Zeitenspiegel Reportagen

Das junge Gesicht des Konservatismus

Erschienen in "Neue Zürcher Zeitung", 3. Februar 2015

Von Autor Jan Rübel

Die Junge Alternative arbeitet am Comeback des Konservatismus in Deutschland. Die Selbstfindung ist ein Kampf – die Argumente sind manchmal selbst der Mutterpartei AfD nicht ganz geheuer.

Als sich die Konservativen in Berlin zur Revolution aufmachen, in einer Seitenstrasse des prächtigen Kurfürstendamm, stehen sie erst einmal Schlange. Ein Ordner hilft den Damen aus ihren Mänteln, man nickt sich zu und schreitet in den Saal der «Bibliothek des Konservatismus». Rund 60 000 Bände hat eine Stiftung hier zusammengebracht. Heute liest niemand in Büchern. Die «Alternative für Deutschland» (AfD) und ihre Jugendorganisation «Junge Alternative» (JA) haben zu einem internen Vortrag geladen: Was ist liberal und was konservativ – und wie soll für die AfD der Weg an die Macht aussehen?

Flügelkämpfe

«Es geht in der Politik darum, grosse Blumentöpfe zu gewinnen», belehrt sie Karlheinz Weissmann, eine intellektuelle Führungsfigur der deutschen Konservativen. Um diese war es in den vergangenen Jahren nicht gut bestellt: Die CDU rückt stetig nach links, und rechts davon erstreckt sich unbebautes Terrain. Nach langer Wegstrecke dort steckt die NPD ihr Revier ab. Deren Mitglieder sind aber nicht konservativ, die NPD ist die Partei der Neonazis. Konservative Stimmen fristen ein Nischendasein, sie waren immer da. Aber man hörte sie nicht. Doch plötzlich gibt es die AfD und die Massenproteste von «Pegida». Und was es mit den Blumentöpfen auf sich hat, führt Weissmann, 56, drahtig, graumeliert-wuchtiger Seitenscheitel, näher aus: «Wenn Sie da rausgehen und Politik machen, geht es um Praktisches.» Die Erschwerung der Ehescheidung zum Beispiel sei sein Lieblingsthema, «aber von solch einer Forderung auf dem Bundesparteitag würde ich Ihnen abraten, das ist unter den gegebenen Umständen nicht politisch transportierbar.»

Weissmann und die 30 Zuhörer wissen, dass sich für die AfD eine historische Chance auftut. Im Herbst 2012 als Bürgerinitiative gegen den Euro gegründet, ist sie mittlerweile ins Europaparlament und in mehrere Landtage eingezogen, mischt das Parteiensystem auf. Für die AfD bildet sich im Schatten der vermeintlich islamkritischen, in Wirklichkeit einwanderungskritischen Pegida-Proteste ein Milieu heraus, zu dem die anderen Parteien keinen Zugang haben. Sie macht sich daran, den leeren Platz zwischen Union und NPD in Deutschland zu besetzen. Bloss: Wohin genau in diesem weiten Feld? Der linkere liberale und der rechte nationalkonservative Flügel führen derzeit einen Machtkampf. Der Sieg entscheidet darüber, ob sich in Deutschland eine Art marktliberale Honoratiorenpartei etabliert, eine Art SVP oder gar ein «Front National» wie es ihn in Frankreich gibt. Beim Vortrag in der ersten Reihe sitzen drei junge Männer – Vertreter der Jugendorganisation JA. Wohin sie sich die AfD wünschen, verdeutlicht einer von ihnen später in einer Kneipe nebenan. «Wir brauchen eine Partei, die gesunden Patriotismus und Stolz auf das Land vermittelt», sagt Manuel Schmidt. Er ist 22 Jahre alt und Vizevorsitzender der JA Berlin. Wer ein Zugehörigkeitsgefühl habe, der achte mehr auf die Mitglieder der Gemeinschaft, des Volkes. Wer alles dazu gehört, ist so eine Sache. «Man kann nicht gleichzeitig deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft sein», sagt er, «es schlagen nicht zwei Herzen in einer Brust». Im internen Richtungsstreit der AfD prescht die JA nach vorn. Es sind vor allem die Jungen, die sich in der Partei für einen nationalkonservativen Kurs einsetzen und den liberalen Führungszirkel um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel unter Druck setzen. Wer sind diese jungen Männer, die für die Renaissance einer alten und für todkrank gehaltenen Weltanschauung stehen?

