Zeitenspiegel Reportagen

Politiker im Porträt 2013

Erschienen in "Das Parlament"

Von Autor Jan Rübel

Nach längerer Pause findet die Porträtreihe wieder ihre lose Fortsetzung: Bundestagsabgeordnete im Profil.

Das Parlament, 4. März 2013

Der Unaufgeregte: Anton Hofreiter

Anton Hofreiter ist verschnupft. Er seufzt, brummt: “Ich würde als Ausschussvorsitzender schon gern einen guten Draht zu Herrn Ramsauer haben, aber der Mann ist mir zu unstrukturiert.” Doch es kommt noch ärger. Der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen ist wirklich arg verschnupft, “ein grippaler Infekt”, auf den Tischen seines Büros liegen Vitamintabletten. Nur noch dieses Interview, dann werden alle weiteren Termine des Tages abgesagt und Hofreiter, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, wird sich hinlegen. Sein Ärger über den Bundesverkehrsminister verfliegt kaum, als sich sein Blick im Grün seiner vier Zimmerpflanzen verfängt. “Das ist der dunkelste Winter seit 50 Jahren”, sagt er. “Darunter leiden die auch.” Alle vier Pflanzen kann er bestimmen - immerhin ist der 43-Jährige promovierter Biologe, Fachgebiet Botanik.

Sein Engagement bei den Grünen liest sich wie in einem Bilderbuch. “Schon mit elf wusste ich, dass ich Biologie studieren wollte, trotz eines grauenhaften Schulunterrichts.” Die Bewunderung des Schönen und Komplexen der Natur - und die Notwendigkeit ihres Schutzes führten ihn zur Öko-Partei. Aber nicht nur: “Ebenso wichtig war für mich Sozialpolitik.” Beim Thema Mieten lässt er sich nicht lange bitten. Das jetzt vom Bundesrat beschlossene Mietrechtsänderungsgesetz bringt ihn auf Touren, Infekt hin oder her. “Die dort verankerte Sicherungsanordnung ist ein Schmarrn.” Nun sollen in einem laufenden Verfahren für die Miete Sicherheiten geleistet werden - um so genannten Mietnomaden einen Riegel vorzuschieben. “Da hat man für einen geringen Anteil von Fällen total tief ins Mietrecht eingegriffen”, regt er sich auf. Das Thema Mieten ist für Hofreiter ein Sorgenfaltentreiber. Sein Wahlkreis München-Land kennt horrende Mieten, einen anhaltenden Preisantrieb für Immobilien und steigenden Bedarf. “Die Immobilienpreise machen es für manche Einkommen fast unmöglich, einen passenden Wohnraum zu finden.” Der Bund solle den sozialen Wohnungsbau stärken, aber dafür sieht Hofreiter schwarz: “Ab 2019 wird dies wegen des in der Föderalismusreform verabschiedeten Kooperationsverbots eher schwieriger. Das ist ein schwerer Fehler - und ich sehe bisher keine guten Ideen, die ohne eine Verfassungsänderung auskommen würden.” Miete ist für ihn vor allem eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Früher, in den Achtzigern, verortete sich der junge Hofreiter bei den Grünen nicht links. “Ich bin geblieben wie ich war, nur ist die Partei teilweise in die vermeintlich realpolitische Richtung gewandert.” Und so pocht im “Umwelt-Toni” stets ein soziales Gewissen, eines, bei dem er nicht weiß, ob er für die Reformagenda 2010 und Hartz IV gestimmt hätte, wäre er schon vor 2005 in den Bundestag eingezogen. Hofreiter entstammt einer Arbeiterfamilie. Die Großväter waren Elektriker und Maurer, der Vater schaffte es über den zweiten Bildungsweg zum Ingenieur.

Als Hofreiter 2011 zum Ausschussvorsitzenden gewählt wurde, wunderten sich darüber nur jene, die ihn nicht kannten. Da waren diese langen Haare, der Vollbart - das erinnerte manche mehr an einen Sozialarbeiter im Jugendzentrum als an den Chef eines Legislativorgans. Anton Hofreiter zeigte Führungsstil. Er moderiert unaufgeregt und souverän, seine Bass-Stimme liebt kein eiliges Stakkato.

Fehlende Kompetenz hat ihm noch niemand vorgeworfen. “Ich versuche, neutral und objektiv zu agieren”, sagt er, und man erhält den Eindruck, er meint es auch so. “Und überhaupt, meine Frisur schafft einen Wiedererkennungswert, das ist im Berliner Politikbetrieb von Vorteil.”So ein richtiger Revoluzzer ist er wohl nicht. Von seinem Büro im Erdgeschoss des Paul-Löbe-Hauses ginge es in einen schmucken Garten aus Hecken und wohl sortierten Steinen, “im Sommer denken wir schon mal daran, dort zu grillen und ein Bier zu zapfen”, sagt er, aber es “ginge” eben nur nach draußen. “Die Verwaltung hat das wohl verboten”, meint er achselzuckend und in vorauseilendem Gehorsam. Bleibt nur die Pflege drinnen von Wachsblume und Hibiskus.

