Zeitenspiegel Reportagen

Die DITIB und der Antisemitismus

Erschienen in "Antisemitismus in und aus der Türkei", Sammelband, Hamburg 2023

Von Autor Jan Rübel

Antisemitismus in der Türkei und aus der Türkei ist ein altes und neues Thema - bloß eher unbekannt in Deutschland. Diesem Phänomen widmet sich ein Werk, das Corry Guttstadt herausgegeben hat, und in dem Zeitenspiegel-Autor Jan Rübel ein Kapitel beigesteuert hat: Wie hält es die größte islamische Organisation, die DITIB, mit Antisemitismus? Eine Bestandsaufnahme.

Als sich Olaf Scholz am 18. November zum Abendessen setzte, wird er viel hanseatische Gelassenheit gebraucht haben. Drohte ihm doch bei seinem Gast der Löffel aus der Hand zu fallen: Was der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gerade zum Nahostkonflikt von sich gibt, taugt zur Magenverstimmung bei der deutschen Staatsräson. „Er ist für uns kein Gesprächspartner mehr, wir haben ihn gestrichen und weggeworfen“ sagte er unlängst über Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Im Nahen Osten herrscht Krieg. Die radikalislamische Terrorgruppe Hamas trat ihn am 7. Oktober los, als sie aus dem Gazastreifen Kämpfer nach Israel losschickte. Deren Ziel: In möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen möglichst brutal zu töten, in der israelischen Gesellschaft verwurzelte Traumata nach oben zu bringen. Seitdem tobt in Gaza eine Bodenoffensive israelischer Soldaten mit vielen Toten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung. Zu den Massakern der Hamas schweigt Erdogan. Seine Regierung fördert die Organisation, stattet ihre Führung mit Pässen aus, preist sie als „Befreiungsorganisation“, während Netanjahu ein „Terrorist“ sei. Scholz wird der Appetit vergangen sein.

Und dann ist da noch Ali Erbas, religiöser Führer der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Dem fiel in seinem öffentlichen Gebet nach den Massakern ein, Israel sei „wie ein rostiger Dolch, der im Herzen der islamischen Geografie steckt“, wie er am 13. Oktober predigte. Was das mit Deutschland zu tun hat? Erbas und sein Diyanet verfügen hier über einen verlängerten Arm: Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V, DITIB) ist die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland. In ihr sind nach eigenen Angaben derzeit 896 Ortsgemeinden organisiert. Sie untersteht der dauerhaften Leitung, Kontrolle und Aufsicht des Diyanets, welches früher beim türkischen Ministerpräsidenten angesiedelt war und heute dem Präsidenten direkt unterstellt ist. Eine Verurteilung des Hamas-Terrors scheint auch bei DITIB nicht gerade oberstes Anliegen zu sein. Eine entsprechende sehr klare Erklärung unterschrieb zum Beispiel DITIB in Nordrhein-Westfalen zwar – die Landesregierung hatte sie dazu aufgefordert. Aber dem nachdrücklichen Wunsch, diese Hamas-Verurteilung in ihre Gemeinden zu tragen, sie überhaupt zu veröffentlichen, kam DITIB nicht nach. Gerade zieht sich ein Riss durchs Land. Wann fing das alles an?

Manchmal passt zwischen die Türkei und Deutschland ein einziger Tweet. Als die Berliner Polizei im Oktober 2020 die Räume der Mevlana-Moschee in Kreuzberg untersuchte, kam die Reaktion aus Ankara vom Präsidenten persönlich. Erdogan beschrieb die Aktion, welche die Behörden mit dem Verdacht des Subventionsbetrugs bei Corona-Soforthilfen begründeten, über seinen Twitter-Account am 23. Oktober 2020 als einen Einsatz, „der eindeutig von Rassismus und Islamophobie genährt wird, der Europa jeden Tag näher an die Dunkelheit des Mittelalters bringt und der die Glaubensfreiheit völlig ignoriert“. Ein Staatschef, der eine Razzia im Bereich der Wirtschaftskriminalität in einer 2.000 Kilometer entfernten ausländischen Stadt kommentiert – für die bilateralen Beziehungen eine ausdrucksstarke Geste und ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Präsident und der türkische Staat an sich für türkisch-islamische Organisationen im Ausland interessieren – als würde Erdogan damit nicht außen-, sondern innenpolitisch agieren.

Die untersuchte Moschee gehört nämlich zur Islamischen Gemeinschaft Millî Görüs – einer islamistischen Bewegung, die ihr früher oppositionelles Verhältnis zum türkischen Staat im Lauf der vergangenen Jahre abgelegt hat und nun der Politik Erdogans nahesteht. Wer sich also beispielsweise den Antisemitismus inner- und außerhalb der Türkei anschaut, landet rasch in Deutschland bei den rund drei Millionen Menschen mit familiären Wurzeln in der Türkei und bei der DITIB. Türkeistämmige in Deutschland sind mit antisemitischen Narrativen aus der Türkei und dem Nahen Osten konfrontiert, aber auch mit dem deutschen, viele Jahrhunderte alten Antisemitismus. All dies hat Auswirkungen auf die DITIB. Wie sieht Antisemitismus in islamisch geprägten Milieus in Deutschland aus? Was ist überhaupt die Geschichte der DITIB in Deutschland – und welche Fälle von Antisemitismus gibt es im Umfeld der DITIB, wie geht man damit um?

