Ich und die Bratwurst
Heute wird’s sportlich“, sagt Johannes Kratzer und wetzt das Messer an einem grauen Stahl. Kratzer ist Metzgermeister – ein gestandenes bayerisches Mannsbild im blau-weißen Kittel – und wir sind sein Bratwurst-Kurs. Vier Männer und zwei Frauen aus München, Rosenheim und Stuttgart. Sandra, die Archäologin, mit ihren beiden Begleitern: Ehemann Michi (Physiker), und Bruder Michi (Elektriker). Letzterer hat den Kurs von Sandra und ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt bekommen. So wie Hans und Uli, der eine Vertriebsleiter für Bademoden und Lingerie, der andere natur-Fotograf, die von ihren Kollegen nach Oberbayern an die Wurstschule der Herrmannsdorfer Landwerkstätten geschickt wurden. Und einer musste mit, die Geschichte aufschreiben. Das bin ich.
Im Halbkreis sitzen wir um Metzger Kratzer. Von seinem massiven Arbeitstisch grinst uns ein rosiger Schweinekopf an. Hans sagt: „Das Schwein sieht sehr glücklich aus.“ Kratzer nickt und streicht sich über den Dreitagebart. Die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gelten als Vorzeigebetrieb der Biobranche. Gründer Karl-Ludwig Schweisfurth, Jahrgang 1930, genießt Kultstatus. 1984 hat der millionenschwere Industrielle aus dem Ruhrpott sein Wurst-Imperium „Herta“ an den Nestle-Konzern verkauft und ist Ökobauer geworden.
Das Hofgut mit seinen teils denkmalgeschützten Gebäuden gehört zur Marktgemeinde Glonn, 30 Kilometer südöstlich von München. 270 Leute arbeiten hier, zehn Filialen in München werden beliefert, dazu Naturkostläden, Biosupermärkte und Restaurants. Produziert wird fast alles, was man zum Leben braucht. Es gibt eine Metzgerei, eine Bäckerei, eine Käserei, eine Brauerei, eine Schnapsbrennerei und eine Kaffeerösterei. Und ein Wirtshaus. Seit sechs Jahren werden auch Kurse angeboten. „Wir wollen, dass die Menschen erleben, wie Handwerk funktioniert“, sagt Karl Schweißfurth, Sohn des Gründers. „In der Industrie bestimmen Maschinen den Prozess, bei uns bestimmt der Mensch.“ Er mischt die Gewürze, schmeckt das Bratwurstbrät ab, prüft die Konsistenz. Er hat das letzte Wort.
Die „Handwerkstatt“, in der die Workshops stattfinden, ist in der Ostscheune untergebracht. Ein großer lichtdurchfluteter Raum, mit schwarzen gusseiserner Pfannen, die von der Decke baumeln. Mit Regalen voller gepunkteter Emailschüsseln und altertümlichem Küchengerät. Hier werden wir die nächsten drei Stunden damit zubringen, Knoblauch zu hacken, Würste zu formen und aufmerksam zuzuhören, wenn man uns die verschiedenen Handgriffe erklärt.
„Der Karl Ludwig kam nicht mehr damit klar, wie es in der Nahrungsmittelindustrie abläuft“, sagt Kratzer in breitem Oberbayerisch, das so gemütlich klingt wie der Ort, an dem wir uns befinden. In Herrmannsdorf hat Schweisfurth seine „symbiotische Landwirtschaft“ entwickelt. Schweine und Hühner leben gemeinsam auf der Weide. Die Schweine vertreiben den Fuchs, dafür picken die Hühner ihnen das Ungeziefer aus dem borstigen Fell. Sie haben ein gutes Leben vor dem Tod. Kursleiter Kratzer zieht den Saukopf näher zu sich heran. „Die haben immer so ein leichtes Grinsen drauf“, sagt er nachdenklich. Auch übers Schlachten wird Kratzer mit uns reden. Später. Und dass es die Hühner und Schweine nicht gäbe, wenn wir nicht Würste essen wollten und Eier, womit er leider Recht hat.
