Zeitenspiegel Reportagen

Der Kampf der Nuba

Erschienen in "Playboy", November 2011

Von Fotograf Carsten Stormer und Autor Carsten Stormer

Abseits der Weltöffentlichkeit tobt einer der vielen vergessenen Bürgerkriege Afrikas. Im Sudan bekämpft die Regierung in der Provinz Südkordofan die eigene Bevölkerung mit äußerster Brutalität. Unser Reporter hat sich illegal bis an die Front durchgeschlagen und berichtet vom verzweifelten Kampf der Nuba-Rebellen gegen einen militärisch überlegenen Gegner.

Nur im Flug herrscht für einen Moment Ruhe. Dann ziehen die Erdanziehungskräfte den Pick-Up wieder hinab zur Schotterpiste, wo alles an mir rüttelt, als hielte ich einen Presslufthammer mit beiden Händen – bis das nächste Schlagloch den Wagen mit neunzig Sachen wieder sanft in die Lüfte hebt. So geht das schon seit zwei Stunden, hier in der sudanesischen Trockensavanne: links und rechts der Straße Hirsefelder, menschenleere Dörfer und zerschossene Rundhütten. Ängstliche Blicke meiner Mitfahrer. Auf der Ladefläche des Geländewagens sitzen Rebellen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), Patronengürtel um die Brust geschlungen, die Augen in den Himmel gerichtet. Ein dürrer Mann im khakifarbenen Drillich des Buschkämpfers steht an einem Maschinengewehr, die Rebellen haben es ans Chassis geschweißt, und nun stemmt er sich gegen die Fahrtwind. Vor der Abfahrt haben wir alle das Fahrzeug mit Schlamm beschmiert, damit der Lack die Sonne nicht reflektiert.

Die Handflächen sind feucht. Meine Finger verkrallen sich in das Sitzpolster des Beifahrersitzes. Schweigend brettern wir durch die Provinz Südkordofan, dem Kriegsgebiet im Hinterhof des Sudans. Ich schließe die Augen und hoffe, dass alles gut geht. Es sind nur drei Kilometer, die den sicheren Busch mit der Front verbinden, über offenes Feld. Den ganzen Tag aber schon kreisen die russischen Antonov-Flugzeuge der sudanesischen Luftwaffe über der Front. Ich höre die explodierenden Bomben und sehe an Berghängen Rauch aufsteigen. Der Geländewagen gibt aus der Luft ein gutes Ziel ab; ich fühle mich wie ein Kaninchen im Scheinwerferkegel eines Autos; hilflos, ausgeliefert, ängstlich. Sekunden werden zu Minuten, Minuten zu Stunden. Die Zeit vertröpfelt unendlich langsam. Ich sitze eingequetscht in der Fahrerkabine einer rollenden Zielscheibe. Die Luft klebt am Körper, Schweiß läuft in meine Augen.

Im Windschatten der Weltöffentlichkeit führt die sudanesische Regierung seit Anfang Juni Krieg gegen die Zivilbevölkerung in den Nuba-Bergen der Provinz Südkordofan. Die sudanesische Luftwaffe bombardiert wahllos Dörfer, Märkte, Wasserlöcher und die Stellungen der Sudanesischen Befreiungsarmee (SPLA). Flüchtlinge berichten von ethnischen Säuberungen. Hunderte starben bei diesen Angriffen. Über 200.000 Menschen, so schätzen die Vereinten Nationen, flohen aus ihren Dörfern und Siedlungen aus der Tiefebene in die Berge, wo sie Schutz in Höhlen und Felsspalten suchen. Hier oben erzählen sie sich von den arabischen Milizen, die nach den Bombenangriffen auf Kamelen und Motorrädern in die Dörfer kamen, die Menschen töteten, das Vieh und die Nahrungsvorräte stahlen, Kinder entführten und die Hütten der Bewohner nieder brannten. Aus der von Regierungstruppen gehaltenen Provinzhauptstadt Kadugli dringen Berichte von Exekutionen an Zivilisten; Satellitenbilder zeugen von Massengräbern. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch warnen, der Konflikt könnte zu einem neuen Darfur ausarten. Die Vereinten Nationen wollen prüfen, ob die sudanesische Armee in Südkordofan Kriegsverbrechen begeht.

