebellen eine Rückkehr in die Gesellschaft - wenn sie in der Amnestie-Kommission die Waffen ablegen. Vergangenheitsbewältigung auf Afrikanisch.

Durch die verschlafenen Straßen gleitet ein Minivan, mit hinter verdunkelten Fenstern verborgener Fracht. Eine scharfe Linkskurve in die Wandegeya Road, ein harter Tritt auf die Bremse und der Mitsubishi hält vor einem schiefen Metalltor. Nichts rührt sich, alles steht still. Nur ein truthahngroßer Vogel mit nacktem Kopf schickt seinen einsamen Schrei von der Spitze eines Jackfruchtbaums hoch überm Eingang hinab ins Morgengrau. Gähnend erscheint ein Wärter von irgendwo. Mustert den Van, schleicht ins Wachhäuschen hinter der Pforte und kommt zurück mit einem Sturmgewehr in beiden Händen. Langsam öffnen sich die rostbraunen Torflügel von unsichtbarer Hand. Das Portal zur Freiheit führt erstmal hinter Gittern: Fünf Männer steigen zögernd aus dem Wagen. Ziehen die Kapuzen ihrer Hoodies nach vorn, schultern volle Plastiktüten und verschwinden in einem schneeweiß getünchten Betonhaus mit dicken Eisenstangen vor den Fenstern. Amnesty Commission, Kampala, Uganda.

Das weiße Haus ist eine Art schwarzes Loch. Viele böse Geschichten soll es schlucken und zu einem Ende bringen. Bilder eines seit Jahrzehnten andauernden Bürgerkriegs bändigen, mit Kindersoldaten, brennenden Dörfern und aufgespießten Köpfen am Wegesrand. Die Biografien von hunderttausend Getöteten, zahllosen Verletzten und Verschleppten verwandeln die gebleichten Mauern in ein Geisterhaus. Wer hier eintritt, sucht Vergebung, den Weg zurück in ein Leben ohne Kampf. Es ist das Haus der Täter.

Die fünf Männer aus dem Mitsubishi lebten bis vor wenigen Tagen noch im Busch, Milizionäre der „Lord’s Resistance Army“ (LRA), jener Terrormiliz, die seit 1987 den Norden Ugandas zerrüttete, einen Gottesstaat auf Basis der zehn Gebote errichten wollte und heute durchs Grenzgebiet mit dem Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo marodiert. Jeden Tag trudeln hier Menschen ein, die den Busch hinter sich lassen wollen, den Knopf zum Neustart suchen.

Eine Frau schleppt sich zum zweiten Jackfruchtbaum im Hof. Langsam befreit sich die Sonne aus einem Wolkenband, Hühner stapfen durch den roten Sand. Die Nacht war nicht nett zu Aydan Nagita. Gestern war sie hier angekommen, „ich war zu aufgeregt, an Schlaf war nicht zu denken“. Und dann ist da noch ihr rechtes Auge, es brennt und juckt. Wie die Entzündung heilen könnte, weiß keiner. Aydan Nagita, 49, lehnt sich an den Stamm und sackt aufs Gras. Die Wunde stamme von der Flucht, sagt sie, ein Ast sei ihr ins Gesicht geschlagen; 15 Tage sei sie durch den Busch geirrt, mit sich eine Plastikflasche. „Wasser fand ich, aber nichts zu essen.“ Was sie hier will? „Was alle hier wollen“, sagt sie und zeigt auf das Haus, in dem ein Arzt die fünf LRA-Kapuzenpullis erstmal untersucht. „Amnestie.“