Die Büros des brandenburgischen Landtags in Potsdam sind schneeweiss. Die Fassade des ein Jahr alten Parlaments, ein Nachbau des alten Stadtschlosses, steht ganz im Stile des friderizianischen Rokokos. Innen kontrastieren die langen Flure mit Glastüren und Räumen wie Bienenwaben in ihrer Funktionalität. Jean-Pascal Hohm gefällt dieses stumme Zwiegespräch zweier Zeiten. «Es erinnert uns an unsere preussische Geschichte rund um Friedrich dem Grossen und Otto von Bismarck.» Es werde zu wenig an die positiven Etappen der deutschen Geschichte erinnert, sagt er. Jean-Pascal Hohm, Vorsitzender des JA-Landesverbands in Brandenburg, jobbt als Schüler in der AfD-Landtagsfraktion, ist «Mädchen für alles» in der Arbeitsorganisation. Er lehnt sich an den Bürotisch, darauf eine Kaffeetasse mit dem Logo der «Jungen Freiheit», einer nationalkonservativen Wochenzeitung, und das Buch Thilo Sarrazins «Deutschland schafft sich ab». «Bevor ich bei AfD und JA eintrat, sehnte ich mich nach einer patriotischen Linken.» Er habe mal bei der Linkspartei reingeschaut, aber die DDR-Vergangenheit der Partei im Osten und die «gewaltbereiten Antifaschisten» im Westen hätten ihn gestört. Jean-Pascal Hohm ist 17. In der Zeit seiner politischen Bewusstseinswerdung gab es bisher nur Angela Merkel als Kanzlerin. «Ich würde eher die Linkspartei wählen, bevor ich mein Kreuz bei der CDU mache», sagt er. Ausserdem herrsche in der CDU eine reine Abnick-Kultur. Ein Grundpfeiler des JA-Programms ist die Forderung nach Volksentscheiden nach dem Vorbild der Schweiz. Die Jungen mögen zwar Hierarchie und Ordnung. Aber mitreden wollen sie auch.

An seinem Schreibtisch ordnet Hohm Antragspapiere für die einzelnen AfD-Abgeordneten, legt akkurat Stapel neben Stapel. «Natürlich sehe ich die Gefahr einer Islamisierung in Deutschland», sagt er. «Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Die Geburtenrate von Muslimen ist höher als die eines Christen, Juden oder Atheisten. Ich will nicht, dass dadurch Parallelgesellschaften entstehen und unsere abendländische Kultur mit der Zeit verdrängt wird.»

Das Gespräch strandet an einem toten Punkt, einer Argumentationskette voller Löcher. Geburtenrate, Parallelgesellschaften, Abendland? Glaubt er das? «Das ist eine Exponentialrechnung. In einigen Jahrzehnten könnte es kippen.» Die Demoskopen schätzen für Deutschland einen Anteil von fünf Prozent Muslimen an der Gesamtbevölkerung. Und das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat festgestellt, dass sich alle Migrantengruppen bei den Geburtenzahlen der deutschen Bevölkerung anpassen.

Ost gegen West

Die JA jedenfalls wächst, jede Woche zähle der Brandenburger Landesverband neue Mitglieder, sagt Hohm. Die Zukunft der AfD sieht er nicht im Dasein reiner Anti-Euro-Partei, sondern mit sozialer Ausrichtung als Volkspartei – für Deutsche. Woher kommt die Sehnsucht nach Solidarität, die Verschmelzung mit nationalistischer Ideologie und dem Ausgrenzen Anderer?