Was also müssen wir Städter als erstes wissen? „Beim Wurstmachen geht es darum, dass wir die Zutaten, sprich Fleisch und Fett verbinden. Wer schon mal Fleischpflanzerl gemacht hat, weiß, dass das nicht ganz einfach ist.“ Salz hilft dabei. Auch der Saukopf liegt nicht zur Deko auf dem Tisch, sagt der Metzgermeister und zieht den Kettenhandschuh aus Edelstahl über. „Das ist ein wertvoller Rohstoff. Er wird gekocht und ist die Grundlage für den Presssack.“ Doch ein Teil des Kopfes gehört uns. Mit einem scharfen Messer trennt Kratzer die Backen heraus. Für unsere Bratwurst benötigen wir die Fettbacke. „Die hat viel Bindegewebe, das gibt ein schönes bindiges Brät.“ Von Italien schwärmt Kratzer, dort sei die gesalzene Fettbacke eine Spezialität. Als „Guanciale“ ist sie ein typischer Bestandteil der Spaghetti Carbonara. „Die Italiener nehmen keinen Bauchspeck wie wir!“
Zwei Arten von Bratwürsten hat Kratzer für den Kurs heute ausgewählt. Wir starten mit der „Körberschen“, benannt nach Jürgen Körber, dem Chef der Herrmannsdorfer Metzgerei, von dem das Rezept stammt. Sie besteht aus 70 Prozent magerem sehnigen Schweinefleisch und 30 Prozent Fettbacke. „Die Sehnen bringen die Bindung“, erklärt der Metzgermeister. „Habt ihr schon mal eine flache Schulter vom Rind gegessen? Die Geleeschicht darin – das war vorher die Sehne.“ Geübt schneidet Kratzer das Fleisch vom Knochen, löst ein großes Stück aus. „Das ist unser bayerischer Schweineschulterbraten mit Speck und Schwarte.“ Die kleineren Abschnitte, die dabei anfallen, verteilt er auf zwei Schüsseln: mit Sehnen für die Körbersche Bratwurst, ohne Sehnen für die Orientalische, unser zweites Lehrstück an diesem Tag. „Die Leute meinen immer, in die Wurst kommt nix Gescheites hinein. So ein Schmarrn. Das ist genauso ein Fleisch! Bloß hat es keine schöne Form, dass man es am Stück verkaufen kann.“
Mit flinker Hand verteilt der Metzgermeister die Rezeptblätter. Sandra und die beiden Michis kümmern sich um die feine Körbersche Bratwurst, wiegen Salz, Pfeffer, Piment, Muskatblüte und Majoran und lassen Fleisch und Fettbacke zusammen mit den untergemischten Gewürzen sowie abgeriebener Zitronenschale durch die feine Scheibe des Fleischwolfs.
Hans und ich übernehmen die Orientalische. Uli fotografiert. Kratzer entkorkt den Wein. Hans hat sich bereits die Waage geschnappt. „32 Gramm Koriander? Stimmt das?“ Kratzer nickt. Auch die 32 Gramm Kreuzkümmel, 20 Gramm Fenchel und das ganze Stück Sternanis sind kein Tippfehler. In die Orientalische Bratwurst gehört außerdem ein kräftiger Schluck Roter. 400 Milliliter brauchen wir für vier Kilogramm Fleisch. Bleiben 350 Milliliter für uns. „Holt euch ein Glas!“ Kratzer zeigt auf den Schrank in der Ecke. Wer beim Kochen keine Freude hat, wird auch beim Essen nicht glücklich.
Mit 60 Gramm Knoblauch beteilige ich mich am Brät. In jeder Zehe den grünen Keim entfernen! „Dann stinkt ihr morgen nicht nach Knoblauch.“ Wie auf Kommando erfüllt ein herber schwerer Duft nach Koriander, Kreuzkümmel und Sternanis den Raum. Hans hat die Gewürze fertig abgewogen und sie in einer gusseisernen Pfanne ohne Fett angeröstet. Die Aromen sind unglaublich, als er alles im Mörser zerkleinert und die ätherischen Öle auf unsere Nasen treffen.
Das Brät für die Körbersche Bratwurst ist inzwischen fertig. Sandra hilft, den Knoblauch für die Orientalische zu hacken. „Superschön fein geschnitten“, wird Metzgermeister Kratzer später loben. Auch Michi (der Physiker), hat gut gearbeitet und Fleisch- und Fettstücke vor dem Wolfen so vermischt, dass keine ungeliebten „Fettnester“ entstanden sind. In einer großen Form wird die grob gemahlene Masse verteilt. Knoblauch und Salz mischen, drüberstreuen und zusammen mit dem Wein unters Brät heben. Fast vergessen – das wichtigste! „Was müssen wir jetzt noch machen?“ „Abschmecken!“ Wie eine brave Schulklasse antworten wir im Chor und stupfen unsere Finger in die Masse. Perfekt, auch die Salzmenge passt. Wir sind bereit für den schwierigsten Teil der Übung. Für den Apparat, für den es Fingerspitzengefühl braucht: die Wurstspritze, auch Füllmaschine oder Wurstfüller genannt.
Den Darm hat Kratzer schon vorbereitet. Wir wollen dünne Würste, also nehmen wir den Dünndarm vom Lamm, gut gewässert, damit er nicht klebt. Das Kunststück beim Wurstfüllen: Der Darm darf nicht reißen, aber es darf sich auch nicht zu viel Luft in der Wurst stauen. „Wie reißfest ist der Darm“, will Hans wissen. Kratzer gibt uns ein Stück, wir sollen es durchzureißen. Alle probieren es, keiner schafft es. Kratzer ist fast enttäuscht. „Das geht schon … wenn man richtig zufasst“, grummelt er.