Hinter Aydan Nagita liegen fünf Jahre bei den Rebellen der „Allied Democratic Forces“ (ADF), einer islamistischen Splittergruppe mit Kontakten zu al-Qaida und den somalischen Shabaab-Milizen. In den Neunzigern gegründet, hat sich die Organisation ins unwegsame Rwenzorigebirge zwischen Uganda und Ostkongo zurückgezogen, 2014 zählten die UN rund 1400 Kämpfer, allesamt in isolierten Lagern im Niemandsland der Nebelberge. Ob ADF oder LRA – im Jahr 2000 hatte die ugandische Regierung ein Amnestiegesetz erlassen. Mit ihm wollte Präsident Yoweri Museveni durch ein umfassendes Pardon Kämpfer aller 27 Rebellengruppen locken, die sein Regime seit den Achtzigern herausforderten. Ursprünglich sollte es nur einige Monate lang gelten. Aber immer wieder wurde es verlängert, zuletzt in diesem Sommer für zwei weitere Jahre; 27.000 Kämpferinnen und Kämpfer machten seit 2000 davon Gebrauch, bekannten und bereuten, wurden nicht verurteilt und stattdessen „reintegriert“. Doch das Fenster zurück wird nun verengt: Schlimme Verbrechen, so langjährige Forderungen aus dem Ausland, aus der Wissenschaft und von Menschenrechtsgruppen, sollten geahndet werden. Kein Frieden ohne Gerechtigkeit, fordern sie. Die ersten Prozesse sind in diesem Jahr angelaufen, in Kampala und beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Diese Entwicklung ist nicht unumstritten. Andere aus dem Ausland, aus der Wissenschaft und von Menschenrechtsgruppen sagen: Vorfahrt für die Amnestie ist wichtig, um die Gewaltspirale zum Ende zu bringen; noch immer sind hunderte Milizionäre unter Waffen. Zwar hat sich der Krieg zurückgezogen, an die Grenzen Ugandas. Aber gekämpft und getötet wird immer noch. An Ugandas Umgang mit Tätern scheiden sich die Geister.

Aydan Nagita mag diesen Begriff nicht. „Ich bin kein Täter“, sagt sie, „ich habe niemandem wehgetan, ich habe nur versucht eine gute Muslimin zu sein“. Ihre Geschichte und die der ADF hätten sich einfach gekreuzt, „ohne mein Zutun“. Noch ist es kühl an diesem Morgen in Kampala, aber ihr rechtes Auge pocht und schwitzt Tränen aus. Den ganzen Tag lang wird Aydan Nagita aus der 70.000-Einwohnerstadt Masaka nahe des Viktoriasees ein buntes Taschentuch aus grobem Strick vor die rechte Gesichtshälfte halten. Bei den ADF, sagt sie, habe sie wie auf einem anderen Stern gelebt. Und schickt immer wieder einen Blick über die Mauer des Komplexes hinweg, als wollte sie sich vergewissern, wo sie sei.

2009 verwandelte sich ihr beschauliches Dasein einer Kerzenhändlerin in eine Rebellenodyssee. „Mein Mann verdingte sich damals als Bauarbeiter in Ruanda, nach drei Monaten kam er wieder und sagte: ‚Das nächste Mal gehen wir gemeinsam‘.“ Gedacht habe sie sich wenig dabei, wenig später saßen beide in einen Bus nach Gisenyi, einer Stadt im südlichen Nachbarland. „Ich dachte, wir suchen eine Bleibe. Aber stattdessen nahmen wir Motorradtaxis und überquerten die Grenze zum acht Kilometer entfernten Goma“ –sie landeten im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Mit einem Taxi ging es weiter, abseits der Straßen. Wohin?

„Ich wusste es nicht, und ich fragte nicht.“

Redete sie mit ihrem Mann nicht darüber?

„Nein, als Frau muss ich gehorchen und tun, was er sagt. Fragen sind unsittlich. Und ich liebte ihn.“ Ihr habe aber gedämmert, dass vor ihr kein ziviles Leben als Händlerin oder Ehefrau eines Bauarbeiters stand, als sie aus dem Taxi irgendwo ausstiegen, in den menschenleeren Busch wanderten; „nach einem halben Tag umzingelte uns plötzlich ein Dutzend Bewaffneter, sie sprachen meine Heimatsprache Luganda!“ 24 Stunden später erreichten sie eine Barackensiedlung – das Hauptquartier des ADF-Chefs Jamil Mukulu. „Handy und Geld gab ich ab“, man überließ ihr Saatgut, Hacke, Schaufel. Nicht als Kämpfer habe sich ihr Mann anheuern lassen, sondern als Bauer im Dienste der Rebellenspeisekammer. Und um ein Leben als gute Muslime zu führen. „Wir pflanzten Yam, Bananen, Bataten, Bohnen und Mais, der Boden war gut.“

Aydan Nagita streicht sich übers gelbe Kleid mit Blumenmustern. Im Terror-Camp habe die Arbeit gleich nach dem Morgengebet begonnen, „bis mittags waren wir auf den Feldern: mein Mann und wir 100 Frauen“. Die anderen Männer seien tagsüber stets unterwegs gewesen, Kämpfen. „Das Lager war zweigeteilt: insgesamt 500 Menschen, eine Moschee für Männer und eine für Frauen. „Wenn er nicht weg war, kam Jamil Mukulu jeden Nachmittag zu uns und predigte.“ Bei den Männern über den Dschihad, bei den Frauen übers gute Benehmen und Geduld als Tugend. Krieg, das war bei den ADF ein Männerjob.