Das Wissen der Umfragen

Die US-Organisation Anti-Defamation League (ADL) ermittelte für die Türkei aus Befragungen zu antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung in der Türkei während den Jahren 2013 und 2014 einen „Index Score“ von 69 Prozent, das heißt, so viele Befragte stimmten mit präsentierten antisemitischen Vorurteilen überein. Diese Werte sind nicht auf Türkeistämmige in Deutschland übertragbar, aber durch die Vielfältigkeit der Beziehungen, Kontakte und Diskurse zwischen beiden Ländern wird es unter ihnen eine unbewusste bis zuweilen bewusste Auseinandersetzung mit diesen Vorurteilen geben. Eine Allensbach-Umfrage unter in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslimen im Auftrag des American Jewish Committee kam im Jahr 2022 zum Ergebnis, dass 53 Prozent der Befragten der Meinung waren, Antisemitismus sei ein in Deutschland weit verbreitetes Phänomen. 17 Prozent vertraten die Auffassung, in Deutschland werde zu viel über Antisemitismus geredet; ein Wert, der mit dem der Gesamtbevölkerung identisch ist.

Eine Studie des Sachverständigenrats für Integration und Migration ergab im Herbst 2022, dass unter den in Deutschland Befragten ohne Migrationshintergrund 11,3 Prozent der Aussage zustimmten: „Juden haben auf der Welt zu viel Einfluss“, während es unter den Befragten mit türkischer Familiengeschichte 52,2 Prozent waren. Im Rahmen einer Studie der Universität Bielefeld zu jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus wurde im Jahr 2017 eine nicht repräsentative Befragung durchgeführt. Das Ergebnis: „Für einen großen Teil der Beleidigungen und Übergriffe werden muslimische Täter und Täterinnen aufgeführt“, – so die Vermutung der Befragten.

Wie Moscheen mit dieser Problemlage umgehen, umriss eine Studie, die der vom Bundestag eingesetzte Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus (UEA) 2016 in Auftrag gegeben hatte. Dafür wurden nicht repräsentativ 18 Imame interviewt, zwölf von ihnen waren türkischstämmig, einige von ihnen bei der DITIB. Nicht wenige DITIB-Imame indes verweigerten das Interview, manche zogen gar eine bereits erteilte Zusage zurück. Die interviewten Geistlichen bestätigten, dass in den Gemeinden antisemitische Einstellungen existieren, beschrieben sich als progressiver als die Gemeinden beim Thema Antisemitismus und sahen einen Zwiespalt: Die Mehrheitsgesellschaft fordere den Einsatz gegen Antisemitismus, während die Gemeinde Engagement ‚für Palästina‘ befürworte; die Imame mahnten bei der Thematisierung von Antisemitismus in den Gemeinden eine ‚sensible Vorgehensweise‘ an. Indes eignet sich nicht jeder ihrer Ratschläge zur kritischen Auseinandersetzung mit Antisemitismus; mancher wirft ein Licht auf ihr eigenes Problembewusstsein: Einige empfahlen, in den Gemeinden die Ehe Muhammads, des Propheten, mit einer Jüdin als ein positives Beispiel für den Umgang des Islams mit Juden zu propagieren. Allerdings handelt es sich der Überlieferung nach bei der Ehefrau um Safiya bint Huyaiy, eine Jüdin aus Yathrib, dem späteren Medina. Sie wurde mit ihrem Stamm von Muhammad aus Medina vertrieben. Der Stamm der Banu Nadir siedelte in der Oase Chaibar und wurde einige Jahre später von den Truppen des Propheten vernichtend geschlagen. Safiyas Vater und ihr Ehemann wurden getötet, sie wurde als Teil der Beute von Muhammad geheiratet. Drei Tage lang soll Muhammad nach Angaben des Gelehrten Muhammad ibn Ismail al-Bukhari aus dem neunten Jahrhundert ‚die Ehe konsumiert‘ haben. Dann wurde ihr freigestellt, ob sie Sklavin werden oder zum Islam konvertieren wolle. Sie konvertierte. Muhammads Handeln entsprach den Gepflogenheiten seiner Zeit; eine antisemitische Motivation seines Handelns ist dabei nicht erkennbar. Es aber 1389 Jahre später als beispielhaft für den muslimisch-jüdischen Dialog zu preisen, ist ahistorisch, wirkt grotesk und zeugt von einer gewissen, wenn auch möglicherweise unbewussten Überheblichkeit.