An der Wurstspritze wird der Darm über den Auslass gezogen, Kratzer steht an der Kurbel und presst das Brät durch die schmale Tülle. „Rechte Hand an die Wurstspritze, damit nicht der ganze Darm herunterrutscht! Linke Hand an die Wurst und schauen, wie prall sie ist“, gibt er Michi (dem Elektriker) die Kommandos. Der hält sich wacker und schnell ringelt sich eine Riesenwurstschlange auf dem Tisch, aus der wir einzelne Würste abdrehen müssen. Schön gleichmäßig groß. „Drücken, drücken, hinten festhalten, dreimal drehen.“ Hat man’s erst mal kapiert, sollte das doch nicht schwer sein. Doch so sehr ich mich anstrenge, die Würste werden immer kleiner statt gleichmäßig groß. Hans übernimmt.
Am Herd im hinteren Teil der Küche wendet Michi (der Physiker) inzwischen Fleischpflanzerl aus körberschem und orientalischem Brät. „Die Bratwürste nehmt ihr mit, die könnt ihr daheim probieren“, sagt Kratzer, der schon am Aufräumen ist. „Mag jemand den Saukopf?“ Die Resonanz ist verhalten. Anders bei den Spareribs. Der Spätherbst ist herrlich, da gibt es sicher noch eine Gelegenheit zum Grillen.
Beim Essen zählt Kratzer noch einmal die Zutaten auf. Fleisch. Speck, Gewürze, Salz. Sonst nichts. So hat man auch früher die Würste gemacht. „Wenn ich Weißwurst, Wienerle oder Leberkäse herstellen will, nehme ich das schlachtwarme Fleisch. Dann kann ich es ohne Zusätze verarbeiten.“ Doch heutzutage soll die Herstellung rationell und billig sein. Deshalb greifen viele Metzger zu Phosphat. „Es versetzt das Fleisch chemisch in den schlachtwarmen Zustand.“ Das sei praktischer. Doch die Wurst schmecke nicht mehr so gut, schlachtwarmes Fleisch sei aromatischer. „Also erfand die chemische Industrie noch die Geschmacksverstärker.“ Zutaten, die in unserer Bratwurst nichts zu suchen haben.
60 verschiedene Kurse gibt Johannes Kratzer im Jahr. Er zeigt, wie man Schweine und Rinder zerlegt und wofür sich welches Stück am besten eignet. Das „Hausfrauengulasch“ („schön mager ohne Sehnen“) kommentiert er bissig. „Ist nach einer halben Stunde schon fertig, aber beim Aufwärmen wird es steinhart.“ Wenn’s bei ihm daheim Gulasch gibt, dann nur aus der Schulter oder Wade. „Das braucht zwar zwei oder zweieinhalb Stunden, aber dafür kann ich es wieder aufwärmen und es schmeckt noch besser.“
Auch unsere Fleischpflanzerl sind zum Niederknien. „Das funktioniert mit dem Hackfleisch vom Metzger nicht“, sagt Hans. „Nie im Leben“, sagt Michi, der Physiker. Sandra: „Die werden viel zu kompakt.“ „Weil das Fleisch zu mager ist“, erklärt Kratzer. Ein Teil des Bräts ist noch übrig. „Ein gestandenes bayerisches Mannsbild läuft lieber davon als ein rohes Schweinernes zu essen“, erklärt er uns. Wir greifen gierig zu.
250 Schweine leben auf dem Hofgut Herrmannsdorf, 1800 Hühner, ein paar Kühe, ein paar Schafe. Auf 80 Hektar Acker wird Futter für die Tiere und Getreide für die Bäckerei angebaut. Pro Woche werden hier 50 Schweine geschlachtet, 20 Lämmer, ein Dutzend Rinder und acht Kälber. Mehr als 100 Partnerbauern liefern Schlachttiere und Milch für die hofeigene Käserei. Johannes Kratzer sagt: „Ich will die Schlachtung nicht verharmlosen.“ Die Schweine werden mit Strom betäubt. Nacheinander, ohne Stress, ohne Zeitdruck, ohne Lärm, der ihnen Angst machen könnte. Einzel und von Hand. „Der Tod tritt durch Blutentzug ein.“ Große Betriebe betäuben häufig mit Kohlendioxid, das lehnen die Herrmannsdorfer ab. „Für mich ist das Tierquälerei“, sagt Kratzer. „Es geht relativ schnell, aber sie ersticken.“
Unser Blick fällt auf die lachende Sau an der Wand. „All animals are equal“ heißt das Bild. Darüber ein handbeschriebenes Blatt Papier: „Empfindungsfähige Lebewesen“. Wenn ich es damit ernst meine, darf ich Schweine dann essen? „Wenn ich sie nicht wirtschaftlich nutze, gibt es sie bald nur noch im Zoo“, glaubt Hans. Das wäre nichts für Johannes Kratzer. „Wenn ich sie esse, muss ich es mit Respekt machen“, sagt er nachdrücklich zum Abschied ..