Jamil Mukulu hatte auch ein früheres Leben gehabt, da war er evangelischer Pastor gewesen. Er konvertierte, studierte Arabisch und islamische Theologie im Sudan und in Saudi-Arabien. Ursprünglich zusammengekommen, um Muslimen in Uganda zu mehr Rechten zu verhelfen, radikalisierten sich die Gründer der ADF in den Neunzigern. Die Miliz legte Bomben und verübte Massaker; erst Anfang 2014 starben 400 Menschen in der Kleinstadt Beni im Osten der Demokratischen Republik Kongo durch einen mutmaßlichen Angriff der ADF mit Äxten und Macheten. Über die Jahre hinweg dirigierte Mukulu Zellen in Uganda, Kenia und Tansania, hatte Schmuggelrouten und einen lukrativen Autoimporthandel aufgebaut, wechselte mit Hilfe seiner acht Pässe zwischen den afrikanischen Ländern und Europa – bis er im April dieses Jahres in Tansania verhaftet und im Sommer nach Uganda überführt wurde. Früher hatte man auch ihm Amnestie versprochen. Heute droht ihm die Todesstrafe.

„An Flucht war nicht zu denken“, sagt Aydan Nagita. „Mukulu hatte eine Fatwa erlassen. Wer weg wollte, war für ihn ein ‚abananfuusi‘ – ein Schwächling.“ Schwächlinge wurden erschossen.

Der Milizenführer zeigte verschiedene Seiten. Den Frauen kaufte er Kleider. Er hinterlegte im Camp ein Vorschlagsbuch, „jeder konnte da reinschreiben. Ich habe darin notiert, es solle mehr Fleisch geben. Und dann gab es auch mehr Fleisch.“ Einmal habe ein Kämpfer eine der Frauen in der Waffenkammer vergewaltigt. Die Frau sei zu Mukulu gegangen. „Am nächsten Tag hat er zuerst auf dem Platz vor allen gepredigt und dann den Milizionär gefragt, ob der Vorwurf stimme. Als er bejahte, gab Mukulu der Frau dessen Pistole. Sie sollte selbst entscheiden. Sie erschoss den Mann.“

Aydan Nagita sagt, im Lager habe sie sich sicher gefühlt. „Von außen mag man denken, dass unser Leben falsch war. Von innen aber erschien mir alles logisch und richtig. Alles hatte seinen Platz.“ Heute, sagt sie, wisse sie nicht mehr, was richtig ist und was falsch. Sie brauche Zeit.

Vor sechs Wochen hat sich das Terror-Camp aufgelöst. Die kongolesische Armee hatte das Lager umzingelt. „Wir teilten uns in Zehnergruppen auf und brachen durch, mein Mann wurde dabei erschossen.“ Sie sei allein weiter gelaufen, immer weiter, bis sie 15 Tage später kongolesischen Soldaten in die Arme lief und zusammenbrach. „Ich konnte nur Tee und Zucker zu mir nahmen, alles andere erbrach ich.“ Die Soldaten brachten sie nach Beni, einen Monat lang wurde sie in einem Lager verhört, dann Vertretern einer UN-Mission übergeben und schließlich nach Kampala ausgeflogen. Oben raschelt es. Der Truthahn oben im Jackfruchtbaum breitet seine Flügel aus und hebt ab. „Das ist ein Marabu“, lächelt Aydan Nagita, „die gibt es hier überall, weil man sie nicht essen kann. Sie leben von Aas“.