Die interviewten Imame machten insgesamt fünf Themenblöcke aus, innerhalb derer die Auseinandersetzung mit Antisemitismus ablaufe: Der ‚Nahostkonflikt‘, religiöse Quellenauslegung, der Holocaust, einseitiger Medienkonsum als Form eines Kontrasts zwischen ‚westlichen‘ und nahöstlichen Medien sowie schließlich eine Art Opferwettbewerb zwischen Juden und Muslimen in Deutschland. Strukturierte Untersuchungen und Ergebnisse zu antisemitischen Vorfällen, Denkmustern und Erzählsträngen innerhalb der DITIB gibt es nicht. Daher ähnelt diese Recherche dem Zusammensammeln von Mosaiksteinen, wobei das Bild, so viel sei vorangestellt, unvollständig bleiben wird. Auch die oben angeführten Umfragen sind nur bedingt und mittelbar von Aussagekraft für die DITIB. Mindestens ihr Umfeld beschreiben die Umfragen aber. Immerhin sieht sie sich in einer eigenen Pressemitteilung als eine Institution, die über ihre religiösen und sozialen Dienste Hunderttausende muslimische Bürgerinnen und Bürger erreiche – mit ihren 24.000 ehrenamtlich engagierten Gläubigen und etwa 200.000 Gemeindemitgliedern, die über ihre Familienangehörigen „um die 800.000 Gemeinschaftsmitglieder“ darstellen.

Die Geschichte der DITIB

Die DITIB ist im Jahr 1984 nicht als Graswurzelbewegung entstanden, sondern auf Betreiben des türkischen Staates. Seit dem Militärputsch von 1980 entwickelte sich in der Türkei eine Ideologie der einheitlichen türkisch-sunnitischen Religionsnation als zunehmend offizielle Leitlinie. Dabei erhielt das Diyanet auf Grund dieser Ideologie die Aufgabe, nationale Solidarität und Einheit zu bestärken. Bis dahin hatte das Verhältnis des türkischen Staates zum Islam seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1950 verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Als sich die DITIB in Köln als eingetragener Verein konstituierte, waren ihre Organe von Beginn an die Mitgliederversammlung, der Vorstand und der Beirat. Als Vorsitzender agiert der türkische Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten. Der Beirat spielt eine prominente Rolle: Nur er bestimmt, wer für den Vorstand kandidieren darf, und besteht ausschließlich aus Funktionären des Diyanet – also aus direkt aus Ankara entsandten Personen. Der Beirat kontrolliert auch den Grundbesitz zahlreicher Mitgliedsgemeinden. In den Gemeinden agieren aus der Türkei entsandte Imame des Diyanet, die vom türkischen Staat bezahlt werden und anfangs meist kaum über Deutschkenntnisse verfügen. Dennoch ist die DITIB keine rein zentralistische Organisation, sondern kann vor Ort recht unterschiedlich aussehen – dies hat natürlich auch Auswirkungen auf ihren Umgang mit Antisemitismus. Seit 2018 prüft das Bundesamt für Verfassungsschutz, ob die DITIB-Zentrale als Verdachts- und Beobachtungsobjekt einzustufen ist. Das sah in den Anfängen der Institution noch ganz anders aus: In den 1980er Jahren begrüßten die deutschen Behörden die Einrichtung der DITIB, sahen sie in ihr doch ein Instrument zur Eindämmung religiös-extremistischer Gruppen. Die Islamauffassungen des Diyanet wurden dabei pauschal als moderat und liberal eingestuft, der türkische Staat als Teil ‚des Westens‘ empfunden. Auch war es Zeit geworden, dem religiösen Leben der Türkeistämmigen in Deutschland endlich eine Struktur zu geben: Die so genannten ‚Gastarbeiter‘ und ‚Gastarbeiterinnen‘ konnten von den deutschen Behörden immer schwerer als temporäre Besuchende angesehen werden. Dass die DITIB Organisationsaufgaben ausübte, wird die deutsche Politik erleichtert zur Kenntnis genommen haben, da sie diese dann nicht selbst übernehmen musste.

Die DITIB etablierte sich also zu einer wichtigen Instanz in der islamischen Seelsorge in Deutschland, kümmerte sich um das Alltagsleben von Gläubigen, die vorher sich selbst überlassen waren, hatte aber auch andere Aufgaben: Als Instrument des staatlichen Diyanet sollte sie gegen den Einfluss der damals zunehmend religiös argumentierenden Opposition in der Türkei wirken und gleichzeitig die im Ausland leben Türkeistämmigen als Lobby türkischer Regierungspolitik aufbauen. Die Religionsfunktionäre in Ankara hatten dabei weniger die örtlichen Sorgen von in Deutschland lebenden Gläubigen im Sinn als vielmehr die Festigung der politischen Strukturen in der Türkei. In den Schriften des Diyanet für im Ausland lebende Türken und Türkinnen schürte die Behörde in den 1980er Jahren Ängste vor einer christlichen Missionierung der dortigen Muslime und empfahl ihnen daher eine Distanzierung von der Mehrheitsgesellschaft. Dem Diyanet zufolge sollte man Türkin und Türke bleiben, sich mit der türkischen Geschichte, dem türkischen Staat und mit dem Islam als der Grundlage der Nationalkultur identifizieren. Die Einbettung von Religion und ihrer Organisationen in die Politik war also von Beginn an gegeben.

Erdogans Aufstieg: Wie frühere Oppositionelle die DITIB neu prägen

Im Lauf der Jahrzehnte änderte sich das Islamverständnis der herrschenden Politik in der Türkei immer wieder – und damit auch jenes der DITIB. Mit der Wahl Erdogans zum Ministerpräsidenten 2003 forcierte dieser eine bereits in den 1980er Jahren von den putschenden Militärs betriebene konservative Religionspolitik, die sich immer stärker vom Laizismus weg entwickelt und fundamentalistische Wurzeln hat. Erdogan hatte seine Politisierung in den 1980er Jahren in der Jugendorganisation der Millî Selamet Partisi (Nationale Heilspartei, MSP) erfahren, welche sich damals in der Opposition befand. Dieser Organisation hatte Necmettin Erbakan vorgestanden – jener Anführer der islamistischen Millî-Görüs-Bewegung, welche in dieser Zeit in Konkurrenz zur DITIB stand. Zu ihr gehört auch die eingangs erwähnte Mevlana-Moschee in Berlin.