Es war nicht leicht, in diese Gegend zu kommen. Denn Südkordofan ist abgeriegelt von der Außenwelt, belagert von sudanesischen Truppen wie eine mittelalterliche Festung. Hinter mir liegt eine abenteuerliche Odyssee durch halb Ostafrika, die in einem Dschungelkaff am Nil begann und auf einer Schlammpiste in Südkordofan endete; illegal und ohne Visum. Ein Kette rauchender Pilot einer klapprigen Propellermaschine, der nicht viele Fragen stellte, hat mich in den Busch geflogen. Zwei Stunden holperten wir durch Wolkenburgen, im Gepäck die ständige Sorge, dass uns sudanesisches Radar aufschnappt. Einen anderen Weg gibt es nicht, denn die sudanesische Regierung verweigert Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen den Zugang, die Friedensmission der Vereinten Nationen (UNMIS) wurde vor die Tür gesetzt.

Acht Tage lang reiste ich durch einen Landstrich, aus dem der Krieg fast alle Menschen gespült hat; und von dem die Welt kaum Notiz nimmt. In dieser Zeit habe ich Luftangriffe sudanesischer Bomber beobachtet und hunderte Flüchtlinge in ihren Verstecken in den Höhlen der Nuba-Berge aufgesucht, die ohne Hoffnung und mit kaum noch Nahrung einer ungewissen Zukunft entgegenblicken. Ich besuchte den letzten Arzt des einzigen Krankenhauses von Südkordofan und sah dort die traumatisierten Kriegsopfer: amputierte Kinder, Männer, die auf Minen getreten sind, Frauen mit schlimmen Brandwunden. Ich kroch mit Dorfbewohnern in Erdlöcher, während Bomber über uns hinweg flogen. Nachts schlafe ich unruhig. Ein Mann, der mir seine Hütte überließ, hat daneben eine Grube ausgehoben. Da soll ich hineinspringen, wenn ich nachts die Bomber höre. Alltag in Südkordofan.

Und jetzt befinde ich mich an der Front, wo eine schlecht ausgerüstete Rebellenarmee in Lumpen und zerfetzten Uniformen sich der sudanesischen Armee entgegen wirft.

Die aufmüpfigen Nuba sind schon lange ein Dorn im Auge der Machthaber in Khartum. Erst kämpften sie während des sudanesischen Bürgerkriegs auf Seiten der südsudanesischen Rebellen der SPLA gegen die Regierung und den Alptraum aus bewaffneten Überfällen, Verschleppungen und Bombardierungen. Dann forderten sie Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und lehnten die Scharia ab. Ein 2005 geschlossenes Friedensabkommen endete dieses Jahr mit der Unabhängigkeit Südsudans, Südkordofan blieb indes Teil des Sudans. Im Mai dieses Jahres sahen die Nuba die letzte Chance, politisch ihre Rechte einzufordern. In Südkordofan sollte ein neuer Gouverneur gewählt werden. Es gab so gut wie keine internationalen Wahlbeobachter, nach der Wahl erklärten beide Seiten, die Wahlen gewonnen zu haben, und die Regierung in Khartum schob Ahmed Haroun ins Amt; ein Mann, dem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Kriegsverbrechen in Darfur vorwirft. Der Krieg begann.

Seit dem Beginn der Regenzeit vor ein paar Wochen köchelt der Krieg vorerst auf Sparflamme. Der Regen hat die sandigen Pisten in einen schlammigen Morast verwandelt, immer wieder bleiben die Geländewagen stecken. Es ist ein langer und beschwerlicher Weg an die Front, vorbei an verlassenen Dörfern, menschenleeren Hütten und Checkpoints der SPLA. Es ist später Nachmittag, als wir das Lager der Rebellen erreichen. Unter Akazien stehen vier Panzer, T-55, russische Modelle. Im Schatten des Baumes spielen junge Männer mit grauen Gesichtern Domino, andere reinigen Kalaschnikows oder schrauben Granaten in Panzerfäuste. Ich habe von einem Rebellengeneral die Erlaubnis bekommen, die Front zu besuchen. Im Gegenzug für fünf Liter Diesel hat er mir ein Fahrzeug, Fahrer und Geleitschutz zur Verfügung gestellt. Diesel ist knapp, wie alles hier, auch deshalb kommen die Rebellen im Augenblick nicht vom Fleck. Mensch und Material als Nachschub für den Krieg bleiben oft im Morast stecken. Der Krieg hat sich festgefahren. Und hier an der Front von Alhamra, wenige Kilometer von der Provinzhauptstadt Kadugli entfernt, haben sich Rebellen und Regierungssoldaten eingegraben und liefern sich täglich Scharmützel.