Hagen Weiss sticht etwas missmutig in ein Schnitzel. «Über Jahrzehnte durften die Ostdeutschen kein Wort über Patriotismus verlieren. Dadurch hat sich ein Nachholbedarf aufgestaut, der sich jetzt auch gelegentlich in Übertreibungen äussert.» Weiss ist 22, er sitzt im Bundesvorstand der JA und nutzt die Mittagspause des JA-Bundeskongresses in Bottrop für einen Happen. Er und seine Freunde am Tisch kommen aus Nordrhein-Westfalen (NRW). In der JA tobt ein Kulturkampf, ähnlich wie bei der AfD. Zwar insgesamt konservativer als die Mutterpartei, streiten auch hier zwei Flügel: Auf der einen Seite die West-Landesverbände, sie haben die JA gegründet und stehen an der Seite Luckes. Und auf der anderen Seite die Verbände Ostdeutschlands gemeinsam mit Baden-Württemberg, welche die JA auf einen nationalistischen Kurs trimmen wollen. Aus den Westverbänden Bayern, NRW und Baden-Württemberg kommen zwei Drittel aller Mitglieder. Noch ist die JA in den Händen der «Gemässigten» wie Hagen Weiss. Aber die Konservativen planen heute den Durchmarsch. «Der rechte Flügel ist gut organisiert, da kommt es zum Showdown», meint Weiss.

Schwerer Stand für Lucke

Der Bundeskongress ist kein Delegiertenparteitag, alle anwesenden Mitglieder sind stimmberechtigt. «Bitte tragt keine Krawatten!», heisst es im Einladungsschreiben des Bundesvorstands. «Bitte tragt am ersten Tag nach Möglichkeit ein weisses Oberteil/Hemd.» Einer hält sich nicht an die Kleiderordnung. In feinem Zwirn und hellblauer Binde eilt Bernd Lucke zur Begrüssungsrede zum Podium, reisst beide Arme hoch, als wolle er zum Aufstehen bewegen; doch mindestens ein Drittel der JA-Mitglieder bleibt sitzen und verweigert den Applaus. Es ist kein leichter Gang für den AfD-Gründer und Parteisprecher. Bisher hatte er die JA gemieden. Zu rechts ist sie ihm. «Lassen Sie uns verbal abrüsten», ruft er den Jungen zu, «ich sehe keine Gefahr der Islamisierung.» Hinter ihm thronen drei Plakate mit Frauen auf der Bühne. Im Saal dagegen sind es wenige: Von den 700 Mitgliedern sind nur zehn Prozent Frauen, und noch weniger sind heute erschienen. Zum Abschied erhält Bernd Lucke, gemeinsam mit anderen offiziellen AfD-Vertretern, vom JA-Tagungspräsidium je eine Pralinenschachtel, «für die Ehefrauen, damit die sich nicht ärgern, wenn Sie immer so spät nach Hause kommen».

Plötzlich kommt Unruhe auf. Aus dem rechten Lager kommt der Antrag, die Vorstandswahlen vorzuziehen - auf dem Podium wird vor einer «Lastwagen-Demokratie» gewarnt – der zum rechten Flügel gehörende baden-württembergische Landesverband hat heute mit einem Bus viele Mitglieder für die Fahrt nach Bottrop mobilisiert. Wütende Zwischenrufe. Das Stimmengewirr wächst zu einem Tumult.

