Zeitenspiegel Reportagen

Der Burger aus dem Auto

Erschienen in "Neue Zürcher Zeitung", 21. November 2016

Von Autor Jan Rübel

Seit einigen Jahren tauchen sie in Deutschland im Strassenbild auf – Foodtrucks. Besonders in Berlin sind sie ein beliebter Einstieg in die Gastronomie. Doch der Weg zum legalen und dann erst noch rentablen Geschäft ist nicht leicht.

Als der gelbe GMC-Stepvan langsam heranrollt, übertönt lautes Vogelgezwitscher sein mürrisches Brummen. Der Wagen, Baujahr 1986, umkurvt eine Bonsai-Eibe und hält vor einer blauen Scheinzypresse. Das Gezwitscher – es kommt aus unsichtbaren Lautsprechern. In der Halle in Berlin-Kreuzberg, bei der Messe «Gartenträume», geht es um Blumenzwiebeln und Gartenmöbel, um die beste Teichfolie und den aussergewöhnlichsten Strauch. Nur essen kann man das alles nicht.

Ein Mann öffnet die Seitenluken des gelben Vans. Aus dem Inneren strömt der Duft von Brötchen und mischt sich mit einem Hauch von Zwiebeln und rohem Fleisch. «Buns» steht in schwarzen Lettern an der Seitenwand des Wagens. Pablo Siranossian fährt den Bavon-Grill im Inneren auf 250 Grad Celsius hoch, schmeisst Burgerpattys auf die Platte und drückt sie mit einem alten gusseisernen Bügeleisen, dass es zischt und raucht. Sein «Bunsmobile» ist heute hier und morgen dort. Der Wagen verkaufe die besten Burger Berlins, schreiben nicht wenige. Um sie zu essen, muss man den Routen auf Facebook folgen. Siranossian und seine Frau Mathilde Bayle betreiben einen Foodtruck, einen von insgesamt 40, die durch Berlin fahren und einen neuen Trend etablieren: gutes Essen dorthin zu bringen, wo es keines gibt.

Foodtrucks verkaufen ein Stückchen Freiheit, sie stehen für den Propheten, der zum Berg kommt. Essen wird wieder wichtiger. Und in Berlin, wo sich alle zehn Häuser eine Backstube, ein Asia-Imbiss und ein Dönerladen abwechseln, konzentrieren sich die Foodtrucks auf einfaches, frisches und gesundes Essen mit meist regionalen Zutaten. Berlin ist auch die Hauptstadt der Streetfood-Bewegung. Und weil die Stadt immer globaler durchwirkt wird, wird nicht nur Currywurst mit Pommes aus den Wagen gereicht, sondern auch Kochbanane mit Erdnussgulasch oder Tapioka-Dumplings – Heimwehessen der vielen Glücksritter aus aller Welt, die es nach Berlin zieht. Einen eigenen Laden aufmachen, das ist viel teurer und aufwendiger, als einen Truck zu erwerben, umzubauen und loszufahren.

Für Pablo Siranossian läuft es an diesem Tag in Kreuzberg nur mässig. Die Gartenfreunde finden kaum bis zum hinteren Ende der letzten Messehalle. Er schaut auf die Uhr. Im November 2012 waren er und Mathilde nach Berlin gekommen. «Wir fühlten, dass da etwas losgeht», sagt er mit Blick auf die ersten Foodtrucks. Das frankokanadische Paar hatte zuvor gastronomische Erfahrungen in Montreal und an der Côte d’Azur gesammelt, sie als Köchin, er als Sommelier. Mit ihren Ersparnissen kauften sie den Truck; inzwischen ist er ein Erfolgsmodell für das junge Paar. Sie können von dem Verkauf leben – und erst noch eine Leidenschaft ausleben. «Früher in den Restaurants haben wir uns während der Pausen einen Spass daraus gemacht, Sandwichs mit dem zu belegen, was vorhanden war», erinnert er sich. Das hat sich auf das Angebot im Bunsmobile niedergeschlagen: Mal kommt in Whisky geschmorter Schweinebauch hinzu, mal Fried Chicken, Pilze oder Shrimps.

Streetfood, das ist im Neudeutschen nichts anderes als ein Imbiss, auch wenn die meisten Propheten der Bewegung, denen es auch ums Zelebrieren des Essens geht, dies vehement bestreiten. Essen auf der Strasse aber hat es immer gegeben, nicht nur in südlichen, warmen Ländern – und es konnte auch schon immer durchaus gut, frisch und originell sein. Essen auf Räder zu packen, ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts, in Italien lebt die alte Tradition der Porchetta-Wagen, in Süddeutschland reichten vor Jahrhunderten schon fahrende Händler ihre Marroni, in Norddeutschland Bäcker Waffeln und Aalpasteten aus ihren mobilen Öfen.