Als die Schotterpiste unseren Pick-Up wieder freigibt und ich unangemeldet ins Rebellenlager purzele, schwenke ich zur Vorsicht meine Kamera über dem Kopf. „Khawaja! Khawaja!“ ruft jemand, der Ausdruck für Ausländer oder Weißer Mann, und es hört sich nicht so an, als würde man sich über meinen Besuch freuen. Statt in offene Arme zu laufen, blicke ich in die Mündungen von Sturmgewehren und leere Augen von Menschen, die mich in einer fremden Sprache anbrüllen. Ich bin umringt von bewaffneten Männern. Ich taumele ein paar Schritte rückwärts, rufe Sahafi! Sahafi! Journalist! Journalist!, und werde wieder nach vorne geschubst. „Was willst Du hier, Khawaja? Wer bist du?“, fragt ein Mann wie ein Baum und rammt mir seinen Zeigefinger in die Schulter. Bevor ich antworten kann, springt mein Begleiter Kumi John herbei, den alle nur Moskito rufen, weil er so dünn ist. Ein schmächtiges Männchen mit dürren Armen und Beinen – und der so ziemlich jeden in dieser Gegend kennt. Seit einer Woche reisen wir zusammen, Moskito ist meine gute Fee, Übersetzer, Organisator – und Retter. Als die Männer Moskito erblicken, entspannen sich ihre Gesichtszüge ein bisschen; aber mich mustern sie immer noch misstrauisch. Moskito redet eine Weile mit dem Anführer, dann kommen beide auf mich zu und der Riese klopft mir mit seinen Pranken auf die Schulter. „Ach so, ein Journalist!“ Warum ich das denn nicht gleich gesagt hätte. Er dreht sich um zu seinen Männern, zeigt mit dem Finger auf mich und sagt so laut, dass es jeder hören kann, dass man einen Journalisten zu Besuch habe. „Wir dachten, du bist vielleicht ein Spion des Nordens.“ Ich ringe mir ein Grinsen ab.

Anspannung weicht Gelassenheit. Rebellen, die mich eben noch mit Mordlust in den Augen angestarrt haben, verwandeln sich plötzlich in verspielte Kinder, posieren mit ihren Waffen in Rambomanier, klettern auf Panzer, johlen, lachen, flexen ihre Muskeln und rufen im Chor: „SPLA! SPLA! SPLA! Ich muss jeden einzelnen fotografieren, danach sind wir die besten Freunde. Ein junger Mann, fast noch ein Knirps, kommt angerannt und hechelt, dass ich ihn noch nicht geknipst habe. Also gut. Er stellt sich auf einen Panzer neben seine Kameraden und stemmt seine Panzerfaust in die Hüfte. Klick.

Danach erlöst mich der Riese und zieht mich sanft fort. Er heißt Abud Andraus, ist Oberleutnant in der Rebellenarmee und Kommandeur dieser wilden Truppe, die auf den Panzern herum turnt. Er gehört zum Volk der Nuba; Bauern und Viehhirten, Christen und Moslems, bekannt für ihre religiöse und kulturelle Toleranz. Schwarzafrikaner. Durch die sudanesische Provinz Südkordofan verläuft eine unsichtbare Grenze: Hier stößt sich der arabischstämmige Norden des Sudan am schwarzafrikanischen Süden. Verschiedene Kulturen, Traditionen und Rituale prallen aufeinander. Jahrhunderte sahen die Araber die Nuba als primitiv und Menschen dritter Klasse. Südkordofan ist eine Region, die der Zeit hinterherhinkt, um die der Fortschritt einen großen Bogen macht. Es gibt kaum geteerte Straßen oder Krankenhäuser, in den wenigen Schulen werden die Lehrer nicht bezahlt, Wasser kommt aus schlammigen Brunnen, Elektrizität, wenn überhaupt, aus Generatoren.