Am Rande des Saales lehnt sich Thorsten Weiss lässig ans Geländer. Morgen will er als Vertreter des rechten Flügels für den Vize-Bundesvorsitz kandidieren. „Die Wahl vorziehen zu wollen, macht zwar Sinn wegen der knappen Zeit, die auf solch einem Bundeskongress zur Verfügung steht. Dies so kurzfristig zu beantragen, ist aber unglücklich“, sagt er. „Diese Initiative hat mich überrascht.“ Thorsten Weiss, 31, ist JA-Landeschef in Berlin, der ehemalige Offizier in der Bundeswehr studiert Betriebswirtschaftslehre. Als Schüler war er mal in der Jugendorganisation der CDU. Und seufzt. „Politik ist halt Politik.“

Dann schreitet ein junger Mann mit kurzen Haaren zum Saalmikro. Er stellt einen Abwahlantrag gegen ein Mitglied der Tagungsleitung, «weil er kein Volljurist ist». Es ist Benjamin Nolte, er trat vor einem Jahr als Vize-Bundesvorsitzender der JA zurück; wegen der Berichte über seine Mitgliedschaft in der Münchener Burschenschaft Danubia, welche der Bayerische Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft – und wegen eines Eklats, den er 2009 ausgelöst hatte. Damals hatte er während eines Burschenschaftstreffens den Mitgliedern eines anderen Bundes, der einen Dunkelhäutigen in seinen Reihen hat, eine Banane hingehalten. Sein Spitzname bis heute: «Bananen-Nolte». Der Abwahlantrag scheitert, das Präsidiumsmitglied tritt trotzdem zurück; der Wunsch nach vorgezogener Wahl kommt doch nicht zur Abstimmung, der Antragsteller sagt: «Das nehme ich zurück, das ist entartet» – und erntet Buhrufe für seinen Nazi-Jargon.

Am nächsten Tag dann die Wahlen. Markus Frohnmaier aus Tübingen, 23, tritt für den rechten Flügel als Spitzenkandidat an. Er ist ein quirliger Netzwerker, in seiner Bewerbungsrede ruft er, AfD und JA würden «nicht an Deutschland leiden, sondern mit Deutschland und wenn es sein muss, auch für Deutschland». Philipp Meyer, Kandidat der «Gemässigten», dagegen ist unbekannt. Trotz des blassen Auftritts setzt er sich mit 105 zu 93 Stimmen durch; das Establishment hat knapp sein Revier verteidigt.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Zwei Wochen später sitzt Thorsten Weiss in Berlin im «Bavarian», das bayerische Lokal im Keller des Europacenters unweit vom Bahnhof Zoo versprüht holzgetäfelten Charme gegen den Waschbeton rundum. Auf den Bundeskongress in Bottrop ist Thorsten Weiss schlecht zu sprechen. Nach der Niederlage seines Frontmannes Markus Frohnmaier hatte er seine Kandidatur zurückgezogen. «Ich weiss ja gar nicht, wofür Philipp Meyer steht.» Thorsten Weiss streicht sich über den gepflegten Dreitagebart. Er sagt, auf eine Partei wie die AfD habe er lange gewartet.

Manuel Schmidt, Jean-Pascal Hohm, Thorsten Weiss – sie alle träumen von einer AfD, die als Volkspartei irgendwann CDU und CSU als Juniorpartnerinnen in eine Koalition zwingt. Die nicht nur wertkonservativ, sondern stramm nationalkonservativ ist.

Wie das gelingen könnte, skizziert Karlheinz Weissmann seinen Zuhörern beim Vortrag in der «Bibliothek des Konservatismus». Der Doyen der Neuen Rechten in Deutschland hält das Mikro ganz nah am Mund. «Die FDP hatte ihre grössten Zeiten in den Vierzigern und Fünfzigern», deutet er an, «als sie noch einen nationalen Charakter hatte». Damals forderte eine nationalistische FDP auf Plakaten «Schluss mit Entnazifizierung, Entrechtung und Entmündigung» der Deutschen. In zähen Machtkämpfen verlor der rechte Flügel an Kraft, die FDP wurde liberal. Nun, so scheint es, ist dieser rechte Flügel wieder da, als wäre er nie weg gewesen.