Gabriel Grüner: Warum wird einer Journalist?
Warum wird Einer Journalist? Vor 40 Jahren, am 1. Mai 1985, gründete sich Zeitenspiegel. Vor 36 Jahren, 1989, traf Gabriel Grüner auf Zeitenspiegel und dessen Grundparadigmen damals: Solidarität und Unerschrockenheit und Durchhaltevermögen. Es waren auch die seinen. Er bewarb sich unter zweieinhalb Hoffenden für einen der 25 Plätze der Henri-Nannen-Schule. Zeitenspiegel versuchte sich ohne jegliche Verbindung oder Fürsprecher auf dem Gebiet des Magazin-Journalismus.
Am 13. Juni 1999 wurde Gabriel zusammen mit dem Fotografen Volker Krämer und dem Übersetzer Alit Senol am Dulje-Pass im Kosovo erschossen. Am ersten Tag des Waffenstillstandes des endenden Kosovokrieges ließ der russische Söldner Alexander Tschernomatschensev seinem Frust freien Lauf und tötete einige von denjenigen, die seiner Meinung nach dafür verantwortlich waren, dass seine Seite den Krieg dort verloren hatte.
Gabriels Sohn Jakob kam drei Monate später zur Welt. Für ihn wollte er seinen Beruf unterbrechen, zumindest aber wollte er zu seinen ursprünglichen Themen zurückkehren: Literatur, Kunst, Kultur, Musik. Über Katastrophen und Kriege zu berichten war nicht sein Ziel gewesen. Doch als politischer Mensch erkannte er sehr bald, was die Berichterstattung darüber vermochte. Der Stuttgarter Professor Kurt Weidemann hat es einmal so ausgedrückt: Sie ist die Demokratisierung der Kunst. Sie vermag es, mindestens schneller als die Kultur in Museen und Lesungen, Dinge zu verändern.
Gabriel hatte Hochachtung vor Zeitenspiegel. Er kam häufig vorbei. Zu den Jahreshauptversammlungen, zu den Festen, zu Diskussionen über unsere Ausrichtung und Großthemen. Er war zwar nicht Mitglied, aber einer von uns im besten Sinne.
Jedes Jahr fährt eine Delegation die kurvigen zehn Kilometer von Suhareke im Kosovo nach oben zum Dulje-Pass: Zu Anfang vor 25 Jahren waren es eine Handvoll dort lebender Menschen gewesen. Welche, die Gabriel und seine Kollegen nicht persönlich kannten, aber dankbar für deren Berichterstattung waren. Heute sind die von damals noch immer dabei, aber mittlerweile auch der Bürgermeister von Suhareke und Mitglieder des Gemeinderates, Mitglieder der Regierung des Kosovo, in diesem Jahr eine deutsche Soldatin, die den toten Volker Krämer in ihrem Fahrzeug vom Dulje-Pass in den Standort der Bundeswehr fuhr.
Der damals kilometerlange Tross der einrückenden deutschen Streitkräfte hielt mitten in der Nacht in unübersichtlichem Gebiet an, um Volker zu bergen. Eine Maßnahme, die intern für Stirnrunzeln sorgte, aber doch eigentlich ein Ausdruck der Wertschätzung des Einzelnen war.
26 Jahre ist das nun her. Die meisten Mitglieder von Zeitenspiegel kennen Gabriel nicht, haben ihn nie erlebt. Und trotzdem ist es manchmal gesund, sich klarzumachen, auf welchem Boden man steht.