Seit zwei Monaten liegen Oberleutnant Abud Andraus und seine 350 Kämpfer hier an der Front, ein paar Gehminuten von den Schützengräben der Regierungstruppen entfernt. Gefallene? Verwundete? Darüber möchte er lieber nicht sprechen. Es seien viele gewesen, die gestorben sind, auf beiden Seiten. Aber warum über den Tod sprechen? Lieber redet er vom Sieg, der, da ist er sich sicher, kommen wird. Irgendwann, In’schallah. So Gott will. Denn jetzt in der Regenzeit beschnuppere man sich nur an der Front. Viel mehr könne man nicht machen. „Mit dem Beginn der Trockenzeit im Oktober beginnt der Krieg richtig.“ Er klingt nicht traurig. Der Feind sei zwar besser ausgerüstet, mit Bombern, Kampfflugzeugen, Hubschraubern und Artillerie. „Dafür haben wir mehr Erfahrung und kämpfen für unsere Freiheit.“

Der Kommandeur führt mich durchs vor zwei Monaten aufgeschlagene Lager, sie nennen es„Heimat“: eine Ansammlung aus windschiefen Hütten, die kaum Schutz vor dem Regen bieten, eingerahmt von Hirsefeldern, den Nuba-Bergen und einer zerschossenen Moschee; keine Latrinen, kein Strom, Wasser kommt aus einem schlammigen Loch. Das Leben im Lager besteht aus Patrouillen laufen und Zeit totschlagen. Und dem Wiederkäuen ihrer Heldentaten, ständig mit neuen Details und Anekdoten angereichert. So pushen sie sich gegenseitig Mut zu. Im Juni habe man einen Hubschrauber abgeschossen, vor drei Wochen vier Panzer im Gefecht erobert.

„Moses, komm mal her“, bellt Abud Andraus und aus dem Schatten eines Baumes löst sich ein Glatzkopf mit Spiegelbrille und blauen Badelatschen. Einer der Männer, die mir vorhin ihr Gewehr unter die Nase gehalten haben. Während Oberleutnant Andraus die Panzergeschichte in blumigen Worten erzählt, scharrt Moses schüchtern mit seinen Füßen im Staub. Na ja, das sei schon ein Erfolg gewesen, sagt Moses mit leiser Stimme. „Aber wir haben keinen Treibstoff, um die Panzer zu fahren, und kaum noch Munition.“ Egal! Sein Vorgesetzter klopft ihm zweimal kräftig auf die Schulter, Moses salutiert und verschwindet dann wieder im Schatten des Baumes. An der linken Seite des Panzers klebt getrocknetes Blut.

Mohammed Ali sitzt unter einer Akazie und schaut verängstigt in seine Welt, die er nicht mehr versteht. Neben ihm lehnt ein Junge am Panzer, blättert in der Bedienungsanleitung eines Granatwerfers und kratzt sich den Kopf. Mohammed ist 24 Jahre alt, schmal wie eine Birke, er blinzelt aus müden Augen in die Abendsonne, blickt hinüber zur Gruppe Rebellen, die lachend Domino spielen und sich feixend in die Rippen boxen, die Panzerfäuste und Kalschnikovs immer griffbereit. Sie beachten Mohammed nicht. Für sie ist er ein Niemand, sie wollen nichts mit ihm zu tun haben. Er ist ein geduldeter Gast, mehr nicht, aber sie misstrauen ihm, obwohl er ein Nuba ist, einer von ihnen. Aber Mohammed Ali war drei Jahre lang Gefreiter in der sudanesischen Armee, bis der Krieg begann. Seine Lider zittern, er schließt die Augen, als wolle er die Gegenwart und die Vergangenheit ausblenden.