In den 2000er Jahren beteiligte sich die DITIB in Deutschland mehrfach an Kampagnen von politischen Parteien gegen ‚Terrorismus‘, ‚Fanatismus‘ und ‚Rassismus‘ und wollte als ein Faktor der von der deutschen Politik beschworenen Integration wahrgenommen werden – es war auch die Zeit, in der sich die Türkei aktiv um einen EU-Beitritt bemühte, relativ liberale Politikansätze verfolgte; entsprechend agierte auch die DITIB. Zum Wendepunkt in der Entwicklung der Organisation wurde indes der Putschversuch in der Türkei im Jahr 2016. Die als Regierungsgegner ausgemachten Anhänger der Gülen-Bewegung, einer geistlichen Gruppierung mit konservativen und denen der AKP nicht unähnlichen islamischen Inhalten, sollten auf verschiedenen Ebenen bekämpft werden, unter anderem mit Hilfe der vom Diyanet nach Deutschland entsandten Imame, die Spitzelberichte über verdächtige Gemeindemitglieder anzufertigen hatten.

Im Lauf der späten 2010er Jahre zeigte die DITIB klare Abschottungstendenzen; immer seltener beteiligte sich die Organisation an Kampagnen mit anderen Institutionen aus der deutschen Zivilgesellschaft oder des deutschen Staates. Der Islam in seiner konservativen Ausrichtung war von Erdogan als außenpolitisches Machtmittel entdeckt worden. Und Erdogan an dessen Spitze kommunizierte Großmachtansprüche. Schon vor dem Putschversuch trat er im Jahr 2015 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Istanbul mit den Worten auf: „Eroberung heißt Mekka, Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu lassen“. Dass die jüdischen Einwohner Jerusalems womöglich eine andere Vision für ihre Stadt bevorzugen, erwähnt diese antisemitische Erzählung nicht.

Jerusalem als Symbol von Macht im Schatten des untergegangenen Osmanischen Reiches und als judenfeindlicher Topos spielte auch eine Rolle, als der Diyanet-Vorsitzende Ali Erbas im Juli 2020 in der in eine Moschee umgewandelten Hagia Sophia in Istanbul mit einem Schwert auftrat und zur Eroberung Jerusalems aufrief. Als der türkische Staat 2018 eine Militäroffensive in Syrien startete, wurde in deutschen DITIB-Moscheen für den Erfolg der türkischen Soldaten gebetet. Den Vorwurf, die Gebete seien zentral angeordnet worden, wies die DITIB zurück.

Ein Jahr später unterstrich die DITIB ihr außenpolitisches Engagement durch einen Kongress, den sie in Zusammenarbeit mit dem türkischen Diyanet, ihrer Mutterinstitution in Ankara, in Köln organisierte. Über hundert Teilnehmende diskutierten im Januar 2019 zur „Zukunft der Muslime in Europa“. Konferenzsprache war Türkisch, es nahmen unter anderem Vertreter der Muslimbrüder teil, was wegen der islamistischen und teils antisemitischen Inhalte dieser Bewegung in deutschen Medien für eine kritische Berichterstattung sorgte. In der Türkei war das Medienecho auf den Kongress groß; über die diskutierten Inhalte wurde breit und überwiegend positiv berichtet. Die Kölner Lokalpolitik zeigte sich indes überrumpelt und meinte, die DITIB und ihre Funktionäre hätten sie nicht vorab über die Teilnehmenden informiert – trotz Gesprächen im Vorfeld. In den kritischen deutschen Medienberichten gingen manche Inhalte in der öffentlichen Wahrnehmung unter, zum Beispiel die Eröffnungsrede von Diyanet-Chef Erbas, in der er den zunehmenden Rassismus in Europa kritisierte und ein Hadith zitierte, wonach ein Muslim jemand sei, ‚von dessen Hand und Zunge‘ andere Menschen nichts zu befürchten hätten.