In der Neuzeit erhielt die rollende Gastronomie 2008 in Los Angeles einen Schub. Im Jahr der Finanzkrise, als das Geld in den Taschen vieler plötzlich knapp wurde, beschloss Roy Choi einen Karriereschnitt. Er war Chef in einigen Luxusrestaurants gewesen, und ihn störte, dass in Los Angeles in den schlechtesten Gegenden das schlechteste Essen serviert wurde. Er beschloss, frisches, gutes und bezahlbares Essen in die «Ghettos» zu bringen, in denen selbst Fast Food und Supermärkte kaum zu finden sind. Das koreanische Barbecue in mexikanischen Tacos von Chois «Kobi BBQ»-Truck wurde zum Sinnbild einer neuen Streetfood-Bewegung, die Fusion-Stile mit der Idee verknüpfte, gutes Essen nicht als Privileg der Wohlhabenden hinzunehmen. Ein Truck kostet Chefs den Bruchteil eines Restaurants. Diese Ersparnis geben sie an die Kunden weiter. In den USA generieren Foodtrucks mittlerweile Hunderte von Millionen Dollar jährlich. Der Trend ist auch in Deutschland erkennbar.

Vor der «Markthalle Neun» in Berlin-Kreuzberg hat die Schweizer Armee ihr Quartier aufgeschlagen. Oder was sie einmal war: In mattem Militärgrün steht eine «mob. Bk 68a» am Strassenrand, bis zur Ausmusterung Anfang der nuller Jahre eine Feldbäckerei. Davor steht ein Mann in gleichfarbenem Shirt. «Den habe ich privat bekommen», grinst Florian Domberger. «Mit dem habe ich begonnen meinen Traum wahr zu machen.» Der gebürtige Augsburger lebte die vergangenen Jahre in der Schweiz, wo er, wie er sagt, gut verdient hat. Die Arbeit als Prokurist habe ihm Freude bereitet. Aber da gab es noch eine Passion, die er zum Job machen wollte: Brot backen wie vor 200 Jahren – und den Genuss unter die Leute bringen. Er besuchte Seminare und Fortbildungen, legte los. Seinen Truck nennt Domberger «BrotWüstenExpeditionsFahrzeug». Der 49-Jährige fährt mit ihm in die Peripherien Berlins, wo er seine Sauerteigbrote im Nu loswird. Der Coup: Dieser Start, finanziert von seinen Ersparnissen aus der Zeit in der Schweiz, ist nicht gewerblich: «Wir backen mit Geflüchteten, das sind echte Aktionen. Als Integrationsmassnahme erhielten wir dafür vom Bezirksamt mit deren Unterstützung die Genehmigung sofort.» Nach den Testläufen mit dem Truck will Domberger bald eine Bäckerei in Moabit eröffnen.

Berlin mag die Hauptstadt der Foodtrucks sein. Aber die Behörden machen es ihnen schwer wie in kaum einer anderen Kommune Deutschlands. Während in den USA zum Beispiel Foodtrucks problemlos auf öffentlichen Parkplätzen halten dürfen, ist dies in Deutschland tabu – es sei denn, man erhält eine «Sondernutzungserlaubnis». Kriegt man die in Berlin, wenn man «gewerblich» ist, also Geld verdienen will?

Im Bezirksamt Berlin-Mitte heisst es, Fragen hierzu sollten bitte schriftlich gestellt werden. Wochenlang passiert nichts. Ein zweiter Anruf. Einige Tage später treffen zwei Mails vom Strassen- und Grünflächenamt ein. Für eine Sondernutzungserlaubnis müsse jeder Standort einzeln geprüft werden, schreibt die Sachbearbeiterin. Anders urteilt eine Mitarbeiterin aus dem gleichen Amt: «Zu Ihrer Frage möchte ich Ihnen mitteilen, dass im Bezirk Mitte auf öffentlichem Strassenland grundsätzlich keine Foodtrucks im sogenannten fliegenden Handel und Kleinhandel genehmigt werden.» Was denn nun?

Ein Anruf im Amt. «Täglich kriegen wir Anfragen», sagt eine Dame. «Wir sind ja Innenstadtbezirk. Was meinen Sie, wie viele wir hätten. Aber halt, ich darf gar nicht mit Ihnen reden.» Und verweist auf den Gruppenleiter. Der gibt Auskunft: keine Sondernutzungserlaubnisse. Das sei traditionell so, und zum Schutz des stehenden Gewerbes. Bei Verstössen sei das Ordnungsamt zuständig. Bei dieser Behörde gibt man sich wortkarg, Fragen sollen ebenfalls schriftlich eingereicht werden. Ein paar Tage später kommt eine Antwort, die keine ist. «Foodtrucks sind im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates über Lebensmittelhygiene ortsveränderliche Betriebsstätten», beginnt die Mail in höchstem Behördendeutsch. Und verweist auf allgemeine Gesetze. Weitere Anfragen, etwa zu Höhen der Bussgelder, bleiben unbeantwortet. Auch Friedrichshain-Kreuzberg und andere Bezirke – Bewilligungen gibt es nur für diese Einheiten – zeigen sich gegenüber Foodtrucks verschlossen.