„Ich will nie wieder kämpfen“, sagt Mohammed. „Nie wieder!“ Und dann berichtet er von diesen Tagen im Juli in Kadugli, der Provinzhauptstadt Südkordofans, in der er mit seiner Einheit stationiert war. Seit Beginn der Kämpfe mieden ihn seine Kameraden, ihn, den Schwarzafrikaner. Verräter, hörte er sie hinter seinem Rücken tuscheln. Oder Spion, weil sie glaubten, dass er den Rebellen Informationen zuschanze. An einem Donnerstag im Juli erhielt seine Einheit den Auftrag, zum Quartier der Friedensmission der Vereinten Nationen (UNMIS) zu fahren. Sie hatten eine Liste mit Namen von Leuten, allesamt Nuba, die dort arbeiteten. Man brauche Arbeitskräfte, sagten die Soldaten. Die ägyptischen UN-Soldaten glaubten ihnen. Mohammed fuhr den Lkw, auf dem die acht Männer transportiert wurden. Im Niemandsland der Savanne, außerhalb Kaduglis, in der Nähe des Dorfes Alshire, mussten sie aussteigen, bewacht von bewaffneten Männern, und eine Grube schaufeln. Dann band man ihnen die Hände auf den Rücken und ein Tuch um ihre Augen und erschoss sie. Als seine arabischen Kameraden wenige Tage später damit begannen, die Nuba in den eigenen Reihen zu entwaffnen, fürchtete Mohammed Ali um sein Leben und lief zu den Rebellen über. Jetzt hängt er hier fest, an der Schwelle zu Leben und Tod. „Ich weiß nicht, ob meine Familie noch lebt.“ Das letzte, was er von ihnen gehört hat, ist, dass sie sich in die Berge durchschlagen wollten.

Plötzlich herrscht Aufregung im Lager. Rebellen, die sich eben noch für unverwundbar hielten, starren jetzt wie verängstigte Kinder in den Himmel. Erst ist es nur ein leises Brummen, wie ein großes Insekt. Es wird lauter, immer lauter. Dann glitzert etwas zwischen den Baumwipfeln in der Sonne. Ein weißer Hubschrauber fliegt über das Lager, tief und viel zu nahe. Männer, halbe Kinder noch, suchen unter Bäumen Deckung, springen in Büsche, die Gewehre im Anschlag, Panzerfäuste richten sich in den Himmel. „Der Feind kommt!“, schreien sie, Angst und Hass im Blick. Verdammt, verdammt, verdammt! Meine Hände beginnen zu zittern. Es fängt an mit einem Kribbeln in den Zehenspitzen, wandert die Venen hoch, bis zum Brustkorb, lässt den Atem flach und den Kopf leer werden. Für einen kurzen Augenblick lähmt mich die Vorstellung, ein Kampfhubschrauber könne das Lager angreifen. Ich versuche meinen Kopf auszuschalten, drücke auf Autopiliot. Meine Augen wandern mit dem Hubschrauber über uns. Ich lasse ihn nicht aus dem Blick und rutsche langsam auf einen Panzer zu, bereit mich darunter zu verkriechen. Niemand sagt etwas. Von irgendwoher ertönt der dumpfe Knall einer Flugabwehrkanone. Der Hubschrauber fliegt noch einige Runden, dann dreht er ab. Anspannung weicht Gelassenheit. Einige Rebellen wenden sich wieder dem Dominospiel zu, beschimpfen den Piloten als feigen Hund, klopfen sich auf die Schultern. Ihre Münder lachen, die Augen nicht.

Als die Sonne hinter den Zacken der Nuba-Berge verschwindet, gibt Oberleutnant Andraus den Befehl, im Busch zu patrouillieren. Ich darf ein paar hundert Meter mitlaufen, danach ist Schluss. Zu gefährlich, sagt der Kommandeur und klopft mir auf die Schultern. Vielleicht beim nächsten Mal, In’schallah. Die Soldaten schauen ein bisschen traurig, dass ich sie jetzt nicht mehr fotografieren kann, sie lassen Köpfe und Waffen hängen. Einige winken mir hinterher, andere spreizen die Finger zum Victory-Zeichen. „Der Krieg wird noch lange dauern, Khawaja“, raunt mir Abud Andraus zum Abschied zu. Dann verschwindet er im Busch.