Zwei Jahre später veröffentlichte das Diyanet auf seiner Website ein Foto von Erbas mit dem Zitat als Titel: „Babymörder Israel muss so schnell wie möglich gestoppt werden“ – eine Verwendung der antijudaistischen Ritualmordlegende des Christentums, wonach Juden das Blut kleiner Kinder trinken würden. Der Tagungsort, an dem der Kongress von Köln im Januar 2019 abgehalten wurde, war übrigens die erst im Herbst 2018 eingeweihte DITIB-Zentralmoschee. Kölner Lokalpolitiker hatten ihre Teilnahme an der Eröffnungszeremonie abgesagt, nachdem ihnen kein Rederecht erteilt worden war. Präsident Erdogan dagegen besuchte die Feier und wurde von mehreren tausend Anhängerinnen und Anhängern auf der Straße begrüßt. Einige riefen laut: „Wir sind deine Armee, du bist unser Kommandant“, vielerorts zeigte man Handzeichen der Muslimbrüder und der türkischen faschistischen Graue-Wölfe-Ideologie Bozkurtlar. Das war ein symbolischer Ausdruck für die Verschmelzung von militaristischen, nationalistischen und islamistischen Strömungen in der Politik des türkischen Präsidenten. Auch auf die weitere Entwicklung der DITIB hatte die Annäherung zwischen AKP und MHP Einfluss; beide Parteien hatten in Ankara ein Regierungsbündnis geschmiedet. Die Zusammenarbeit der DITIB mit Organisationen wie Millî Görüs? und Gruppen aus dem Umfeld der Grauen Wölfe, zu denen man früher eher ein distanziertes bis konkurrierendes Verhältnis pflegte, hat sich in den vergangenen Jahren intensiviert. Seit 2018 organisieren etwa in Kassel die DITIB, Millî Görüs? und die drei ansässigen Organisationen aus dem Bereich der Grauen Wölfe (Türk Federation, ATB, ATIB) regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen. Auch entsendet das Diyanet seine Imame nicht mehr nur an die DITIB, sondern auch an Millî Görüs? und die Avrupa Türk-Islam Birligi (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V., ATIB). Das Bundesamt für Verfassungsschutz urteilt über ATIB, diese fördere „einen türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen, der von einem extremen Freund-Feind-Denken geprägt ist. Dies führt zur Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums“. Im April 2021 schließlich reiste der DITIB-Vorsitzende Kazim Türkmen gemeinsam mit den Amtskollegen von Millî Görüs und ATIB sowie dem Chef der AKP-Lobbyorganisation Union Internationaler Demokraten (UID) in Europa nach Ankara. Dies kam einem offiziellen Schulterschluss bei einem Gesprächstermin bei Erdogan gleich.

Seit ihrer Gründung mit den Entwicklungen des politischen Systems in der Türkei verbunden, macht die DITIB die konservative Großmachtpolitik Erdogans mit und verfolgt seine Agenda für ihn in Deutschland. Die DITIB selbst lehnt solch eine Beschreibung ab und erklärt sich entsprechende Kritik damit, dass Deutschen die Aufgaben und Strukturen des Diyanet nicht richtig bekannt seien. „Diyanet ist eine staatliche Organisation, das stimmt“, sagte der aktuelle DITIB-Vorsitzende und vorherige Diyanet-Funktionär Kazim Türkmen 2019 in einem Interview mit „Domradio“. „Aber sie ist nicht der politischen Meinungsbildung unterworfen und in theologischen Fragen unabhängig.“ Als einen Beleg dafür führte Türkmen an, das Diyanet habe sich entgegen einigen türkischen staatlichen Stellen dafür ausgesprochen, das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten zu streichen. Zum einen sagt dieser Hinweis nichts über die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit der DITIB in Deutschland aus. Und zum anderen führt er damit einen Beleg an, dass die türkische Politik trotz der AKP-Bemühungen durchaus viele Schattierungen aufweist; mit ihrer Haltung zum Kopftuchverbot ist das Diyanet ganz auf einer Linie mit der heutigen Regierungspartei und mit Erdogan. Ein Argument von Türkmen also, das wenig überzeugt. Auch sind die Strukturen der DITIB und des Diyanet nicht schwer zu verstehen und daher gut bekannt. Dass er als DITIB-Vorsitzender gleichzeitig Botschaftsrat ist, begründete Türkmen gegenüber „Domradio“ damit, dass er so den fast 1.000 Religionsbeauftragten in Deutschland „Entscheidungen besser vermitteln kann“. Eine Personalunion aus Gründen der Kommunikationsstrategie – dieses Argument wirkt bemüht. Denn Vermittlungsprobleme ließen sich auch anders lösen.

Natürlich gibt es in einer großen Organisation wie der DITIB unterschiedliche Meinungen. Eine virale Frage in internen Debatten ist, ob und wie die Organisation selbstständiger wird, autonomer von türkischer Regierungspolitik agiert und ihre Angelegenheiten zunehmend allein steuert. Seit einigen Jahren gibt es auch immer wieder Rücktritte von DITIB-Funktionären, die der Institution wegen eines ausbleibenden Reformkurses den Rücken kehren.

Das Bundeskabinett reagierte auf die kleine Anfrage der Linksfraktion, ob seit dem Putschversuch von 2016 eine Intensivierung der Versuche des türkischen Staates festzustellen sei, Einfluss auf Türkeistämmige in Deutschland zu nehmen und ob diese Versuche unter anderem von der DITIB ausgehen, bejahend: „Der türkische Staat ist weiterhin bemüht, Einfluss auf türkeistämmige Gemeinden in Deutschland zu nehmen sowie punktuell den politischen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess in der deutschen Gesellschaft insgesamt zu beeinflussen.“

DITIB und Antisemitismus - ‚Der Verband der Einzelfälle‘

Die Berücksichtigung des Binnenpluralismus in der DITIB ist von enormer Bedeutung, wenn es um den Blick auf antisemitische Narrative in der Organisation geht. Dieser richtet sich dann weg vom Schwerter schwingenden Erbas in Ankara oder Istanbul hin zu Ehrenamtlichen in Ansbach oder Iserlohn, zu den vielen Ortsgemeinden. Diese agieren in ihrer Alltagsarbeit oft losgelöst von der Zentralstruktur. Auch gibt es durchaus Gemeindemitglieder, die sich aktiv gegen Judenfeindlichkeit wenden und antisemitischen Narrativen sensibilisiert und ablehnend gegenüberstehen; daran hindert sie in der DITIB sicherlich niemand. Ziel dieser Recherche ist es indes, das Augenmerk auf antisemitische Äußerungen innerhalb der DITIB zu richten, die in vielen Fällen ebenfalls so lange ungehindert nach außen dringen, bis auf Druck von Medien oder Politik Facebook-Einträge oder Texte auf Internetseiten gelöscht werden.