In der «Markthalle Neun» lehnt sich ein junger Mann mit Hut an den Tresen des Schweizer Expeditionsfahrzeugs. Hendrik Haase, bekannt als Blogger «Wurstsack», redet sich schnell in Rage. «Die Politik hat noch nicht verstanden, dass Essen wichtiger wird. Das sollte gefördert werden wie Theater und Musik», schimpft er. Haase, 32 Jahre alt, engagiert sich für nachhaltiges Essen. Mit Freunden hat er hier in der Markthalle eine gläserne Metzgerei aufgebaut: Bei «Kumpel & Keule» wird das Fleisch «glücklicher» Schweine vor den Augen der Passanten zerteilt. «Wir wollen dem Fleisch und dem Handwerk seine Würde zurückgeben», sagt er. Morgen wird er nach Turin fahren zum Jahrestreffen der Slow-Food-Bewegung, und danach gibt es wieder eine «Schnippeldisko», die er mitgegründet hat: Nicht marktfähiges, aber frisches Gemüse wird eingesammelt und von Hunderten von Leuten zu Technoklängen in Suppe verwandelt. «Berlin-Mitte ist vielerorts zu einer Food-Desert geworden, wenn es um frische und echte Lebensmittel geht», sagt Haase. «Die Foodtrucks dagegen bringen oft frisch gekochte Gerichte an Orte wie Brachflächen der Innenstädte.» Auch dass in den Foodtrucks nicht gekocht werden darf, bringt Haase Falten auf die Stirn. «Hygiene ist bei uns überreguliert. In den Veterinärämtern herrscht eine Trostlosigkeit gegenüber Essen. Natürlich kann man in Trucks sauber kochen!»

Das Mittagsgeschäft für hungrige Büroangestellte wäre eine lukrative Einnahmequelle. Aber nach Berlin-Mitte lässt man die Trucks halt nicht hinein. Die Wagen weichen aus auf Catering bei Feiern und fahren zu Events. Während Catering boomt, haben Streetfood-Festivals in Berlin ihren Zenit überschritten. «Ich habe mir den Truck zugelegt, um auf den Berliner Strassen Alltagsgeschäft zu betreiben», sagt Maria Hugger von «Maria Maria Arepas» am Telefon, «und nicht nur um eventbasiert zu arbeiten.» Den Kauf ihres Trucks, eines ausgedienten Polizei-Mannschaftswagens, hat sie vergangenes Jahr über Crowdfunding im Internet finanziert, und sie verkauft aus ihm Arepas, dünne Maisfladen aus Lateinamerika, gefüllt mit Fleisch und Gemüse.

Umbauten der Wagen kosten entweder bis zu 100 000 Euro – oder man geht den Weg über vermeintlich kostengünstigere Handwerker, die aber länger brauchen und dadurch die Wagen lahmlegen. Gerade ist Maria Huggers Truck wieder in der Werkstatt, mittlerweile in der zweiten, und bei der ein zweites Mal zur Reklamation. Der Innenausbau zieht sich hin, immer fehlt oder hakt etwas. An diesem Tag ist Maria Hugger mit ihrem kleinen Ford-Kastenwagen zu einem Catering-Auftrag gefahren. «Meine Güte, war das schnell», erzählt sie. Die Mitarbeiter eines Startup-Unternehmens mussten gleich während der Präsentation anfangen zu essen, ohne Pause. Eigentlich wollte sie mit ihrem Auto danach wieder wegfahren. Aber wegen der möglichen Lärmimmissionen sass sie bis zum Ende der Veranstaltung auf dem Firmengelände fest. Mit ihrem Projekt plant Maria Hugger, mittelfristig. Der Truck ist die Basis für den Verkauf auf Musikfestivals und der nächste Schritt auf dem Weg zum eigenen Laden. Doch mit einem eigenen Restaurant lässt sich die 35-Jährige Zeit. Sie übe sich lieber in Geduld und warte auf die Gelegenheit für einen tollen Ort.

Ein paar Wochen später macht Pablo Siranossian wieder halt bei der Halle in Kreuzberg. Diesmal aber passieren keine Hobbygärtner den Truck, sondern junge Leute in schwarzen Rollkragenpullis mit eigenwilligen Frisuren auf ernsten Gesichtern. Es ist «abc», die Art Berlin Contemporary, eine Schau von Galerien mit zeitgenössischer Kunst. Bilder zeigen eine nackte Frau mit Staubsauger am Strand oder Stinkefinger in Öl. «Diesmal verkaufe ich viel besser», strahlt er. «Die Kundschaft hier steht mehr auf Burger.» Drinnen versammelt man sich vor der ausgestellten Turmspitze eines Luftschutzbunkers. Aus ihr wächst oben ein zarter Ast mit sanftem Grün.