Mit ihrer Geschichte ist Aydan Nagita hier bei der Amnestie-Kommission nicht allein. Da ist im Schlafraum 1 Mukassa Nsubuga, 15, aus Wesoga: vor zehn Jahren von einem fernen Verwandten entführt und an ein ADF-Lager verkauft. Als er erzählt, dass man ihm dort das Tragen von Waffen verboten habe, weint er; er habe mal ein Gewehr in den Fluss fallen lassen, geschämt habe er sich dafür. Und da hockt stumm in der Ecke von Schlafraum 2 eine junge Frau, sie nennt sich Harriet. Ihre Bettnachbarn erzählen, sie habe psychische Probleme, ihre Familie habe sie traditionell heilen wollen – durch Anbinden. Da sei sie geflohen, immer weiter gelaufen bis in den Kongo hinein und dort von Soldaten aufgegriffen worden, sie hielten sie für eine Rebellin.

An die dünne Metalltür zum Raum 2 klopft Nathan Twino, der Rechtsberater bittet eine ältere Frau mit langem bunten Rock zu sich ins Büro nebenan. Shifa Abdallah hatte bei den ADF geheiratet und zwei Söhne geboren, nun wird sie nach einem Monat bei der Kommission in ihr Heimatdorf in Ostuganda ziehen. „Wir müssen noch die Grundbesitzurkunden vergleichen“, sagt Nathan Twino. Der Anwalt ist Mitglied im Kommissionsteam aus Ärzten und Psychologen. Es empfängt Neuankömmlinge, prüft ihre Gesundheit und den Bedarf nach psychosozialer Hilfe. Sozialarbeiter suchen Verwandte, und Juristen wie Nathan Twino leisten Beistand in Rechtsfragen. „Vor 30 Jahren habe ich Land besessen“, sagt Shifa Abdallah, „das beanspruchen jetzt ehemalige Nachbarn.“ Der Anwalt ergänzt: „Nun gibt es zwei Besitzurkunden für den gleichen Grund, das muss geklärt werden.“

Draußen neben dem Jackfruchtbaum im Hof steht ein Container, darin das Gepäck, das man Shifa Abdallah morgen mit auf den Weg geben wird: Jeder Amnestierte erhält rund hundert Euro, Matratze, Decke, eine Tasse und eine Kanne aus Blech, zwei Pfannen, ein Benzinkanister und zehn Kilo Saatgut – neben der Urkunde, „reintegriert“ zu sein. Dafür nicht zwingend erforderlich, aber erwünscht ist ein traditionelles Ritual: Ein Täter stellt sich ihm am Ort seiner Vergehen, bekennt sich freiwillig zu seinen Sünden und bereut sie; schließlich übergibt er den anwesenden Opfern eine Reparation. Es ist ein Versöhnungsritual. „Wichtig“, sagt Nathan Twino, „ist dabei auch die spirituelle Ebene“. Mancher Täter habe Angst vor den „cen“, den Geistern der Toten.

Am späten Nachmittag lugt ein junger Mann aus dem Haupttürrahmen des weißen Hauses. Misstrauisch prüft er den Himmel. Es ist einer der jungen fünf Kapuzenpulliträger von heute Morgen, eine dunkelblaue Adidashose liegt eng an seinen hohen kräftigen Beinen. Seinen Namen mag er nicht nennen und auch nicht erzählen, was er bei der LRA gemacht hat. „Ich war viele Jahre dort“, sagt er, „ich wurde als Kind bei einem Überfall rekrutiert“.

Was tun mit Menschen, zu deren Alltag Überfall und Mord gehörten? Reicht eine Urkunde aus, lässt sich Vergangenes einfach wegwischen? Anfangs war die Amnestie in Uganda ein Dekret der Regierung, um Rebellen vom Kampf abzuhalten. An Gerechtigkeit oder Versöhnung dachte man nicht. Doch der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag erhob 2005 einen Haftbefehl gegen Joseph Kony, den Chef der LRA; das internationale Recht nahm sich erstmals dieses vergessenen Krieges in Uganda an. Seitdem suchen die Machthaber um Präsident Museveni einen Weg: Ab welcher Straftat ist keine Amnestie mehr möglich? Wo greift nationales, wo internationales Recht? Im April dieses Jahres schließlich rang sich Ugandas Oberster Gerichtshof zu einer Einschränkung durch: schwere Verbrechen nach internationalem Recht, also absichtsvolle Straftaten gegen einzelne Zivilisten oder Gemeinschaften schlössen von der Amnestie aus. Über die Folgen zeigt sich die Fachwelt uneins.