Wie schon die angeführten Aussagen von Erbas? und Erdogan bezüglich Jerusalem zeigen, wird bei der DITIB immer wieder Bezug auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Allgemeinen und den Status von Jerusalem im Speziellen genommen. Eine Predigt zum Ende von Ramadan, welche das Diyanet 2021 verbreitete, beinhaltete eine Unschärfe, die den Boden für Judenfeindlichkeit bereitet: „Möge er uns an den wirklichen Festtagen zusammenbringen, an denen Jerusalem, die Masjid al-Aqsa und alle besetzten islamischen Länder frei feiern werden“, heißt es dort. Abgesehen davon, dass eine konkrete Nennung islamischer Länder, die besetzt sind, interessant wäre (Nordwestsyrien unter türkischer Besatzung wird womöglich nicht hinzugezählt), kann die palästinensische Bevölkerung Ost-Jerusalems sicherlich als unfrei bezeichnet werden. In ganz Jerusalem aber gibt es viele Menschen, die nicht zu befreien sind. Eine mögliche Lesart dieser Predigt ist, dass alle Juden aus Jerusalem zu verschwinden hätten beziehungsweise, dass die gesamte Stadt unter islamische Herrschaft gestellt werden sollte. Der eliminatorische Charakter dieser Formulierung ist nicht wegzudenken.

Der Umgang mit dem ‚Nahostkonflikt‘ und Jerusalem als Kristallisationspunkt ungelöster Interessenunterschiede setzt sich in zahlreichen Beiträgen von einzelnen DITIB-Aktiven oder ganzen Gemeinden in den Sozialen Medien fort. Nach Angaben des Hessischen Rundfunks fand das Fernsehmagazin defacto Ende 2016/Anfang 2017 auf den Facebookseiten von DITIB-Gemeinden Aussagen wie „der kannibalische Jude kotzt den Tod in Palästina“ oder „um die Barbarei der Juden zu beschreiben, werdet ihr nicht die richtigen Worte finden können“. Auch wurden in den Posts Christen im Engeren mit Aussagen bedacht wie, das Weihnachtsfest sei „eine nach Blasphemie stinkende Tradition der Christen“ und weitere mit „Freundschaft und Beziehungen zu Ungläubigen sind verboten“. Theologisch fundiert waren diese Aussagen mitnichten, wohl aber bewusst verletzend.

Im Jahr 2015 wurde in der Gemeinde Melsungen in Hessen unter der Überschrift „Yahudiler“ (Juden) auf der Website ein Lehrtext für die Gemeindemitglieder veröffentlicht. Dabei handelte es sich um eine Spruchsammlung aus dem Koran und dem Hadith zu Juden. Seinerzeit befand sich der Prophet Muhammad in einer Konkurrenzsituation mit jüdischen Stämmen. Entsprechend negative Äußerungen gibt es von ihm über sie, welche aber in ihrem zeitlichen Kontext zu verstehen sind. Aus dem Zusammenhang gerissen und so von der Gemeinde in Melsungen präsentiert, wirkten sie klar antisemitisch und gehören zum festen Ideologiestamm religiös motiviertem islamistischen Antisemitismus.