Das Parlament, 4. Februar 2013

Die Pragmatikerin: Susanne Kastner

Bevor Susanne Kastner etwas über die Bundeswehr sagt, nimmt sie erst einmal einen tiefen Schluck Bionade. Das Getränk wird in ihrem Wahlkreis produziert, und das vergisst sie nicht vorauszuschicken. Ach ja, der neue Wehrbericht: “Die Sprache hat mich etwas überrascht.” Ja, die Bundeswehr sei immer noch familienunfreundlich, aber dass zum Beispiel die Soldaten zu wenig Schlaf kriegen würden, “das teile ich so nicht uneingeschränkt”. Susanne Kastner, 66, SPD-Abgeordnete aus dem Wahlkreis Bad Kissingen legt ihre Arme über den braunen Hosenanzug ineinander. Sie denkt nach, bevor sie spricht. Dann beugt sie sich nach vorn. So sei es halt. “Die Bundeswehrreform wurde verkehrt herum aufgezäumt. Man hätte erst einmal definieren sollen: Was muss die Bundeswehr können?”

Seit 2009 steht sie dem Verteidigungsausschuss des Bundestags vor: “Ich wurde anfangs als notwendiges Übel angesehen” - eine Frau, dazu gelernte Erzieherin und Religionslehrerin, unter grimmigen Grauröcken? Sie schmunzelt. “Ach, beides ist nicht weit voneinander entfernt. Hat ja alles mit jungen Leuten zu tun.” Damals, vor vier Jahren, musste eine neue Aufgabe her für die verdiente Streiterin des konservativen Seeheimer-Kreis-Flügels in der SPD, die einmal als Parlamentarische Geschäftsführerin die Fraktion mit zusammenhielt und von 2002 bis 2009 als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages wirkte - bis sie dann eine Kampfabstimmung gegen Wolfgang Thierse verlor.

Eine Novizin in Sachen Streitkräfte war sie indes nicht. Gleich 1989 mit dem Einzug in den Bundestag ging die Unterfränkin als Mitglied in den Verteidigungsausschuss, in ihrem Wahlkreis hatte sie vier Standorte der Bundeswehr, “für die wollte ich etwas tun”. Den Respekt ihrer Kollegen erarbeitete sich die Vorsitzende, auch wenn der Verteidigungsausschuss zu jenen Stationen gehören dürfte, an die sie sich weniger gern erinnern wird. “Gleich zu Beginn meines Vorsitzes 2009 gab es den Untersuchungsausschuss. Das ging körperlich und menschlich ziemlich an die Substanz.” Kastner wirkt kräftig und zierlich zugleich, sie kann austeilen. Sie stand Wolfgang Clement im parteiinternen Streit bei und giftete gegen Andrea Ypsilantis Kurs in Hessen. Aber eigentlich, sagt sie, bevorzuge sie die “sanfte Keule”. Wie damals, als sie mit Parlamentariern Djibuti und Südsudan besuchte, auf dem Programm vor Ort aber den Titel vorfand: “Reise des Wehrbeauftragten und der Obleute” - ein Affront gegen die Ausschussvorsitzende. “Dann fragte ich: ?Wann geht mein Flug zurück?’” Und die Herren in den Tarnfarben wurden rot. Einen Verdrängungsmechanismus vermutet sie hier. Bundeswehr, das sei ein Männerverein, “das muss man wissen”. Die Butter vom Brot jedenfalls lässt sie sich schon lange nicht mehr nehmen.

Als die Tochter einer höheren Beamtenfamilie Abitur machen wollte, meinte ihr Vater, ein CSU-Mitglied, die Töchter würden eh heiraten, da brauche man lieber eine ordentliche Ausbildung. Kastner wurde Erzieherin, heiratete mit 21 und bekam drei Kinder. Und beschritt den zweiten Bildungsweg. Mit 29 begann sie ihr Studium an der Religionspädagogischen Hochschule in Nürnberg.

Etwas beruhigt an Susanne Kastner, wenn sie einem gegenüber sitzt. Diese entspannte Körperhaltung, das Wiegen des Kopfes beim Rollen ihres fränkischen “Rrrr” - sie scheint mit sich im Reinen zu sein. Dieses Jahr noch, dann ist Schluss. “Ich will nicht mit den Beinen zuerst rausgetragen werden aus dem Bundestag”, hat sie einmal gesagt. Was kommen mag? “Ich warte auf kreative Ideen”, sagt sie. Und sie freut sich drauf. .

Kastner ist vollkommene Pragmatikerin. Auf die Frage nach ihrem politischen Vermächtnis fallen ihr ein Autobahntunnel und eine Ortsumgehung ein. Ideale, gar Ideologie? “Politik verstehe ich als Dienstleistung. Wir sind von Menschen für Menschen gewählt worden.” Dahinter erscheint eine Hartnäckigkeit. Ein liebevoller Starrsinn, mit dem Kastner in der Welt der Streitkräfte ihre Frau gestanden haben wird.