„Für Versöhnung braucht es Gerechtigkeit“, fasst Holly Dranginis ihren Standpunkt zusammen. Die politische Analystin von der US-Nichtregierungsorganisation (NGO) „Enough Project“ fordert die strafrechtliche Verfolgung von hochrangigen Tätern unter den Rebellen. „Jeder Fall sollte einzeln bewertet werden.“ Phil Clark von der „School of Oriental and African Studies“ (SOAS) in London widerspricht: „Die Änderung ist ein großer Fehler. Sie sendet eine Botschaft an die Rebellen: Wer aufgibt, wird verfolgt.“ Der Hochschullehrer und Uganda-Experte vermutet, dass sich die Regierung damit bei Geberländern einschmeicheln wolle, um deren Blick auf etwaigen Missbrauch bei den kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Februar 2016 zu entschärfen. Wiederum anders sieht es Jane Adong, Menschenrechtsanwältin in Uganda. „Opfer haben nun Hoffnung auf Gerechtigkeit“, sagt sie. Manchen reichten die traditionellen Rituale, die eine Bestrafung hintan stellen. Manchen nicht. „Welche Form Gerechtigkeit nehmen soll, hängt von den Individuen ab.“ Am besten, plädiert sie, sei eine gegenseitige Ergänzung von justiziellen und traditionellen Mechanismen.

Alle drei fordern gemeinsam, dass die Regierung mehr zur eigenen Verantwortung stehen müsse und ein Entschädigungsprogramm für Opfer in Gang setzen müsse. Die gehen bislang leer aus. Und es waren die Truppen Musevenis, welche 1986 im Norden Ugandas mit den Gewaltorgien begannen und die LRA auf den Plan riefen. Delikte von Soldaten aber werden nicht geahndet. Letztlich hatte die Generalamnestie im Norden zur Folge, dass sich die Region wirtschaftlich erholte; mancher befürchtet nun Unruhen, denn einige bereits amnestierte Kommandeure könnten nun von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Uganda könnte aber eine Wahrheitskommission helfen. Die, wie in Südafrika vollbracht, alle Verbrechen genau untersucht und über Unrecht reden lässt. Doch dem verschließt sich das Regime um Museveni. Das weiße Haus an der Wandegeya Road erscheint zu klein für all die großen Ziele: Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung.

Bei seinen Bewohnern geht die Frage um: Gilt die Amnestie noch für mich? Ihre Geschichten sind die von Mitläufern, der so genannten kleinen Fische, ohne die aber ein Krieg nicht möglich ist. Was sie erzählen, mag stimmen oder auch nicht. Vielleicht sind es Textbausteine, Teile dessen, was sie erlebten. War der Mann von Aydan Nagita bei der ADF wirklich nur Bauer gewesen? Durfte Mukassa Nsubuga tatsächlich nicht schießen? So ist es mit schwarzen Löchern, sie schlucken, was geschehen ist. In diesem Haus jedenfalls kommen seine Insassen zur Ruhe, wähnen sich in einer Parallelwelt. Warten ab, ob man ihnen die Urkunde gibt und sie sich einreihen lässt, in das Leben der Anderen. Dieses Haus ist wie aus der Zeit gefallen.

Es dunkelt. Der junge Mann mit der Adidashose schlendert schweigsam zwischen Schlafraum und Haupttor hin und her, als wäre er auf Patrouille. Lehnt sich an den Türpfosten des Hauptbaus, dreht sich kurz hin zum Hof. Und wendet sich dann zum Hausinneren ab.

In Schlafraum 2 dagegen lachen die vier Frauen. „Morgen geht es los“, ruft Shifa Abdallah laut. Morgen macht sie sich auf zu ihrem Heimatdorf. Körbe wolle sie flechten, und Matten. Die anderen drei schauen sie neidisch an. „Das ist meine zweite Chance, die ergreife ich allein. Die wird mir kein Mann vermasseln.“ Männer brächten nur Unglück. „Und wir müssen nach ihnen schauen wie nach Babys.“ Mit einem Plopp springt kaltes Licht in der Deckenneonröhre an. Draußen ist es schwarz. Drinnen blitzt ein goldfarbener Holzrahmen auf, darin ein A4-Porträt Joveri Musevenis. Aus der Ferne dringt leise das Hupen von Autos. Der Präsident lächelt steif.