Dem langjährigen Vorsitzenden der Göttinger Gemeinde, Mustafa Keskin, wurden die Inhalte von Facebook-Posts vorgeworfen, die er zwischen 2015 und 2021 veröffentlicht hatte. Darin wurden israelische Soldaten als ‚jüdische Hunde‘ beschrieben, und der Autor suggerierte, Juden und Israelis würden gezielt Kinder töten, verbreitete also die Ritualmordlegende. Ein weiteres Bild zeigte die beiden amerikanischen Politiker Joe Biden und Donald Trump als Marionetten des Investmentbankers Jacob Rothschild. Letzterer arbeitete für die Familienbank N M Rothschild & Sons, ein Geldhaus mit einem Umsatz von 390.017 Millionen Britischen Pfund im Jahr 2019 – also eine Bank eher mittlerer Größe mit entsprechend geringem politischen Einfluss. Die jüdische Familie Rothschild spielt indes seit Jahrzehnten eine unbegründet prominente Rolle in antisemitischen Weltverschwörungsmythen. Keskin galt bis dahin als weltoffener und liberaler Vertreter. Er engagierte sich unter anderem beim ‚Runden Tisch der Religionen Abrahams‘. Anfang 2022 wurde er wegen Volksverhetzung und Billigung von Straftaten zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Eine Studie der Universität Göttingen untersuchte weitere niedersächsische Gemeinden auf ihre Äußerungen in den Sozialen Medien hin. In drei Fällen wurde sie fündig: Der Beisitzer der Gemeinde in Hannover kommentierte die israelische Militäraktion „Operation Protective Edge“ aus dem Jahr 2014 in Gaza mit „verdammte Israelis“ und: „ihr verfluchten Israelis […] Möget Ihr in der Hölle schmoren […] Ich verfluche euch und Hitler das er euch nicht ausgerottet hat.“ Diese Worte gehen zweifellos über eine Kritik an möglichen Kriegsverbrechen hinaus und tragen den bereits oben beschriebenen eliminatorischen Charakter in sich. Der Vorsitzende der Osnabrücker Gemeinde teilte auf Facebook Logos der Grauen Wölfe und ein Video mit Darstellungen eines Davidsterns aus Stacheldraht mit einem Gesicht in der Mitte, welches Vampirzähne trug – wiederum eine Anspielung auf ‚blutsaugende‘ Juden und Ritualmord. Und schließlich gibt es einen Beitrag auf der Facebookseite des Kassenwarts der Hildesheimer DITIB-Gemeinde, in dem der Tag herbeiphantasiert wird, an dem die Türkei die Zionisten für ihre Landnahme an den Palästinensern bestrafen werde, mitsamt eines angeblichen Zitats von Jacob Rothschild, wonach Türken ‚das scharfe Schwert des Islam‘ seien, das Israel auslöschen und bis nach Wien vorrücken werde. In diesem Post steckt eine Menge: Sehnsucht nach der Wiederkehr des Osmanischen Reiches, Patronat für die unterdrückten Palästinenser, totale Ignoranz für Israelis und letztlich der Wunsch nach deren Vernichtung.

Israel als Ausgangspunkt für Judenfeindlichkeit findet sich auch auf der Facebookseite des Imams von Stuttgart-Feuerbach. Er schrieb: „wenn ihr Jerusalem wollt, gibt es keine Ausreden und Hindernisse“. 2017 gastierte in mehreren Gemeinden der DITIB eine Theatergruppe mit dem Stück Son Kale Türkiye (Letzte Bastion Türkei). Die Aufführung diente der Verbreitung nationalistischer Inhalte mit kriegsverherrlichenden Heldenshows. Unter anderem treten drei Männer in schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen auf, die eine Zerschlagung der Türkei durch die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien planen – zwei der als ‚Amerikaner‘ titulierten Männer trugen jüdische Vornamen.

2021 teilte in Nürnberg ein Vorstandsmitglied der Gemeinde auf Facebook ein Video, in dem es hieß: „Möge dein Stamm ausgetrocknet werden, Israel. Möge Gott euch vernichten und im Höllenfeuer verbrennen.“ Ferner teilte die Person eine Karikatur, auf der ein Israeli mit Hitlerbart dargestellt wurde, der ein Kleinkind erschießt.

Der Umgang mit öffentlicher Kritik

Auf die Recherchen des TV-Magazins defacto zu den Veröffentlichungen hessischer Gemeindemitglieder auf Facebook erklärte der DITIB-Bundesverband: „Dies sind keine offiziellen Äußerungen der DITIB, sie spiegeln weder die Haltung noch das starke Engagement der DITIB als anerkannter Dialogpartner wider.“ Wenig später schob der Vorstand von DITIB hinterher: „Gleichwohl diese hetzerischen Umtriebe nicht in Kenntnis oder in Anlehnung an die DITIB-Landesverbände oder den DITIB-Bundesverband erstellt worden sind, werden entsprechende Untersuchungen stattfinden und Konsequenzen folgen.“ Auf die Spruchsammlung über Juden in der Melsunger Gemeinde reagierte der DITIB-Dachverband Köln erschrocken: „Man kann diese Sätze nicht aus dem Zusammenhang reißen. Wir werden auf die DITIB in Melsungen zugehen und ihnen das klarmachen.“

Im Fall des Göttinger Gemeindevorsitzenden reagierte der Bundesverband hart. „Keine der Postings und Meinungen des besagten Vorsitzenden kann auch nur ansatzweise eine Haltung wiedergeben, die bei einem DITIB-Funktionär Duldung finden könnte“, sagte ein Bundesvorstandsmitglied. Gleichzeitig werde DITIB die Vorgänge aufarbeiten, „da es ja in diesem Fall keine einmalige Aktion, sondern mehrere Aktivitäten über einen längeren Zeitraum gegeben hat“. Zu den Recherchen über die Beschimpfungen in Hannover, Osnabrück und Hildesheim sagte die Geschäftsführerin des DITIB-Landesverbands Niedersachsen und Bremen, Emine Oguz, auf eine Anfrage des NDR, „dass diese Posts weder die Haltung der DITIB widerspiegeln noch für uns als Landesverband oder Moscheevereine vertretbar sind“. Zu den Vorfällen in Stuttgart und in Nürnberg sowie zum Theaterstück Son Kale gab es hingegen keine Stellungnahmen.

Inwiefern DITIB die offengelegten Fälle von Antisemitismus intern aufgearbeitet hat, lässt sich nicht ermitteln. Im Laufe der Jahre stellt sich aber der Eindruck ein, dass die Stellungnahmen zu konkreten Sachverhalten schmallippiger geworden sind. Bei allgemeinen Pressemitteilungen ist die DITIB merkbar auskunftsfreudiger: „Unser Reiseprojekt mit interreligiösen Schülergruppen nach Krakau und Auschwitz, das 2019 begonnen hat und aktuell weiterläuft, gehört ebenso dazu, wie unsere internen Ausbildungs- und Vortragsreihen, bei denen neben anderen Themen auch der Antisemitismus und antisemitische Narrative behandelt werden.“ Und in einer Pressemeldung aus dem Jahr 2018 solidarisierte sich die DITIB mit einem Mann, der, eine Kippa tragend, in Berlin Opfer eines Angriffs geworden war. „Antisemitismus ist vor diesem Hintergrund absolut inakzeptabel“, heißt es dort. „Der DITIB-Bundesverband und die DITIB-Landesverbände gehen seit Jahrzehnten im interreligiösen und interkulturellen Bereich sehr aktiv über den reinen Dialog hinaus als gutes Vorbild voran“. Die Nachrichten aus der DITIB zum Rassismus gegen Türkeistämmige und die damit verbundene ‚Islamfeindschaft‘ dagegen sind sehr umfangreich.

Was nun?

Die hier geschilderten Einzelfälle von Antisemitismus reichen nicht aus, um an dieser Stelle einen institutionellen oder strukturellen Antisemitismus bei der DITIB zu konstatieren. Die indes immer wieder durch Einzelpersonen geäußerten Feindseligkeiten weisen auf ein Problemfeld hin, für das viele in der DITIB noch nicht hinreichend sensibilisiert worden zu sein scheinen. Darüber hinaus wirkt in die religiös-konservative Organisation der religiös motivierte islamistische Antisemitismus hinein – via Soziale Medien taucht er dann an der von außen einsehbaren Oberfläche auf. Jedenfalls lässt die von der DITIB realisierte Kommunikation darauf schließen, dass der Umgang mit antisemitischen Narrativen im Kreise der Gemeinschaften eindeutig aktiver und offensiver gestaltet werden muss, wenn dieses Phänomen wirksam angegangen werden soll. Es braucht eine innergemeindliche Auseinandersetzung mit Judenfeindschaft – auch mit ihren religiös motivierten und theologischen Spielarten. Die Selbstdarstellung der DITIB, man würde mit einem ‚guten Vorbild in Sachen Antisemitismusbekämpfung‘ vorangehen, deckt sich nicht mit den Recherchen. Bisher überwiegt die Darstellung, es handele sich bei den antisemitischen Aussagen von Vertretern und Mitgliedern um Einzelfälle, die nicht in Verbindung zu innerhalb der Religionsgemeinschaft vertretenen Ideologien stehen. Die Zeitung „Jungle World“ nannte die DITIB in einer Schlagzeile ironisch „Verband der Einzelfälle“.

Die DITIB kann sich nicht darauf zurückziehen, dass die Facebookseiten ihrer Gemeinden nicht zentral gesteuert werden und jeder Ortsverein juristisch eigenständig ist. Dennoch bemühe man sich, so zitiert die „Islamische Zeitung“ eine Pressemeldung der DITIB, „die jeweiligen Gemeinden über den richtigen Umgang mit sozialen Medien zu unterrichten“. Genau dies weist in die Irre: Nicht der ‚richtige‘ Umgang mit den Sozialen Medien ist hierbei zu erlernen, sondern das Erkennen eigener Judenfeindlichkeit. Eine Beurteilung von Antisemitismen in der DITIB führt letztlich immer auf das Diyanet und auf die türkische Regierungspolitik zurück – an jene ist der Verband in Deutschland gebunden. Somit ist der Antisemitismus der türkischen Regierung auch einer der DITIB.

Solange die DITIB die tatsächlichen Folgen ihrer institutionellen Gebundenheit ans Diyanet und an die türkische Regierungspolitik leugnet, erschwert ihr dies auch den kritischen Umgang mit eigenen Antisemitismen – vorausgesetzt, man hat ein Interesse an einer Auseinandersetzung damit. Dieses Leugnen ist Teil einer Unehrlichkeit, in der die DITIB mit der Gesellschaft kommuniziert. Und diese Fassade stellt sich auch vor lange entwickelte Narrative mit judenfeindlichen Botschaften. Diese Inhalte funktionieren, wenn sie nicht hinterfragt werden, wenn sie Räume verbal besetzen. Und man geht erfolgreich gegen sie vor, indem man eigene Vorstellungen und Vorurteile selbstkritisch durchleuchtet. Das geht nur mit Ehrlichkeit.

So gesehen steht die DITIB vor einer doppelten Herausforderung im Umgang mit Antisemitismus. Zum einen speist sie sich mit antisemitischen Stereotypen, welche ihre Überbauten Diyanet und türkische Regierung pflegen und vorgeben, und zum anderen verschleiert die DITIB auch noch diese Abhängigkeit und gibt eine offizielle Form vor. Genau diese tönerne Formalität ist ein Problem. Den Antisemitismus weist man abstrakt durch eine Pressemeldung von sich. Er kommt aber vom Freund in der Reihe neben mir, von der Tochter des Sekretärs oder vom Imam vorn.

Mitarbeit: Corry Guttstadt